Sonntag, 23. November 2014

Die Ukraine und die deutsche Außenpolitik im neuen "Spiegel"


Der neue gedruckte Spiegel (Nr 48 - 2014) macht mit einer Titelstory zum gefährlichen Scheitern der deutschen Ukrainepolitik auf.
Versucht das Titelbild noch zwei gleiche bornierte politische Spieler, Merkel und Putin gegeneinander zu stellen, allerdings Merkel nur mit kämpfenden Fahnen und Putin anarchischen aggressiven Milizen, so lautet die Formel in Inneren anders:
Alles nur Mißverständnisse durch unprofessionelles Unterschätzen oder Nicht-Wahrnehmen der Ansichten und Empfindlichkeiten der russischen Seiten durch die EU und die Bundesregierung, dagegen habe
Russland hat den Willen der Ukrainer unterschätzt, ihr Land an die EU
heranzuführen, und zu sehr auf seine machtpolitischen Hebel vertraut.
Die Wahl zwischen EU und Rußland, vor die die EU und die BRD die Ukraine gestellt habe sei falsch gewesen.
Von Interessen von Regierungen, Staaten und ökonomischen Subjekten, und von geostrategischen Expansions- oder militärischen Bedrohungsszenarien ist nicht die Rede. Eine Zeitleiste der Ukrainekrise kommt ganz ohne die Natoausdehnung aus.
Dafür dann im nächsten Artikel die Spekulationen darüber ob der "Westen" denn nun versprochen habe, die Nato nicht auszudehnen, oder unverbindlich geblieben sei. Und die Russen hätten ihre Bedenken auch nicht richtig deutlich gemacht!
Man muß wohl den Artikel als eine Art Notbremse ansehen - keinen Schritt weiter in Richtung Abgrund der Konfrontation. Von den wirtschaftlichen Schäden für die BRD-Industrie ist schon gar nicht mehr die Rede. Damit hatte ja das Handelsblatt in drei Sondernummern mit offener Unterstützung von Bundesdeutscher Konzernprominenz versucht, die Bundesregierung von ihrem Kurs der blinden Gefolgschaftstreue gegenüber den USA abzubringen.
Im Spiegel kommen die USA bei der Ukraine-Krise gar nicht vor!
Keine Vasallentreue, keine Unterwerfung, alles Eigeninteresse!
Noch ist unklar, ob dies die Hauptfunktion der Anklage gegen die Koalitionäre und besonders Frau Merkel ist - die globalstrategischen Interessen USA im Nebel der Unfähigkeiten und Engstirnigkeiten der EU und der bundesdetuschen Führung verschwinden zu lassen.
Heute Abend bei eine neuen Talk-Runde bei Jauch, mit wieder mehrheitllich einschlägigen anti-russischen Gästen (u.a. Biermann als Ostexperte!) wird man besichtigen können, wieweit die öff.-rechtl. Medien die Konfrontation weiter anheizen - oder der Warnruf aus den Kreisen der deutschen Bourgeoisie langsam auch den eifrigen Propagandisten läutet. Am Donnerstag bei Frau Illner, war jedenfalls noch alles auf Krawall gebürstet!

JM

hier einige Auszüge aus den beiden erwähnten Artikeln im neuen Spiegel (48-2014, S. 22 ff)

Am Nullpunkt

Europa Im Konflikt mit Russland scheint eine politische
Lösung weiter entfernt denn je. Bundesregierung und EU
haben ihre Diplomatie ausgereizt. Die Fassade einer
geschlossenen Haltung der Bundesregierung bricht auf

Philip Breedlove ist umringt von Gesprächspartnern,
er schaut umher, er
braucht einen Stift. Sein Berater
reicht ihm einen, der Kugelschreiber verschwindet
fast ganz zwischen den breiten
Fingern des amerikanischen Vier-Sterne-
Generals. Dann malt er in flinken Strichen,
vermutlich nicht zum ersten Mal, die Umrisse
der Ukraine auf die Rückseite einer
weißen Menükarte. Darin dann die jener
Gebiete, die unter Kontrolle der prorussischen
Separatisten im Osten des Landes
stehen.
Das ist die Gegenwart. Danach kommt
die Zukunft.
Breedlove, Oberbefehlshaber der Nato
in Europa (Saceur), sagt an diesem Montag
in Berlin, was er später auch in einem Interview
mit der FAZ erklären wird: Die
von Russland unterstützen Kräfte wollen
„aus den jetzt beherrschten Gegenden ein
stärker zusammenhängendes, ein genauer
umrissenes Gebiet machen“. Was fehlt, ist
der Flughafen bei Donezk und der Landzugang
zur Krim über die ukrainische Hafenstadt
Mariupol. Beide sind noch in der
Hand der ukrainischen Regierung.
Was wird die Antwort der Europäer und
der Nato sein? Gibt es überhaupt eine?
„Warten Sie es ab“, sagt der General.
Fast auf den Tag genau ein Jahr nach
einem gescheiterten EU-Gipfel zur öst -
lichen Partnerschaft (siehe Seite 26) ist in
Europa nur noch wenig, wie es war. Aus
dem Partner Russland wurde ein Gegner,
Grenzen sind verschoben, Soldaten in
Marsch gesetzt, Unschuldige wurden getötet.
Viel ist geschehen, von dem man glaubte,
es würde nie wieder geschehen. Nie
wieder zumindest auf einem Kontinent,
der wie kein zweiter das Blut von Millionen
vergossen hat. Der seine Lektion gelernt
haben sollte.
Angela Merkel spricht öffentlich davon,
dass das „internationale Recht mit Füßen
getreten“ werde. Gedacht haben mag sie
das schon öfter, für ein weltweites Publikum
ausgesprochen hat sie es noch nie. Es
ist eine Kampfansage, eine Zäsur und damit
auch der vorläufige Strich unter ein
Jahr diplomatischer Bemühungen. Die waren
gewiss nicht wertlos, aber sie scheinen
jetzt ausgereizt. Es gibt kaum noch Hoffnung,
das, was seither geschehen ist, rückgängig
zu machen. Nicht die Annexion der
Krim, nicht die drohende Abspaltung der
Ostukraine. „Alle sind irgendwie erst einmal
am Ende ihres Lateins“, heißt es in
Berliner Regierungskreisen.
Der Nullpunkt ist also erreicht, und das
ist ein gefährlicher Moment.
In der Europäischen Union gehen die
Interessen der 28 Mitgliedstaaten immer
deutlicher auseinander. Den Südländern
ist eine harte Haltung gegenüber Russland
tendenziell weniger wichtig als den Osteuropäern,
bislang bildete die Bundesregierung
die Brücke zwischen beiden Lagern.
Aber in Berlin zeigen sich erstmals
nennenswerte Unterschiede in der Lagebeurteilung,
Dienstag beim Koalitionsausschuss
dürften sie weiter aufbrechen. Die
Union steht gegen die SPD, CSU-Chef
Horst Seehofer und Kanzlerin Merkel gegen
Außenminister Frank-Walter Stein -
meier und SPD-Chef Sigmar Gabriel.
„Die größte Gefahr ist, das wir uns auseinanderdividieren
lassen“, sagte die Kanzlerin
am vergangenen Montag in Sydney.
Wahr ist: So groß war die Gefahr noch nie,
seitdem die Krise begann. Ist es das, worauf
der russische Präsident gewartet hat?
Wie die russische Strategie funktioniert,
erlebte Steinmeier am vergangenen Dienstag.
Der Außenminister stand in Moskau
neben seinem russischen Kollegen Sergej
Lawrow, der die engen Beziehungen pries:
„Es ist gut, lieber Frank-Walter, dass du
trotz der zahlreichen Gerüchte der letzten
Tage an unserem persönlichen Kontakt
festhältst.“ Steinmeier revanchierte sich,
indem er strittige Themen wie die russischen
Waffenlieferungen an die ukrainischen
Separatisten nicht öffentlich kritisierte.
Anschließend empfing ihn Wladimir
Putin, eine seltene Ehre.
Der deutsche Außenminister ist Profi
genug, um sich über die russischen Nettigkeiten
nicht zu wundern. Während die
Kanzlerin Putin bei einem Auftritt in Sydney
scharf attackierte und sagte, der Westen
dürfe „nicht zu friedfertig“ sein, schlug
Steinmeier am selben Tag in Brüssel weitaus
sanftere Töne an. Ohne Merkel zu erwähnen,
mahnte Steinmeier zur verbalen
Mäßigung: Der Westen müsse aufpassen,
„dass wir auch in der Benutzung unserer
öffentlichen Sprache uns nicht die Mög-
Entschärfung des Konflikts beizutragen.“
Der Außenminister wusste zu diesem
Zeitpunkt, dass Putin ihn möglicherweise
empfangen würde. Man könnte seine Einlassungen
also auch als Versuch lesen, den
Termin im Kreml nicht zu gefährden.
Es war das erste Mal seit Ausbruch der
Krise, dass Risse in der gemeinsamen Haltung
von Merkel und Steinmeier sichtbar
wurden. In der Bewertung des russischen
Vorgehens sind sie sich einig. Unterschiedliche
Ansichten haben sie darüber, wie
man den Russen in den nächsten Wochen
am besten begegnen soll. Das aber ist inzwischen
die alles entscheidende Frage.
Merkel hält es für wichtig, Putin nun
auch öffentlich darauf hinzuweisen, wie
seine Haltung im Westen gesehen wird und
was auf dem Spiel steht. Sie glaubt, dass
der russische Präsident nur auf klare Ansagen
reagiert – wenn er es überhaupt tut.
werden, dürfte sich am Dienstag beim Ko -
a litionsausschuss im Kanzleramt zeigen.
„Ich will dann Klarheit von Sigmar Gabriel:
Unterstützt die SPD die Bemühungen
unserer Kanzlerin oder nicht?“, sagt
CSU-Chef Horst Seehofer. Der Westen
müsse zusammenstehen, mahnt er. Und
erst recht gelte das für die Bundesregierung.
Auch in seiner Partei gebe es allzu
russlandfreundliche Strömungen, die er in
Schach halten müsse. „Die sagen sonst:
Warum gestatten wir der SPD diese russlandfreundliche
Haltung, den eigenen Leuten
innerhalb der CSU aber nicht?“ Von
Außenminister Steinmeier will Seehofer
fordern, die harte Linie der Kanzlerin nicht
zu verlassen. „Ich kenne Herrn Steinmeier
als besonnenen Diplomaten. Und wir
brauchen auch den Dialog mit Russland“,
sagt Seehofer. „Doch wenn Herr Stein -
meier eine eigene Diplomatie neben der
Bundeskanzlerin betriebe, so wäre das
brandgefährlich.“
Am vergangenen Mittwoch nahm die
Kanzlerin den Außenminister am Rande
der Kabinettssitzung zur Seite. Sie überzeugte
ihn davon, das für diese Woche geplante
Treffen des Petersburger Dialogs zu
verschieben. Steinmeier stimmte zu, die
enge Verbindung des Dialogs mit dem
Deutsch-Russischen Forum zu trennen, das
von seinem Vertrauten Matthias Platzeck
geleitet wird. Der hatte in einem Interview
angeregt, die Annektierung der Krim völkerrechtlich
zu regeln – und damit anzu-
24 DER SPIEGEL 48 / 2014
FOTOS S. 22/23: JACK TRAN / NEWSPIX / ACTION PRESS; NIKKI SHORT / AFP (R.U.)
Dahinter steckt die Sorge, die prorussischen
Separatisten könnten die Ostukraine
dauerhaft abspalten und der Westen müsste
sich damit abfinden. In diesem Fall hätte
sich zum dritten Mal seit dem Ende der
Sowjetunion die russische Strategie durchgesetzt.
Vom Staatsgebiet Georgiens sind
die Regionen Südossetien und Abchasien
unter russischer Kontrolle, in Moldawien
ist es die Region Transnistrien. Die Folge:
Keines der Länder kann in diesem Zustand
der Nato beitreten, weil eine Grundbedingung
dafür ist, Grenzstreitigkeiten mit
Nachbarn zuvor beigelegt zu haben.
Steinmeier will vermeiden, die Russen
zu provozieren. Er fürchtet, das zwinge
Moskau stärker in eine Verteidigungshaltung
und mache eine Zusammenarbeit in
anderen Bereichen, etwa bei den Atomverhandlungen
mit Iran, noch schwieriger. Wie
ernst die Differenzen zwischen Kanzlerin
und Außenminister inzwischen genommen


erkennen. „Der Klügere“ müsse auch mal
nachgeben, hatte Platzeck hinzugefügt. Im
Kanzleramt hat man sich über diesen Satz
besonders geärgert. Steinmeier tut sich
schwer damit, sich von seinem Freund zu
distanzieren (siehe Interview).
Merkel hat sich auf die Seite einer Gruppe
von Moskau-Kritikern geschlagen, die
den Petersburger Dialog, der eigentlich
das Gespräch zwischen den Zivilgesellschaften
fördern soll, grundlegend um -
bauen wollen. Dazu zählen der stellvertretende
Unionsfraktionschef Andreas
Schockenhoff, die Grünen-Bundestagsabgeordnete
Marieluise Beck und Vertreter
von mehreren Nichtregierungsorganisationen.
Sie fordern in einem Eckpunktepapier
unter anderem, dass Stiftungen und andere
gesellschaftliche Gruppen stärker am Peterburger
Dialog beteiligt werden. Außerdem
wollen sie einen neuen Vorstand.
Damit dürfte die Zeit des letzten DDRMinisterpräsidenten
Lothar de Maiziere
an der Spitze des deutschen Lenkungsausschusses
vorüber sein. Er gilt im Kanzleramt
als zu unkritisch gegenüber Russland.
Auch Platzeck, der sich Hoffnung auf die
Nachfolge gemacht hatte, kommt nach seinen
jüngsten Äußerungen nicht mehr
infrage. „Wer Völkerrechtsbruch und militärische
Aggression legalisieren will, dem
fehlt die kritische Distanz gegenüber den
russischen Partnern“, sagt Schockenhoff.
In den anderen EU-Hauptstädten ist
man besorgt über die Differenzen zwischen
Kanzleramt und Außenministerium.
Allen ist klar, „dass nur Berlin mit den
Russen auf Augenhöhe verhandeln kann“,
drückt es der Botschafter eines großen EUPartners
aus. Die baltischen Länder und
Polen sorgen sich, dass Steinmeier die klare
Linie Berlins in der Ukrainefrage verlassen
könnte.
Beim Treffen der Außenminister am
vergangenen Montag erhielten solche Sorgen
Nahrung. Die Außenbeauftragte der
EU, Federica Mogherini, schlug vor, weitere
Russen auf die rote Sanktionsliste der
EU zu setzen. Doch Steinmeier machte
sich überraschend für eine Formulierung
stark, die sich nur auf die Separatisten in
der Ukraine bezog. Zur Begründung führte
er laut Teilnehmern an, beim G-20-Gipfel
im australischen Brisbane hätten sich
„neue Kanäle“ nach Moskau aufgetan, die
man nicht gleich wieder zuschütten solle.
Nicht nur der litauische Außenminister
rieb sich die Augen und widersprach heftig.
Auch Polen und Esten waren gegen
eine Schonung der Russen; sie hatten die
Gespräche in Brisbane ganz anders wahrgenommen,
als klare Verhärtung der Fronten.
Russland habe keinen positiven Schritt
unternommen, der eine Geste der EU
rechtfertigen würde, hieß es in den Reihen
der Moskau-Kritiker am Tisch.
Frank-Walter Steinmeier setzte sich am
Ende durch.
Nikolaus Blome, Peter Müller, Christian Neef,
Ralf Neukirch, Christoph Schult

Sie sitzen sich gegenüber, an einem
festlich geschmückten Karree im Rittersaal
des ehemaligen Palastes der
Großfürsten von Litauen. Sechs Meter liegen
zwischen ihnen, aber in Wahrheit trennen
Bundeskanzlerin Angela Merkel und
den ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch
in diesem Moment Welten.
Eben hat Janukowytsch gesprochen. Er
hat in gewundenen Sätzen zu erklären versucht,
warum dieser Gipfel der Östlichen
Partnerschaft der EU in Vilnius nicht so
sinnlos ist, wie er jetzt scheint. Und warum
es sich lohne weiterzuverhandeln und er
genauso engagiert wie bisher für eine gemeinsame
Zukunft einstehe. „Wir benötigen
sehr schnell Hilfen von mehreren Milliarden
Euro“, sagte Janukowytsch. Nun
will die Bundeskanzlerin etwas sagen.
Merkel schaut in die Runde der 28
Staats- und Regierungschefs der Europäischen
Union, die sich an diesem Abend in
Vilnius versammelt haben. Dann sagt sie
einen Satz voller Missbilligung und kühlem
Sarkasmus, der direkt an den ukrainischen
Präsidenten gerichtet ist. „Ich komme
mir wie auf einer Hochzeit vor, auf
der der Bräutigam in der letzten Minute
neue Bedingungen stellt.“
Viele Jahre haben die EU und die Ukraine
über ein Assoziierungsabkommen verhandelt.
Sie haben Absichtserklärungen
unterschrieben, Kabinetts- und Parlamentsbeschlüsse
erwirkt, unzählige Delegationsreisen
absolviert, gegenseitige Beteuerungen
ausgetauscht. Und nun, am Abend des
28. November 2013, im Alten Schloss von
Vilnius, wird zur Gewissheit, dass alles umsonst
gewesen ist. Es ist eine Zäsur.erns

Allen ist klar, dass die Bemühungen für
eine Anbindung der Ukraine an die EU
vorerst gescheitert sind. Aber niemandem
ist die Tragweite dieses Abends bewusst.
Niemand ahnt, dass sich aus diesem Scheitern
von Vilnius eine der größten Weltkrisen
seit dem Ende des Kalten Krieges entwickeln
wird, dass dies der Abend ist, der
neue Grenzen in Europa entstehen lässt
und den Kontinent an den Rand eines Krieges
bringt. Es ist der Moment, in dem
Europa Russland verloren hat.

Für die Ukraine wird das Scheitern von
Vilnius zur Katastrophe. Seit seiner Unabhängigkeit
1991 ringt das Land darum, sich
in Richtung EU zu orientieren, ohne die
Beziehungen zu Moskau zu beschädigen. Viele Jahre haben die EU und die Ukraine
über ein Assoziierungsabkommen verhandelt.
Sie haben Absichtserklärungen
unterschrieben, Kabinetts- und Parlamentsbeschlüsse
erwirkt, unzählige Delegationsreisen
absolviert, gegenseitige Beteuerungen
ausgetauscht. Und nun, am Abend des
28. November 2013, im Alten Schloss von
Vilnius, wird zur Gewissheit, dass alles umsonst
gewesen ist. Es ist eine Zäsur.

Die Wahl zwischen West und Ost, vor die
Brüssel und Moskau das Land stellen, hat
fatale Folgen für den fragilen Staat.
Doch die Folgen von Vilnius gehen weit
über die Ukraine hinaus. 25 Jahre nach
dem Mauerfall – und fast 70 Jahre nach
dem Ende des Zweiten Weltkriegs – ist
Europa wieder geteilt. Die Entfremdung
zwischen Russen und Europäern wächst.
Moskau und der Westen stehen sich feindseliger
gegenüber als in der Spätphase des
Kalten Krieges. Es ist eine Realität, die
man in Europa lange nicht zur Kenntnis
nehmen wollte.
Die Vorgeschichte von Vilnius ist eine
Geschichte von Fehleinschätzungen und
Missverständnissen, von Versäumnissen
und blinden Flecken. Sie ist die Chronik
eines außenpolitischen Versagens. Auf allen
Seiten. Russland hat den Willen der
Ukrainer unterschätzt, ihr Land an die EU
heranzuführen, und zu sehr auf seine
machtpolitischen Hebel vertraut.
Die EU hat ein Vertragswerk von rund
tausend Seiten ausgehandelt, doch die
machtpolitischen Realitäten hat Brüssel
ignoriert. Auch in Berlin hat man lang
nicht wahrhaben wollen, wie sehr Russland
sich durch das Vordringen von Nato
und EU nach Osten bedroht sieht. Dass
Moskau bereit sein könnte, eine weitere
Ausdehnung der westlichen Einflusssphäre
gewaltsam zu verhindern, hatte man nicht
auf dem Schirm.
Deutschland ist seiner Verantwortung
in Europa nicht gerecht geworden. Die
Kanzlerin hat Warnsignale ignoriert. Dabei
gilt Außenpolitik als ihre große Stärke,
ihre Königsdisziplin. Merkel hat sich als
Moderatorin bewährt, die Spannungen entschärfen
und konkrete Lösungen erarbeiten
kann. Aber Krisenmanagement allein
macht noch keine gute Außenpolitik. Was
in dieser Krise fehlte, war Weitsicht, die
Fähigkeit, einen aufziehenden Konflikt zu
erkennen. Stattdessen stellte man sich in
Berlin auf den Standpunkt, dass nicht sein
kann, was nicht sein darf.
Es sei Aufgabe Deutschlands und der
EU, sagt Merkel auf dem Gipfel, „stärker
mit Russland zu reden“. Doch die Einsicht
kommt zu spät.

……

Vilnius, Hotel Kempinski, 28. November
2013, 18.30 bis 20.30 Uhr
Sie warten auf Janukowytsch. Es ist das
letzte Mal, dass sie den ukrainischen Präsidenten
treffen, um ihn doch noch zur
Unterschrift zu bewegen, ein eigentlich
aussichtsloser Versuch. Aber Barroso und
EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy
haben sich vorgenommen, das Unmögliche
zu versuchen. Van Rompuy hat zwei Exemplare
des Assoziierungsabkommens mit
* Beim EU-Gipfel in Vilnius am 28. November 2013.
nach Vilnius genommen. Sie könnten sofort
unterzeichnet werden.
Ein paar Minuten später kommt Janukowytsch
mit einem Dolmetscher, dem
ukrainischen EU-Botschafter und einigen
Mitarbeitern. Das ist ungewöhnlich, die
wichtigen Gespräche hat er bisher immer
allein geführt. Die Begrüßung ist kurz, die
Rollen sind vertauscht. Diesmal ist die EU
der Bittsteller. Sie will unbedingt, dass Janukowytsch
unterschreibt.
Barroso ist die Nervosität anzumerken.
Die Wirtschaft der Ukraine werde langfristig
vom EU-Beitritt profitieren. „Polen und
die Ukraine hatten etwa das gleiche Bruttoinlandsprodukt,
als die Berliner Mauer
fiel. Jetzt ist das von Polen dreimal so
hoch“, sagt er. Dann kommt, was man den
Ukrainern als „mutigen Schachzug“ angekündigt
hatte: Barroso gibt zu verstehen,
dass Brüssel die Forderung nach der Freilassung
Tymoschenkos fallenlassen wird.
Sie reden noch immer von Tymoschenko?
Janukowytsch ist entgeistert. Versteht
Brüssel nicht, dass es längst um ganz andere
Themen geht? Das Gespräch wird hitzig.
Van Rompuy, nicht bekannt für überbordendes
Temperament, kann nicht mehr
an sich halten: „Sie handeln kurzsichtig“,
herrscht er Janukowytsch an. „Die Ukraine
hat sieben Jahre verhandelt, weil sie
dachten, es nutzt ihr. Wieso soll es jetzt
nicht mehr nutzen?“
Draußen hat der Empfang für die Staatsund
Regierungschefs längst begonnen. Die
EU-Unterhändler verstehen, dass sie Janukowytsch
nicht mehr umstimmen werden.
Nach zwei Stunden sagt Barroso: „Wir
müssen gehen.“ Van Rompuy und er schütteln
Janukowytsch kurz die Hand, dann
schließt sich die Tür hinter ihnen.
Als die deutsche Delegation unter Führung
der Kanzlerin am nächsten Morgen
Janukowytsch zu einer letzten Besprechung
trifft, ist längst alles entschieden.
Sie tauschen noch einmal die bekannten
Positionen aus, aber das Treffen ist nur
noch eine Farce. In einer der bedeutends -
ten Fragen der europäischen Außenpolitik
hat Deutschland versagt.
Auch Putin hat sich verrechnet. Noch
in der Nacht versammeln sich Tausende
Demonstranten auf dem Maidan. Drei
Monate später flieht Janukowytsch. Putin
annektiert die Krim. Bis heute hat der Konflikt
mehr als 4000 Tote gefordert, im Osten
der Ukraine tobt ein Krieg.
Man habe, sagt Außenminister Frank-
Walter Steinmeier bei seiner Antrittsrede
in Berlin im vergangenen Dezember, vielleicht
unterschätzt, „dass es dieses Land
überfordert, wenn es sich zwischen Europa
und Russland entscheiden muss“. Auch Füle
ist überzeugt, dass die EU die Ukraine vor
eine unmögliche Wahl gestellt hat. „,Tut
uns leid für eure geografische Lage‘, haben
wir ihnen gesagt, ,aber ihr könnt weder
nach Osten noch nach Westen gehen.‘“
Vor allem haben die Europäer Moskau
unterschätzt und seine Entschlossenheit,
eine klare Westbindung der Ukraine zu
verhindern. Sie haben russische Einwände
und ukrainische Warnungen nicht ernst genommen
oder ignoriert, weil sie nicht in
das eigene Weltbild passten. Berlin hat
eine von Prinzipien geleitete Außenpolitik
betrieben, die es geradezu zum Tabu machte,
mit Russland über die Ukraine zu sprechen.
„Unsere ehrgeizige Politik der Öst -
lichen Partnerschaft wurde nicht von einer
ehrgeizigen und einvernehmlichen Russlandpolitik
begleitet“, sagt Füle. „Wir haben
keine Politik gefunden, um uns angemessen
auf Russland einzulassen.“
Russland und Europa haben aneinander
vorbeigeredet und sich missverstanden. In
Ost und West trafen zwei außenpolitische
Kulturen aufeinander, eine westliche Politik,
die sich über Verträge und Paragrafen
definiert – und eine östliche, in der es viel
mehr um Status und Symbole geht.
Vier Monate nach dem Gipfel von Vilnius
wird der politische Teil des Assoziierungsabkommens
zwischen Brüssel und
Kiew doch noch unterzeichnet, weitere
drei Monate später der wirtschaftliche Teil.
Der Preis, den die Ukraine in der Zwischenzeit
gezahlt hat, ist gigantisch. Dieses
Mal bekommt Russland ein Mitspracherecht.
2370 Fragen müssen erst mal mit
Moskau geklärt werden, bevor das Abkommen
in Kraft treten kann. Ein Prozess von
Jahren. Es ist das letzte gemeinsame Thema,
über das Moskau und die EU noch
miteinander sprechen.
Christiane Hoffmann, Marc Hujer,
Ralf Neukirch, Matthias Schepp,
Gregor Peter Schmitz, Christoph Schult


Freitag, 14. November 2014

Konjunktur und Krise - Das Herbstgutachten der Wirtschaftsweisen 14

Die Astrologen der Ökonomie melden sich auftragsgemäß wieder zu Wort

Im Herbst 13 sahen sie die BRD noch im Aufwind: 1,6 % sollten es 2014 werden und im Frühjahr 14 sogar 1,9 % Wachstum des BIP pro Jahr – nicht richtig viel im Vergleich mit den USA, aber ordentlich im Vergleich mit dem Tal der Tränen in der EU und der Eurozone. 
Und nun – im November 14 – das Jahr ist ökonmisch fast gelaufen, sollen es gerade mal 1,2 % für 2014 werden und für 2015 werden auch nur schlappe 1,0 % vorhergesagt, unter der Voraussetzung, dass die Investitionen um 3 % steigen sollen – warum dies geschehen soll, bleibt das Geheimnis der „Astrologen“.

Und wer ist Schuld an der Wachstumsschwäche? Der SVR:
„Das Tarifautonomiestärkungsgesetz schränkt mit dem Mindestlohn die interne Flexibilität der Unternehmen ein, vor allem im Bereich einfacher Tätigkeiten. Die Möglichkeit, Löhne und Arbeitszeiten an die wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen, muss aber als ein wesentlicher Grund für den Arbeitsmarktaufschwung der Vergangenheit gesehen werden. Die nun geschaffene Lohnrigidität birgt erhebliche Gefahren für die zukünftige Beschäftigungsentwicklung, insbesondere in Krisenzeiten. Die Möglichkeiten, den Beschäftigungsstand an die wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen, sind in Deutschland ohnehin nicht sehr groß. Um Investitionen zu tätigen und Arbeitsplätze zu schaffen, also langfristig planen zu können, benötigen Unternehmen aber ein Mindestmaß an Flexibilität“ (Kapitel 1, Seite 18).(Hvhbg JM)


Selbst Frau Merkel meinte bei der öffentlichen Vorstellung (süffisant?) lächend, es sei nicht trivial zu verstehen, wie ein erst gelanter Tatbestand, für den noch nicht einmal das Gesetz beschlossen sei, schon heute die Wachstumsrate beeinflussen könne. Zwar hat sie hier mal Recht – aber so etwas kann schon vorkommen – wenn dieZukunft im Inland für die Profite bedrohlich erscheint – entdeckt „das Kapital“ schnell seine Qualität als „scheues Reh“ – und geht lieber ins Ausland oder bleibt mit den Exportüberschüssen gleich dort und steckt das Geldkapital in Finanzanlagen.

Flassbeck kommentiert das noch sehr zurüchaltend unter der Überschrift
„Sachverständigenrat: Auch aus Prognoseschaden will man nicht klug werden
Nein, es ist immer das Gleiche. Die Angebotstheorie ist unbrauchbar, aber das kann man sich natürlich nicht eingestehen und schiebt daher fadenscheinige Begründungen hinterher, wenn man falsch gelegen hat. Es ist doch mehr als erstaunlich, dass die Institute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose exakt den gleichen Fehler wie der SVR machen, nämlich die Investitionstätigkeit zu überschätzen und im Gefolge auch den Konsum zu hoch anzusetzen. Denn beide haben erwartet, dass die von den Investitionen angeschobene Entwicklung den Unternehmen hohe Gewinne beschert und daher die Haushalte, deren Einkommen vor allem von Gewinn und Vermögen abhängen, in erheblichem Maße die Konsumausgaben beflügeln.
Was bleibt, ist eine wirtschaftspolitische Beratungswüste, aus der kaum ein grüner Baum ragt, weil die Politik es zugelassen hat, dass die große Mehrheit des Faches sich in eine unhaltbare und klar ideologisch fundierte Position zurückgezogen hat und dort ohne jede Bereitschaft, aus den eigenen Fehlern zu lernen, verharrt. Wer im Jahre sechs nach der großen globalen Marktkrise ein Jahresgutachten mit dem Titel überschreibt „Mehr Vertrauen in Marktprozesse“, dem ist endgültig nicht mehr zu trauen.“


Flassbeck zeigt anhand einer wiedergegebenen Tabelle aus den SVR Gutachten, dass die Fehlprognosen systematisch aus den zu hohen Annahmen über die Investionsqoten zustande kommen, die wiederum aus der neoliberalen Annahme stammen, dass schon niedrige Kapitalkosten an sich die Kapitalisten zu Investionen veranlassen – auch wenn die Nachfrage für die zusätzlichen Kapazitäten fehlen. Praktisch ist das Kapital da viel pragmatischer – ohne vorhandene oder vermutete Nachfragesteigerung keine Investionen, auch wenn man auf jede Menge freiem Geldkapital sitzt, wie in der BRD – steckt man dieses dann doch lieber in (spekulative) Finanztitel.
http://www.flassbeck-economics.de/sachverstaendigenrat-auch-aus-prognoseschaden-will-man-nicht-klug-werden/


Wolfgang Lieb von den Nachdenkseiten geht noch sehr viel schärfer mit dem Sachverständigenrat ins Gericht:

„Jahresgutachten des „Sachverständigenrats“: „Wirtschaftswissenschaft“ als Arbeitgeberpropaganda - ...

Da ist die Wirtschaft durch den Glauben an die „Märkte“ weltweit an die Wand gefahren, das hindert den „Sachverständigenrat“ nicht, als Titel für sein Jahresgutachten „Mehr Vertrauen in Marktprozesse“ zu wählen. Das Credo der Mehrheit dieser „Ökonomen“ scheint zu sein: „Umso schlimmer für die Wirklichkeit, wenn sie unserer Ideologie“ nicht folgt. Von Wolfgang Lieb.“ …
http://www.nachdenkseiten.de/?p=23931


Die nachfolgende ausführliche Kritik, mit Zitaten des SVR belegt, ist nicht nur ökonomisch sondern auch für die fundierte politische Debatte sehr nützlich.
Aber erst ein Blick auf die längerfristige Entwicklung in der EU, der Eurozone und der BRD zeigt, dass wir es nicht nur mit einer Art konjunktureller Stagnation nach der Krise in Europa und besonders in der BRD zu tun haben, sondern dass das ökonomische Entwicklungsmuster der BRD eine Zuspitzung der „normalen“ Tendenz der kapitalistischen Industrieproduktion zur Steigerung der Profite auf Kosten der Lohnanteile am Umsatz kennzeichnet.


Auf querschüsse.de vom 14. Okt 14 sind unter dem Titel

„Eurozone: Industrieproduktion August 2014“

Charts der Industrieproduktion in der Eurozone zu sehen, die bis 1960, 1990 und 2000 zurückgehen und die dramatische Veränderung seit 2008 zeigen.
http://www.querschuesse.de/eurozone-industrieproduktion-august-2014/


Speziell für die BRD sind dann am gleichen Ort am 16. Okt 14 unter der Überschrift

„Deutschland: hohe Unternehmensgewinne und niedrige Nettoinvestitionen“


hervorragende Charts zu sehen, wie diese Entwicklung schon seit 1990 ihren Lauf nimmt. Zur Begründung heißt es dort:
„Zum Kern einer redlichen Analyse gehört, die schiefe Einkommensverteilung in Deutschland, die Schwächung der Masseneinkommen und damit auch, warum die Unternehmen nicht stärker in Deutschland investieren. Der Export läuft längst auf Anschlag und potentiell droht eher ein latenter Rückgang, die Binnennachfrage bleibt schwach und die Produktionskapazitäten sind klar unterlastet“
http://www.querschuesse.de/deutschland-hohe-unternehmensgewinne-und-niedrige-nettoinvestitionen/


Die ersten Ergebnisse der BIP-Daten des Stat. Bundesamtes für das 3. Quartal 14 von heute, 14.11.14, sind noch zu wenig detailliert, um schon kommentiert zu werden. 

JM

Sonntag, 9. November 2014

Die USA erobern Europa - mit Hilfe der Ukraine - von Wolfgang Bittner

Ein kurzes Buch zum Nachlesen für die Eifrigen - vor allem aber für die Kritischen mit wenig Zeit

Es ist eine Art kritisches Tagebuch, das die Schilderung mit Belegquellen der wichtigsten Ereignisse mit der klaren Benennung der Verantwortlichen und ihrer Interessen und mit einer selten scharfen moralischen Kennzeichnung verbindet.
Und dies in einer Sprache, die klar und einfach sowie einer Gliederung, die schnelles und auch unterbrochenes Lesen für Leute mit wenig Zeit ermöglicht - also ideal für die Befestigung von aufklärender politischer Information.
Das längste Stück ist die Rede von Putin zur Aufnahme der Krim in die russische Förderation gegen Ende des Buches  - solche Politikerreden kann man selten lesen. Zur weiteren Desillusionierung über die USA wäre die kürzliche Rede von Obama vor der UNO Generalversammlung zu empfehlen, die allerdings nicht im Buch steht.
Für eine evt zweite Auflage würde man man sich eine weitreichende und eine aktuelle Zeitleiste wünschen, sowie die eine und andere Kartenskizze!

JM

Hier die ausführliche Rezension von Jenniver Munro in den NDS:

Rezension: „Die Eroberung Europas durch die USA“ –
Wolfgang Bittners faktenreiches Buch gibt Aufschluss
über die Ukraine-Krise
Wolfgang Lieb · Mittwoch den 5. November 2014
Nach mehr als zwei Jahrzehnten friedlicher Nachbarschaft und wirtschaftlicher
Kooperation durchzieht Europa wieder ein Eiserner Vorhang, verursacht durch die
Krise in der Ukraine, wo inzwischen Bürgerkrieg herrscht. Wie kam es dazu?
Wolfgang Bittner zeichnet minutiös die Entwicklung der letzten Monate nach und gibt
Aufschluss über die verhängnisvolle Einflussnahme der USA und der EU auf die
Destabilisierung des Landes. Er beschreibt, wie die Ukraine, „als Brückenland von
großer geostrategischer Bedeutung sowie als Wirtschaftsraum und Tor zu Russlands
Ressourcen“ über Jahre hinweg systematisch durch subversive Kräfte zu dem wurde,
was sie gegenwärtig ist: Kriegsschauplatz und Zentrum der Auseinandersetzungen
zwischen einer „westlichen Allianz“ und Russland. Von Jennifer Munro.
Der Autor steht mit seiner Kritik an Politik und Medien nicht allein. Er zitiert
namhafte Wissenschaftler wie Norman Birnbaum, John J. Maersheimer, Karel van
Wolferen oder Daniele Ganser, die der gleichen Meinung sind. Ebenso die auf
Ausgleich mit Russland bedachten Politiker Helmut Schmidt, Egon Bahr, Willy
Wimmer und Jack Matlock sowie die Journalisten Albrecht Müller, Gabriele Krone-
Schmalz, Jakob Augstein und Gabor Steingart.
Zum Beispiel bringt der niederländische Politikwissenschaftler Karel van Wolferen die
Situation in der Ukraine auf den Punkt, wenn er über den schmutzigen Krieg gegen
die russisch-sprechenden Ostukrainer schreibt [PDF - 122 KB], „die nicht regiert
werden möchten von einer Sammlung von Verbrechern, Abkömmlingen ukrainischer
Nazis und in den IWF und die EU verliebten Oligarchen“.
Die Entwicklung bis zur Konfrontation der „westlichen Allianz“ mit Russland im
ukrainischen Bürgerkrieg wird anhand zahlreicher Belege Schritt für Schritt bis Ende
September 2014 dokumentiert. Dabei wird nach und nach verdeutlicht, dass die
Aggression, für die Russland und insbesondere Wladimir Putin verantwortlich
gemacht wird, vom Westen ausgegangen ist und durch die desaströsen
Wirtschaftssanktionen weiter verschärft wird.
Bittner spricht von einem „Jahrhundertdesaster“. Tragisch sei vor allem die erneute
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Teilung Europas, die zur Orientierung Russlands nach China und zu einem verstärkten
Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen mit den übrigen BRICS-Staaten führt, nachdem
Wladimir Putin mehrmals vergeblich um eine vertrauensvolle Kooperation mit der
Europäischen Union geworben hatte. Die Konfrontation – so Bittner – sei nachweislich
von den USA inszeniert worden und könne nicht im Interesse Europas sein, das auf
die russischen Ressourcen angewiesen ist, einmal abgesehen von den über
Jahrhunderte gewachsenen kulturellen Verbindungen.
In mehreren Kapiteln wird das Ziel der US-amerikanischen Strategie analysiert, sich
die Ukraine als wirtschaftliche und militärische Ausgangsbasis im Kampf gegen
Russland einzuverleiben sowie als Führungsmacht die NATO und die EU (und vor
allem Deutschland) auf Sanktionskurs zu zwingen. Bittner vertritt die Ansicht,
Russland solle auf der politischen Bühne als globaler Akteur ausgeschaltet, Wladimir
Putin diskreditiert und die Bedeutung Russlands als Energie-, Rohstofflieferant und
Handelspartner Europas minimiert werden. Hinzu komme die von Barack Obama und
der NATO geforderte Erhöhung der Militärausgaben und eine Militarisierung der
Außenpolitik.
Demgegenüber verfüge die Bundesregierung über keine die deutschen Interessen
wahrende Außenpolitik. Außenminister Steinmeier erscheine unfähig, und Kanzlerin
Merkel unterwerfe sich offensichtlich den politischen Zielen der US-Regierung.
Einerseits unterstütze sie nachdrücklich die Sanktionspolitik, andererseits wolle sie
die Gespräche mit Wladimir Putin nicht abreißen lassen, wie sie immer wieder
beteuere – „ein seltsam widersprüchliches, bigottes Verhalten in dieser unsinnigen,
irrationalen Politik des vom Westen inszenierten Wirtschaftskrieges, der für alle
Seiten ruinös zu werden droht“.
In der Frage der Einflussnahme der USA auf die europäische Politik stimmt Bittner
weitgehend mit dem ehemaligen Staatssekretär im Verteidigungsministerium und
Vizepräsidenten der OSZE Willy Wimmer überein, der schreibt: „Washington schmeißt
Russland aus Europa hinaus und bekommt Westeuropa unter Komplett-Kontrolle. Da
mag es traditionell noch so gute Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und
Deutschland geben. Washington dreht diesen Hahn in Zukunft ab oder Moskau kriecht
zu Kreuze und liefert nicht nur das russische Erdgas und Erdöl amerikanischer
Kontrolle aus, wie es zu Zeiten von Yukos fast gelungen wäre […] Wir Westeuropäer
sollten uns nichts vormachen. Wir werden zum ‚Europäer-Gebiet‘ …“
Hochinteressant ist zudem ein Brief des ehemaligen Präsidenten des Volksbundes
deutscher Kriegsgräberfürsorge und Regierungspräsidenten von Braunschweig, Karl-
Wilhelm Lange, an Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der im Anhang
dokumentiert wird. Darin heißt es u.a.: „Unübersehbar ist jedoch, dass Ihre auf dem
Vorrang der Diplomatie beharrende Politik durch die Zuspitzung der Krise in die
Gefahr gerät, überrollt und ausgehebelt zu werden durch die Strategie der USA und
der Nato, Russland und Putin als Alleinschuldige der Krise zur Verantwortung zu
ziehen, beide zu Parias der europäischen und internationalen Politik zu machen, sie zu
isolieren und sie zugleich politisch und wirtschaftlich zu destabilisieren.“
Abschließend wünscht Wolfgang Bittner den USA „Politiker, die den Mut hätten, das
eigene Land als Interventionsfall zu erkennen, statt überall in der Welt Chaos und
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Unglück zu verbreiten“. Er hat ein außerordentlich wichtiges Buch mit vielen ins
Detail gehenden Hintergrundinformationen verfasst, sehr klar und überzeugend in
Diktion, Analyse und chronologischer Gliederung. Als unverzichtbare Lektüre auch für
Leserinnen und Leser aus Politik und Wirtschaft zu empfehlen.
Wolfgang Bittner: „Die Eroberung Europas durch die USA“, VAT Verlag André Thiele,
Mainz 2014, 148 Seiten, 12.90 Euro.
Hier ein Auszug aus Wolfgang Bittners neuem Buch [PDF - 74 KB].
Dieser Beitrag wurde publiziert am Mittwoch den 5. November 2014 um 09:56
in der Kategorie: Außen- und Sicherheitspolitik, Außenpolitik, Europapolitik,
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Sonntag, 19. Oktober 2014

Öl - islamischer Fundamentalismus und US-Imperialismus im Nahen Osten

Zur Erinnerung ein Artikel über den Hintergrund von Isis und Kobane:

"Öl, Profit und Terror
Jörg Miehe
Junge Welt v  25.09.2001 

Wer die Terroranschläge am 11. September in den USA verübt hat, weiß man noch nicht. Die Folgen aber sind absehbar."

Was in der Überschrift als Zusammenhang angedeutet ist, hat im 20.Jahrhundert eine lange Vorgeschichte, die nicht erst mit dem Putsch gegen eine demokratisch legitimierte bürgerliche Regierung im Iran 1953 durch den US-Geheimdienst, im Verbund mit royalistischer einheimischer Reaktion zur Verhinderung der Nationalisierung des iranischen Erdöls, beginnt.
Zur Erinnerung an die nur kurz zurück liegende Geschichte des gleichen Zusammenhanges aus dem Jahr 2001 - richtig, die Sache von 9/11: Der Artikel ist aus heutiger Sicht zu tolerant gegenüber der Version der US-Regierung - eine wirkliche Verschwörungstheorie von bodenlos schlampiger Dreistigkeit. Wobei es bisher keine glaubhafte Version gibt - wenn auch viele Vermutungen.
Und er geht noch davon aus, dass es der US-Regierung nicht gelingen würde ihre Koalition der Willigen gegen Afghanistan durch einen UN-Beschluß zu legitimieren - eine Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion.
Außerdem ist die Öl-Rente als das ökonomisch wirklich Ziel der US-Interventionen im Nahen Osten noch nicht richtig benannt.
Und der Nebenkriegschauplatz zwischen Kurden und der Türkei ist ebenfalls nicht erwähnt, obwohl der schon aus der Zeit des Zerfalls des osmanischen Reiches vor und im 1. Weltkrieges stammt, als das Erdöl auch des Nahen Ostens seine imperialistische und industrielle Karriere beginnt.

Die aufgezählten Probleme der Region zur Selbstbestimmung sind immer noch vorhanden - oder vielmehr noch schlimmmer geworden, nachdem der Irak zerbomt, die Gesellschaft zerfallen ist und militante Kräfte sie permanent terrorisieren, der Staat, die Gesellschaft und die Infrastruktur Libyens zerstört sind und das Gleiche seit drei Jahren an Syrien exekutiert wird.

"Die Anschläge gegen das World-Trade-Center in New York und das Pentagon in Washington zielten auf die Zentralmacht des Weltkapitalismus. Allerdings wird auch dieser Terroranschlag wieder zeigen, daß diese Kampfesweise die Herrschenden stärkt, diesmal auch international. Von einer solchen Geschlossenheit nach innen und außen und einem Freifahrtschein für ihre Pläne konnte die kapitalistische Führungsmacht seit dem Golfkrieg nur träumen.
Wenn wir die Anschläge näher betrachten, kommen sehr widersprüchliche Dinge zutage. Folgen wir der Medien-Version der Herrschenden, die Urheber seien in islamistischen Kreisen aus dem Nahen Osten zu finden, dann wäre die weltpolitische Zielsetzung »antiimperialistisch« - sie richtete sich gegen Einfluß, Macht, gesellschaftliche Folgen und moralische Wirkungen des von den USA vorangetriebenen und geschützten Kapitalismus in dieser Weltgegend. In deren Zentrum steht das Öl, stehen Saudi-Arabien, Kuweit, Irak, die Emirate und der Iran - mit den westlichen Ölkonzernen als Interessenten, mit ihren Eigentümern, Profiten und den staatlichen Hütern dieser Verhältnisse.
Statt Kolonien zu erobern oder formelle Imperien einzurichten wird der Einkauf des Öls nach dem Zweiten Weltkrieg mit den herrschenden Kreisen formell unabhängiger Staaten vertraglich geregelt. Erweisen sich diese politisch und ökonomisch als nicht fähig oder nicht willig, so müssen sie beseitigt und ersetzt werden. Die Geschichte des Nahen Ostens ist nach 1945 voll von Intrigen, Coups, Putschen, Revolutionen und Konterrevolutionen und auch Kriegen um den Zugang des »zivilisierten« Westens zum billig sprudelnden, profitablen Öl.

Rohstoffaneignung
Aus einsehbaren historischen Gründen repräsentieren die willigen Kräfte nicht die nationalen Bourgeoisien, die sich nur zögernd entwickeln, und auch nicht die abhängigen bäuerlichen oder kleinbürgerlichen städtischen Massen, die sich langsam aus den spätfeudalen Verhältnissen herauswinden. Sie kommen vielmehr aus den ökonomisch noch verankerten feudalen Schichten und ihren adeligen Spitzen.
Diese spätfeudalen Kräfte stützen sich ideologisch und institutionell immer noch stark auf die Religion des Feudalismus des Nahen Ostens, den Islam. Die Ähnlichkeit mit den entsprechenden Verhältnissen im spätfeudalen christlichen Abendland ist nicht zu übersehen. Eine Folge der Herrschaft der spätfeudalen Strukturen, ihrer Verbindung mit der Religion und ihres Paktierens mit dem Öl-Imperialismus ist, daß die Opposition gegen diese Strukturen, gegen den Imperialismus und gegen die korrupte Kapitalisierung der Gesellschaften inhaltlich und sozial die Form der religiösen Reaktion annehmen kann.
Besonders ausgeprägt war dies bei der durch schiitische Mullahs organisierten Revolution gegen das Schah-Regime im Iran. Das Schah-Regime war von imperialistischen Kräften gegen die sich regende nationale Bourgeoisie in Stellung gebracht worden, als diese mit einer parlamentarischen Regierung den nationalen Reichtum des Öls in die eigenen Hände nehmen wollte. Ökonomisch und klassenpolitisch komplizierter wurde dies später, als dieser spätfeudale Pappkamerad der Imperialisten einen scharfen Kurs der ökonomischen Modernisierung, sprich der Kapitalisierung einschlug. Die ökonomische Stoßrichtung der Mullah-Revolution war antiimperialistisch, zunächst im Bündnis mit dem städtischen Kleinbürgertum, der Handelsbourgeoisie und der modernen Intelligenz, innenpolitisch allerdings auf Dauer nicht weniger reaktionär als die Schah-Diktatur.
Im Irak ist die antiimperialistische Stoßrichtung des Regimes auf andere Weise zustande gekommen. Teile des Militärs hatten das von den Imperialisten nach dem Ersten Weltkrieg eingesetzte Königshaus, das nach dem Zweiten Weltkrieg willfähriger Partner der auswärtigen Ölinteressen und der globalen antisozialistischen Allianz war, gestürzt und eine militärische Revolutionsregierung eingerichtet. Unter dem Banner des radikalen, sozialistisch firmierenden, arabischen Nationalismus der Baath-Bewegung war die rigorose nationale Inbesitznahme der Ölquellen eine der wichtigsten Maßnahmen - wogegen der »zivilisierte« Westen zunächst wenig ausrichten konnte, u.a. wegen der antiimperialistischen Rolle der Sowjetunion. Mit den Öleinnahmen wurden u.a. Bildungssystem und Krankenversorgung organisiert und große Entwicklungsprojekte finanziert. Später änderte sich die außenpolitische Stoßrichtung und die personelle Spitze des Militärregimes. Dagegen wurde die sozialpolitische und die säkulare Orientierung beibehalten. Vermutlich hatte sich mit der Aneignung der Öleinnahmen auch eine Änderung in der Klassenkonstellation der Gesellschaft ergeben.
Die doppelte Angst der Mullahs
Der Irak griff den Iran wegen territorialer Streitigkeiten an. Es ergab sich eine merkwürdige historische Konstellation. Eine im inneren sozial fortschrittliche und säkulare Militärdiktatur mit antiimperialistischer Orientierung beim landeseigenen Öl griff das innenpolisch religiös-reaktionäre, aber hinsichtlich des Öls ebenfalls antiimperialistische Mullah-Regime militärisch an - finanziell und politisch unterstützt von den reaktionären Feudalregimen der Saudis, der Kuweitis und der Emirate. Zudem unterstützten die USA diese Entwickung in guter imperialistischer Manier und ließen dabei den einen Antiimperialismus den anderen bekämpfen.
Die reaktionären arabischen Unterstützer des irakischen Expansionskrieges unterschieden sich nicht in der Deklaration des religiösen Fundamentalismus vom Iran, sondern in ihrem Bündnis mit den Ölkonzernen und den USA - womit ihre religiöse Position automatisch unglaubwürdig wurde. Sie hatten also doppelte Angst - vor dem gesellschaftlich zur Macht gekommenen religiösen Fundamentalismus im Iran und vor dem dadurch vermittelten Druck zur Aufgabe ihres Bündnisses mit den Ölimperialisten. Dieser Widerspruch zu dem Anspruch islamischer Rechtgläubigkeit, sozialer Gerechtigkeit und Sorge um den arabischen Reichtum erzeugte religiös formulierte Opposition, aus der später auch bin Laden hervorging.
Der nationale Expansionskrieg des Irak gegen den Iran scheiterte. Als neues nationales Projekt der irakischen Führung wurde die Einverleibung von Territorium und Öl Kuweits in den Irak ins Auge gefaßt. Kuweit war historisch ein integraler Bestandteil der Provinz des Zweistromlandes und erst nach der Auflösung des osmanischen Reiches von den westlichen Kolonialmächten einer gesonderten Dynastie übereignet worden. Die USA schienen ihrem früheren Verbündeten freie Hand zu lassen - bauten dies aber als Falle auf. Das Öl von Kuweit sollte bei den Konzernen bleiben und jenes des Irak wieder zurückgeholt und in Konzernprofite verwandelt werden.
Das Verhältnis zum Imperialismus war in diesem zweiten Expansionsversuch also anders. Der Irak als antiimperialistisch orientiertes, bürgerliches Militärregime nahm sich diesmal ein spätfeudales, religiös beweihräuchertes Adelsregime, einen engen Bündnispartner der Ölkonzerne und der USA, zum Gegner - und damit unversehens den Imperialismus selber. Dabei mußte es feststellen, daß es in der Region ohne Bündnispartner war und die antiimperialistische Rückenstärkung der Sowjetunion ebenfalls abhanden gekommen war. Die USA konnten den Irak, gedeckt von einer überwältigenden politischen Koalition, in einem Blitzkrieg aus der Luft und über Land kurz und klein schießen.
Die religiös auftretende Opposition in Saudi-Arabien hatte auf einen eigenen Kreuzzug gegen den säkularen Bösewicht aus dem Irak gehofft. Statt dessen holte die herrschende Dynastie das Militär der USA ins Land und überließ ihm nach dem Sieg sogar Stützpunkte im heiligen Land - das Militär jenes Landes, das die Okkupation anderer heiliger Stätten des Islam in Palästina offen unterstützte und erst möglich machte. Die Saudis versuchten, diesen Widerspruch mit der Finanzierung von reaktionären fundamentalistischen Bewegungen in der Welt zu überspielen, in Afghanistan, in Tschetschenien, in Bosnien und sonstwo in der Welt.
Bin Laden, als gut und modern ausgebildeter Sohn aus der ökonomischen Bourgeoisie Saudi-Arabiens, meldete sich an die früher entstandene Front in Afghanistan. Dort hatte eine Modernisierungskoalition aus Militär, Intelligenz und Teilen des Kleinbürgertums nach einem Putsch im Königshaus die politische Macht übernommen. In der Radikalisierung gab sich diese Koalition sogar sozialistische Orientierungen und verschärfte damit die Klassenauseinandersetzungen dramatisch. Nachdem die einheimische Reaktion, massiv unterstützt von Pakistan, finanziert von Saudi-Arabien, gedeckt und teils auch militärisch ausgerüstet von den USA, zur Konterrevolution antrat, rief die in Bedrängnis und Isolation geratene und gespaltene Führung dann den staatlichen Sozialismus militärisch zu Hilfe. Bin Laden kämpfte gegen die fremden, sozialistischen Heiden aus der Sowjetunion in einer religiös auftretenden, sozial archaischen und reaktionären Front mit den modernen Methoden und Mitteln seiner sozialen Herkunft und seiner beruflichen Ausbildung.
Wie bekannt, erlitten Sowjetarmee und Modernisierungskoalition eine schreckliche Niederlage. Die Führer der Stämme und der islamistischen Kampfverbände konnten sich aber nach ihrem Sieg politisch nicht einigen, der Bürgerkrieg wurde zwischen den Koalitionären der Anti-Modernisierungs-Front fortgesetzt. Wiederum mit Hilfe Pakistans wurde ein Teil der jungen Exilanten aus den paschtunischen Stämmen, in Koranschulen in Pakistan islamistisch weitergebildet, nun als religiöse Ordnungstruppe gegen Stammesrivalitäten und korrupte islamistische Kriegsgewinnler in Marsch gesetzt und wiederum auch mit dem Wohlwollen der USA - mit Erfolg.
Nach dem Sieg gegen die Modernisierer in Afghanistan erschien dann bin Laden und seinen arabischen Gotteskämpfern das heimatliche Regime der Saudis selber als das eigentliche historische Übel, das vom wahren Teufel in der Welt, den kapitalistischen USA, zum Sündenfall verführt und angetrieben worden war. Bin Laden wird nun zum Exekutor des inneren Widerspruchs des saudi-arabischen Regimes auf der Seite des religiösen Fundamentalismus, der mit seinem Asketismus auch soziale Bedeutungen hat.
Nach dem objektiv antiimperialistischen, aber eben auch antizivilisatorischen Terroranschlag in den USA rufen die USA wiederum eine weltweite Koalition zusammen. Diesmal ist die gesamte EU und ist auch Deutschland mit im Boot, obwohl alle Vorhaben der USA gegen internationales Recht tendieren. Diesmal ist nicht einmal das Theaterstück eines internationalen Gerichtshofes vorgesehen - es soll angeblich gegen bin Laden und ungenannte andere gehen: »Fangt sie, tot oder lebendig.«

Der Weg in den Iran und Irak
Zwar muß die Schutzfunktion der US-Regierung für ihre einheimische Militärverwaltung und ihre einheimischen Kapitalhändler auch propagandistisch wiederhergestellt werden, aber die wirklich wichtigen objektiven Interessen sind mit dem Öl und mit der Beherrschung des Nahen Ostens verbunden. Noch immer verhindert das säkulare, bürgerliche Militärregime im Irak, daß die Ölkonzerne sich dieser zweitgrößten (gleichauf mit Kuweit) billigen Ölreserven bedienen können; und noch immer hindert die islamische Mullahherrschaft im Iran die Ölkonzerne daran, die drittgrößte, wenn auch nicht so profitable Reserve in den eigenen Verkehr zu bringen.
Es geht also um die Einbeziehung von zwei Staaten in einer immer noch unentwickelten Region in die kapitalistische Weltwirtschaft des Öls. Diese ist das mit Abstand profitabelste stofflich basierte weltweite kapitalistische Geschäft - nach den weltweiten Finanzgeschäften. Die Folgen bestünden nicht in der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise mit breiter Einführung moderner Produktivkräfte und bürgerlicher Gesellschaft. Daher ist vom Ausgang einer solchen Entwicklung kein sozialer Fortschritt zu erwarten. Allerdings versprechen die von Iran und Irak vorgeführten antiimperialistischen Varianten staatlicher Selbständigkeit und nationaler Verfügung über die Ölreserven auch keinen Erfolg. Die eine nach innen und außen religiös expansiv und daher in beiden Richtungen reaktionär, die andere, zwar säkular, aber diktatorisch nach innen und expansiv nach außen, ist ebenfalls wenig fortschrittsträchtig. Wobei gesehen werden muß, daß beide Regime sich bemüht haben, den nationalen Ölreichtum im Lande selber zu verwenden und nicht, wie die meisten Öldynastien, im Luxus zu verschwenden.
Eine sozialistische Perspektive auf dieser unentwickelten Basis kann man wohl nach den jüngsten historischen Erfahrungen ausschließen, eine Bewegung in diese Richtung ist jedenfalls nicht abzusehen. Man muß also die bittere Wahrheit zur Kenntnis nehmen, daß der Kapitalismus als Formation noch nicht ausgedient hat. Dazu wäre es allerdings unmittelbar erforderlich, neben vielem anderen, seine imperialistische Variante zu beseitigen, ihm den imperialistischen Handlungsraum zu nehmen, wie ihm ja auch schon der Kolonialismus abhanden gekommen ist.

Willfährige Dynastien
Historisch überfällig und notwendig ist daher der Sturz der reaktionären spätfeudalen Dynastien am Golf. Dies wäre die minimale Voraussetzung einer national je eigenständigen inneren Entwicklung zu bürgerlichen kapitalistischen Gesellschaften. Da aber die inneren sozialen und politischen Kräfte dafür nicht ausreichen, oder wegen der Verteilung des Ölreichtums im Inneren kein Interesse daran haben, ist ein regionales Bündnis sozialer Kräften und Staaten unumgänglich - von Irak und Iran aber bisher nicht zu erwarten. Erforderlich wäre eine gemäßigt säkulare, dem Islam weiter verbundene Koalition von Intelligenz, Teilen des sich entwickelnden Bürgertums, der umfangreicher werdenden, zunehmend verarmten Massen in den Städten und von Teilen des Militärs. Wobei die Massen weder in Kuweit noch in den Emiraten oder in Saudi-Arabien zu finden sind - höchstens als ausgebeutete Arbeitsmigranten. Die Massen leben in Ägypten, in Palästina, in Syrien, in der Türkei und in den Ölstaaten Irak und Iran, mittendrin die Kurden.
Die USA werden mit Hilfe der jetzt geschmiedeten Koalition alles versuchen, um Irak und Iran wieder zu übernehmen und dort eine regionale soziale Bewegung zu verhindern. Die soziale, ideologische und nationale Zersplitterung ihrer Gegner kommt ihnen dabei zu Hilfe: Die auf eine unentwickelte Bourgeoisie gestützten säkularen Diktaturen des Irak und Syriens sowie das fundamentalistische kleinbürgerlich-spätfeudale Regime der Mullahs im Iran sind die wenig erfolgsträchtigen Gegner - von den Libanesen, den Palästinensern und auch den Kurden gar nicht zu reden. Die spätfeudale, religiös verbrämte Macht der willfährigen Dynastien, wie in Kuweit, in Saudi-Arabien und den Emiraten, mit ihrer reinen Ölexport-Ökonomie, das ausgehaltene Königsregime in Jordanien und das ebenfalls fremdfinanzierte Militärregime Ägyptens, mit ihrem klein- und großbourgeoisen Kapitalismus ohne eigene Produktionsbasis, der industriell hochentwickelte bürgerlich-demokratische Siedlerkolonialismus Israels und das demokratisch verbrämte Militärregime der Türkei mit einer spätfeudalen Landwirtschaft und schwachen Industrie, sind die noch intakten, sehr heterogenen regionalen Stützen, aber fast alle historisch ohne jede Perspektive.
Die nächsten Wochen und Monate werden sich darum drehen, ob ein Feldzug gegen Afghanistan unter dem Vorwand, bin Laden zu fangen, die Verbündeten der USA im Nahen Osten, am Golf und auf dem indischen Subkontinent an der Macht halten und den USA einen indirekten Weg in den Iran und den Irak öffnen kann. Dabei ist es natürlich nicht unwichtig, ob die imperialistische Koalition zwischen USA und Europa mit ihren konkurrierenden Ölkonzernen hält.
Die Friedensbewegung und die Antiglobalisierungsbewegung mag im Meinungsklima des »zivilisierten« Westens eine gewisse positive Rolle spielen. Entscheidend aber wäre es, wenn die hiesigen Lohnarbeiter sich weigern würden, den imperialistischen Machtspielen ihrer Regierungen ihre Arbeitsergebnisse hinterherzuwerfen - Imperialismus kostet nicht nur Menschenleben, sondern auch die Arbeitskraft, die Arbeitszeit und das Geld der arbeitenden Massen. Der Einkauf des Öls direkt bei den rechtmäßigen Besitzern, ohne den Umweg über Konzerne und durch die teure Militärmaschine der USA gesichert, käme allemal billiger - das wäre die richtige Stoßrichtung globaler Solidarität, ein Kapitel des heute anstehenden Internationalismus. Wenn dann noch weniger gearbeitet werden müßte, könnte sicher auch der bisher unbezähmbare Drang der arbeitenden Massen, möglichst viel Benzin in die Luft zu jagen, gebremst werden. "

Den Artikel finden Sie unter:
http://www.jungewelt.de/2001/09-25/005.php
(c) Junge Welt 2001

Montag, 13. Oktober 2014

Deutscher Imperialismus - Die Gespensterjagd geht weiter

Jens Wernicke interviewt Jürgen Wagner, Politikwissenschafter und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Tübinger Informationsstelle Militarisierung und Redaktionsmitglied der Zeitschrift Wissenschaft und Frieden.

Die Informationsstelle und Jürgen Wagner gehören, neben dem Verein "German Foreign Policy" zu den Hauptvertretern in der bundesdeutschen Linken, die die Gefahr eines Wiederauflebens des (überkommenen) deutschen Imperialismus an die Wand malen. Ein Zitat aus dem unten wiedergegebenen ersten Absatzes des Interviews macht das schlagartig deutlich:
 "dient dies dabei vor allem einem Ziel: Deutschland mit allen Mitteln wieder als Weltmacht zu etablieren und im Kampf um Rohstoffe, Marktzugänge und Handelswege ganz vorne mit dabei zu sein."
Nun könnte man denken, dass in dem Interview Tatsachen und objektive Interessen benannt werden, die dies belegen können. Aber es gibt nur etwas luftige Interpretationen eines politischen Strategie-Papiers einer US-deutschen Organisation, dem German-Marshall Fund of the United States in Zusammenarbeit mit der regierungsnahmen Stiftung Wissenschaft und Politik, in dem diese Phantasien über eine neue Weltmachtrolle der Bundesrepublik dargelegt werden und dann den Verweis auf die aktive Rolle der BRD und vor allem der CDU bei dem Umsturz in der Ukraine und bei der Ausdehnung der EU über Mitgliedschaft und Assoziationsverträge in Osteuropa.
http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/projekt_papiere/DeutAussenSicherhpol_SWP_GMF_2013.pdf
Den beiden Gesporächsteilnehmern kommt nicht einmal in den Sinn, dass beides nur im Kontext der Allianz mit den USA, innerhalb und außerhalb der Nato stattfindet und stattfinden kann - und es daher eher um die Ausgestaltung und ideologische Überhöhung der Rolle der BRD als Vasall und Hilfssheriff der USA geht, als und eine eigenständige mit den USA konkurrierende Rolle als Weltmacht.

Die übliche gestanzte Formel:
"Deutschland mit allen Mitteln wieder als Weltmacht zu etablieren und im Kampf um Rohstoffe, Marktzugänge und Handelswege ganz vorne mit dabei zu sein, "
wird im Interview mit keiner Zeile belegt. Dass die weltwirtschaftlichen Verhältnisse eine solche Sonderrolle Deutschlands aus eigener Kraft, gar mit eigenem Militär, überhaupt zulassen könnten oder eine erfolgversprechende Strategie darstellen könnten, wird im Interview nicht einmal erwogen. Wenn selbst die USA einen solchen allgemeinen Kampf um exklusive Wirtschaftszonen nicht führen, sondern in Zusammenarbeit mit ihren Bündnispartnern in der Nato und in Fernost (mit ihren Vasallen) einen für alle Teilnehmer offene und befriedete Wirtschaftsraum organisieren, dann sind alle Proklamationen eines deutschen Sonderweges entweder Propaganda zur Täuschung des Publikums, oder zum Teil auch Selbsttäuschung - Analyseergebnisse ähnlicher Art fallen dann wohl unter die Rubrik Selbsttäuschung.

Jedenfalls müßt noch gezeigt werden welche "Vorteile" ein detuscher Imperialismus durch seine vielen lächerlichen Beteiligungen an den US- oder anderen westlichen Interventionen gehabt hätten. Oder soll alles auf jenen Tag warten, wenn die BRD wieder mit einer größeren Interventionsarmee die Führung Westeuropas übernimmt und Wo?? ihre imperialen Vorteile einsammelt?

Dass die Nachdenkseiten dieses Interview ohne kritischen Kommentar abdrucken, ist doch etwas bedenklich, wo sie doch seit der Ukraine-Geschichte begonnen haben, die offene provokativ-aggressive Rolle der USA in der Weltpolitik deutlicher zu benennen!


JM 

das Interview Lesen hier: 
http://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=23564

Deutschland: Wider die Großmacht!
Verantwortlich: Jens Berger

Deutschlands Armee ist längst von einer „Verteidigungsarmee“ zur „Armee im Einsatz“ mutiert. Hinter allen euphemistischen Begründungen für derlei Handeln – mal dient es dem Frieden, dann den Frauenrechten, dann der Versorgung der Armen in der Welt – dient dies dabei vor allem einem Ziel: Deutschland mit allen Mitteln wieder als Weltmacht zu etablieren und im Kampf um Rohstoffe, Marktzugänge und Handelswege ganz vorne mit dabei zu sein. Manch Linker bemüht diesbezüglich inzwischen das Wort Neokolonialismus, andere sprechen von Neoimperialismus, meinen jedoch dasselbe. Zum Bestreben deutscher Eliten, wieder Weltmacht zu werden, das inzwischen kampagnenförmig daher kommt und sich in fast allen aktuellen sicherheitspolitischen Debatten widerspiegelt, sprach Jens Wernicke mit Jürgen Wagner, geschäftsführendem Vorstandsmitglied der Tübinger Informationsstelle Militarisierung.

Herr Wagner, vom 14. auf den 15. November veranstaltet die Informationsstelle Militarisierung einen Kongress mit dem Titel „Deutschland: Wi(e)der die Großmacht!“. Worum wird es da gehen?

das ganze Interview Lesen hier: 
http://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=23564


Funktioniert die unheilige Allianz wieder ?

JM - Seit Mitte Juno 20014 ist der Weltmarktpreis für Öl um 24 Dollar gesunken. 
Zufall ? oder:  

USA benutzen Ölpreis um Russland vernichtend zu schlagen

Von Wilhelm von Pax - Am 13. Okt. 2014 - unter Politik 4 Kommentare

US-Präsident Barack Obama // Foto: Center for American Progress Action Fund from Washington, DC // Lizenz: CC-BY-SA-2.0

Der Rubel rollt – jedoch weit nach unten. Die russische Währung ist auf Talfahrt und die Wirtschaft ist stark angeschlagen. Doch das ist nicht nur ein Ergebnis des Sanktionskrieges zwischen dem “Westen” und Russland, sondern ein Symptom eines weitreichenden und unbemerkten Ölkrieges. Die Auswirkungen, Methoden und die (fehlende) mediale Beachtung sind einmalig.

Russlands Ölpreisabhängigkeit ...

weiter hier:
http://www.neopresse.com/politik/ukraine-krieg-usa-benutzen-oelpreis-um-russland-zu-vernichtend-zu-schlagen/

Kriegs-Beteiligung, Waffenlieferung, Imperialismus und die Linke

Vor allem in der PDL gibt es anhand der Bedrohung verschiedener kurdischer Bevölkerungsgruppen durch die djihadistische Militärformation "ISIS" eine aktualisierte Debatte über Waffenlieferungen aus der BRD in dieses Krisengebiet und über die Duldung oder gar Propagierung einer militärischen Unterstützung der verschiedenen Kurdengruppen durch Staaten des "Westens".
Konzentriert ist dies in dem Aufruf von 14 teils prominenten Politikern der Linken, wie er in einem Artikel des ND wiedergegeben worden ist - "Kobane retten" !

Hier der Link dazu:
 http://www.neues-deutschland.de/artikel/948391.linke-abgeordnete-offenbar-fuer-militaereinsatz-gegen-is.html

Am schärfsten und ausführlich hat sich  Oskar Lafontaine dazu in einem Artikel im Tagesspiegel geäußert:

Die Linke und der Krieg
Gegen den globalen Interventionismus von USA und Nato!

von Oskar Lafontaine
10.10.2014
http://www.tagesspiegel.de/meinung/die-linke-und-der-krieg-gegen-den-globalen-interventionismus-von-usa-und-nato/10822178.html

Die verschiedenen Elemente der Debatte sind auf den Nachdenkseiten dokumentiert oder verlinkt:

Wenn sich die Rechten in der Linken durchsetzen, sind alle fünf Bundestagsparteien auf US-Interventionskurs
13. Oktober 2014 um 9:29 Uhr
http://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=23560

Dazu einige Bemerkungen:
Lafontaine sieht, anders als es etwa in der DKP diskutiert wird, die Regierung der BRD als Vasall der USA in den vergangenen und laufenden Interventionen der USA, im Nahen Osten und auch in der Ukraine.
Allerdings führt er, ebenfalls anders als in der DKP diskutiert, die versuchte militärische Beherrschung der Welt durch das US-Militär, die US-Geheimdienste und die US-MilitärBündnisse sowie die tatsächlichen Militär- und sonstige Interventionen als unmittelbaren Ausfluß der US-Interessen an Absatzmärkten und Rohstoffen.
Dagegen wird in der DKP die Kennzeichnung der USA als den größten gegenwärtigen Imperialisten, und den damit einhergehenden ideologischen sowie praktischen Weltherrschaftsambitionen nicht so unvermittelt gesehen - was richtig ist.
Allerdings wird bei der Einschätzung der Rolle der BRD in der gegenwärtigen Weltlage diese Unterscheidung ebenfalls gemacht:, und führt zu absurden Einschätzungen:
Einerseits die schon hundert Jahre existierenden Pläne eines "Deutschen Imperialismus" Mitteleuropa, und damit den westlichen Kontinent überhaupt zu dominieren oder gar zu beherrschen, um damit dann mit um die Weltherrschaft zu konkurrieren. Andererseits der Versuch Rohstoffbedarf, Sicherung von Handelswegen und Möglichkeiten von Waren- und Kapitalexportmärkten als Einflußzonen durch Beteiligung an US-Interventionen zu sichern. Beide Sichtweisen sind empirisch haltlos und historisch völlig deplaziert.
Da ist Lafontaines Sichtweise auf das Verhältnis der USA zu ihren Vasallen, eben auch die BRD, schon
realistischer.
Lafontaine, aber auch die DKP und verschiedene Marxisten können nicht richtig zwischen den unmittelbaren ökonomischen Interessen der USA, oder richtiger ihrer Konzerne und ihrer Großbourgeosie, und ihren daraus, wie aus ihrer Stellung in der Welt und ihrer Geschichte entstehenden Weltherrschaftsansprüchen unterscheiden:
Im Nahen Osten geht es um die (Rohstoff-) Rente aus dem Ölgeschäft: 
D.h.: Die Differenz zwischen den sehr niedrigen Förderkosten im Nahen Osten und den höchsten Förderkosten in anderen Gegenden in der Welt, deren Förderkosten, einschließlich einer angemessenen Profitrate noch durch den gegenwärtigen Preis des Erdöls auf den Weltmärkten abgedeckt werden:
Ganz grob geschätzt etwa: 3-4 Dollar in günstigen Feldern des Nahen Ostens und bis zu 80-90 Dollar in den extremen  Stellen in der Tiefsee oder in Alaska. Es ist diese Differenz, die die großen Ölkonzerne zu ihren jährlichen Profiten von 20, 30 oder bei Exxon auch 40 Millarden Dollar führen.
http://www.t-online.de/wirtschaft/boerse/aktien/id_61995774/groesste-us-oelkonzerne-verdienen-fast-80-milliarden-dollar.html
Dagegen erreichen die Rüstungskonzerne der USA gerade einmal Umsätze von dieser Größenordnung!

Im Nahen Osten ging und geht es also um den Erhalt der Beteiligung an dieser Rente über die Förderverträge mit den reaktionären Golfstaaten, um die Eroberung einer solchen Beteiligung gegen die alleinige Aneignung dieser Renten des verstaatlichten Öls durch die Staaten Irak und Iran. Im Irak ist das Staatsmonopol und die alleinige Aneignung durch die zwei Kriege zerschlagen - aber die westlichen Konzerne konnten bisher keinen eigenen günstigen Zugang bekommen und schon gar kein Monopol. An einer "Demokratisierung"  des Iran wird seit jahrzehnten weiter eifrig gearbeitet. Dagegen ist die Möglichkeit des Sturzes aller reaktionären mittelalterlichen Golfmonarchien noch offen und unter der Parole der "Demokratisierung"und "der Durchsetzung Menschenrechte" könnten die USA ohne ernsthaften mitlitärischen Widerstand die alten Regime beseitigen und ihren Konzernen von einer "demokratischen Regierung" dann die Rente aus dem Öl in neuen Verträgen übereignen lassen. - Aber wenn man statt "demokratischen Sunniten" dann unfreiwillig "undemokratischen Schiiten" an die Macht verhilft, wie im Irak - geht die ganze Sache, trotz Billionen!-Kriegskosten - in die Hose!
Damit diese unmittelbaren Interessen überhaupt verfolgt werden können, müssen eben die militärischen Mittel der USA diese Dimension beibehalten, müssen die westeuropäischen und japanischen Vasallen an der Kandarre bleiben und muß ihnen das Zuckerbrot der Beteiligung angeboten werden und muß alles unter der Hegemonie der USA auch ideologisch zusammengehalten werden.
Da es aber nicht nur die Interessen an der Ölrente gibt, sondern die anderen US-Weltkonzerne ebenfalls in aller Welt Geschäfte machen sollen, dient die eben skizzierte faktische Welthegemonie auch der Offenhaltung aller Märkte für alle westlichen Konzerne, wenn sie und ihre Staaten sich den US-Regeln beugen, sogar die Heimatmärkte in den USA selber werden ihren Konkurrenten geöffnet.
Es gibt also ohne Zweifel den direkt ökonomisch motivierten (für ExxonMobil, Cevron, Conoco Philipps) Rohstoffimperialismus der USA und ihrer Bündnispartner im nahen Osten, aber darüber hinaus gibt es die US-Hegemonie, mitlitärisch, ökonomisch, politisch und kulturell, die nur mittelbar mit den ökonomischen Interessen des US-Kapitals verbunden ist und für die es welthistorisch kein Vorbild gibt - und das mit gutem Grund als informelles US-Empire bezeichnet wird. Diese schafft, organisiert und verteidigt, stellvertretend für das Kapital der USA und seiner Vasallen, einen kriegs- und imperialismusfreien Verwertungsraum.

Im Moment steht mal wieder eine Homogenisierung diese Verwertungsraumes zwischen den USA, Nordmerika und Europa an - TTIP - und seine Promotoren finden sich konsequenter
Weise in den Konzernen, den Bourgeoisien und den Staaten beiderseits des Atlantik !
13.10.14
JM



US-Vize Biden: Europäer zeigten mangelnden imperialen Eifer

Remarks by the Vice President at the John F. Kennedy Forum
3. Okt 2014
Throughout we’ve given Putin a simple choice: Respect Ukraine’s sovereignty or face increasing consequences. That has allowed us to rally the world’s major developed countries to impose real cost on Russia.
 It is true they did not want to do that. But again, it was America’s leadership and the President of the United States insisting, often times almost having to embarrass Europe to stand up and take economic hits to impose costs. And the results have been massive capital flight from Russia, a virtual freeze on foreign direct investment, a ruble at an all-time low against the dollar, and the Russian economy teetering on the brink of recession.
Quelle: Weißes Haus

Anmerkung WL:

Es war also Amerikas „Führerschaft“ und der Präsident der Vereinigten Staaten, die darauf bestanden und gedrängt haben, dass Europa aufsteht und wirtschaftliche Schläge (Sanktionen) (gegen Russland) führt, um wirtschaftlich zu schaden. Es ist schon hochinteressant, was der amerikanische Vizepräsident hier einräumt: Die amerikanische Regierung hat also die Europäische Union genötigt, Sanktionen gegen Russland mitzumachen.

aus: Nachdenkseiten v. 13.10.14:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=23556#h01

Anmerkung JM: 

so viel zum deutschen Imperialismus in der Ukraine -  selbst wenn man einräumt, dass Biden die Rolle von Obama etwas aufbauscht.  

Sonntag, 12. Oktober 2014

Plan und Wirklichkeit in der DDR

Ökonomische Betrachtungen zum Untergang des Sozialismus in der DDR

J.Miehe
1999
Wie war das mit der Ökonomie des Sozialismus in der DDR? Am Anfang des Jahres erschien ein Buch mit dem Titel
<Plan und Wirklichkeit - zur DDR-Ökonomie>;
von Siegfried Wenzel. Es ist dieser Frage gewidmet und gibt anhand der Darstellung Anlaß bisherige Ansichten neu zu resumieren.
Wenzel gibt in seinem kurzen und nüchternen Buch, er nennt es im Untertitel <Dokumentation und Erinnerung>, einen problembezogenen Überblick zur ökonomischen Geschichte der SBZ/DDR. Dabei konzentriert er sich auf die Versuche zunächst der sowjetischen Besatzungsmacht und zunehmend der SED-Führungen mit zentraler Leitung und Planung ihre jeweiligen ökonomischen Interessen und Vorstellungen angesichts der objektiven Ausgangsverhältnisse und ihrer Veränderungen ins Werk zu setzen. Wenige sind dafür so kompetent, wie der Autor, der jahrzehntelang an hervorragender Stelle im operativen Apparat der staatlichen Plankommission der DDR tätig war. Es handelt sich also bei dem Buch durchaus um Ansichten aus dem "Inneren" der Planwirtschaft.
Über die Intention seines Buches sagt der Autor im Vorwort:
".... Viele von ihnen waren "Überzeugungstäter". Sie gingen aus von der Vision einer solidarischen Menschengemeinschaft, deren Entwicklung von Frieden, Rationalität und sozialer Ausgeglichen bestimmt wird,.... Dieses Bemühen in der praktizierten realsozialistischen Form ist im Irrtum gelandet. Die DDR ist untergegangen. Die Mehrheit des Volkes hat sich von ihr abgewandt. War es deshalb ein "umsonst gelebtes Leben",...? Es kann mit der Formel "gewagt und verloren" beschrieben werden; aber nach dem verloren kommt noch etwas, nämlich die Gewinnung von Erkenntnissen und Erfahrungen."(S.III)
Sein Buch ist ein wichtiger Beitrag dazu.

Die historischen Bedingungen

Was dem Sympathisanten des Sozialismus in der Ex-DDR seit langem bekannt gewesen ist, wird hier nochmal belegt. Die materiellen Entwicklungsvoraussetzungen für eine eigenständige ökonomische Entwicklung waren in Ostdeutschland bis 1949 und noch länger danach nicht gegeben und konnten während der Lebensgeschichte der DDR nur ganz unvollkommen nachgeholt werden. Die Schwierigkeit eines zusammenfassenden Urteils in dieser Frage liegt u.a. darin, daß ein Teil dieser materiellen Bedingungen Ergebnisse von politischen Entscheidungen und Entwicklungen waren, die einerseits mit der Auflösung des Anti-Hitler-Koalition und des Übergangs in den Kalten Krieg zu tun hatten und die andererseits mit der inneren Entwicklung der SU nach dem verlustreichen Krieg und dem militärischen Sieg über den deutschen Faschismus verbunden waren.
So verschärften die weiteren inneren politischen Entwicklungen in den USA und der SU und dem weltpolitischen Verhältnis zueinander die missliche Ausgangslage für die SBZ und künftige DDR. Die Stalinführung konnte sich bis 1952 offensichtlich nicht entschließen, die SBZ/DDR zu einem ökonomisch integrierten Teil des entstehenden Ostblocks zu machen. Die massiven Demontagen und später die Entnahmen aus der Produktion machten eine nachholende Industrialisierung zum Ausgleich der Disproportionen, gar eine beschleunigte Entwicklung nur unter erheblichem Konsumverzicht möglich. Auf der anderen Seite haben sich die westlichen Besatzungsmächte, unter Führung der USA, relativ früh entschlossen, die Westzonen zu einem politischen, ökonomischen und militärischen Glacis gegen die SU auszubauen. Die daraus folgenden Maßnahmen, Verweigerung von Reparationen für die SU aus den Westzonen, Verweigerung einer integrierten ökonomischen Entwicklung aller Zonen, zunehmende Kappung des für die SBZ und DDR lebenswichtigen Interzonenhandels, Einführung des Marshallplanes, ökonomische Verselbständigung der Westzonen zur Trizone mit einer eigenständigen Währung 1948, waren eine ökonomische Kriegserklärung gegen die SU als Besatzungsmacht. Damit sollte offenbar auch ein der SU unterstellter Versuch unmittelbar und langfristig Sozialismus in der SBZ einzuführen unterbunden oder zumindest behindert werden.
Erst im Rahmen der sich ändernden äußeren Umstände und auf dem Hintergrund der sich entwickelnden Strukturen in der DDR läßt sich die jeweilige ökonomische Politik der verschiedenen SED-Führungen einordnen und kritisieren. Eine vernünftige Politik sozialistischen Aufbaus schien in diesem Feld innerer und äußerer Bedingungen fast unmöglich zu sein. Darüber hinaus haben dann die politischen Führungen durch ihre Planentscheidungen den Untergang der DDR aber auch selbst mit organisiert.
Pläne und Krisen: 1951 - 1961
Der erste Fünfjahrplan von 1951 bis 1955 ging nach Wenzel vorrangig auf die Intentionen der SED-Führung zurück, wenn auch zumindest entscheidende Teile der Sowjetischen Militär-Administration (SMAD) dies vor Ort gebilligt oder gefördert haben müssen. Nach Wenzel war es das Ziel des Planprojektes, daß für die Milderung der Disproportionen der Wirtschaftsstruktur eine eigene metallurgische Basis und eine entsprechende Energieproduktion sowie eine eigene Handelsflotte geschaffen und dafür der Schwermaschinenbau als Grundlage aufgebaut werden sollten. Die Industrieproduktion sollte bis 1955 verdoppelt werden. Durch den kalten Krieg und die Währungsreform im Westen schrumpfte der Handel mit den Westzonen/BRD ständig. Das hatte verheerende Auswirkungen auf die Versorgung der Wirtschaft und der Bevölkerung in der SBZ/DDR, besonders mit Rohstoffen, Halbfabrikaten, Zulieferungen und Lebensmitteln.
Die Ziele des Planes bedeuteten eine beträchtliche Erhöhung der Akkumulation insbesondere in der Schwerindustrie, die sich erst sehr langsam amortisieren würden. Die Folge war ein sehr niedriges Wachstum der Leicht- u Konsumgüterindustrie. Das Konzept war also mit Stagnation und sogar Verschlechterung des ohnehin unzureichenden Lebensniveaus der Bevölkerung verbunden.
Wenzel urteilt, das Konzept des 5-Jahrplanes habe seine Logik gehabt, jedoch hätten angesichts der gegebenen Zweigstruktur und der sowjetischen Reparationspolitik wichtige materielle Voraussetzungen dafür gefehlt, es seien Wunschziele gewesen. Anstatt die Situation nüchtern einzuschätzen und daraus entsprechende Schlußfolgerungen zu ziehen, hätte die SED Beschlüsse gefaßt, um diese Schwierigkeiten durch schnelleres Wachstum zu überwinden. Es hätte sich um den ersten Versuch einer Flucht nach vorn gehandelt, womit sich Subjektivismus und Voluntarismus in der Wirtschaftspolitik zum ersten Mal durchgesetzt hätten. (S.25-27)
Der 2. Parteikonferenz wurde dann nochmal eine Verschärfung dieses Kurses unter dem Stichwort der "Schaffung der Grundlagen des Aufbaus des Sozialismus" vorgeschlagen. Wenzel kennzeichnet dies als doktrinäre Verschärfung des ohnehin illusionären Kurses.
Schon Ende 52 zeigten sich dramatische Krisenerscheinungen. Die SED Führung bat um Hilfe aus der SU, sie wurde aber noch nicht gewährt. Daraufhin versuchte sie mit Sparpolitik, unter anderem Preiserhöhungen und Normenverschärfungen, die Sache in den Griff zu bekommen. Ulbricht geriet im Politbüro in die Defensive. Nachdem Stalin im März 1953 gestorben war, forderte die neue SU-Führung ultimativ eine Änderung der Wirtschaftspolitik, die dann unter dem Stichwort "Neuer Kurs" von der SED-Führung angekündigt wurde. Dabei nahm sie, gleichgerichtet mit den Vorgaben der SU-Führung, die Normenerhöhungen für die Arbeiter von der Rücknahme der vorherigen Sparmaßnahmen aus. Das verschärfte innerhalb der Arbeiterschaft die Mißstimmung zur teilweisen Opposition, die Proteste und Streiks entwickelten sich zur massenhaften Forderungen nach Änderung der Politik, der Führung und teilweise des Regimes auf der Straße. Der ökonomische und politische Rückzug kam zu spät und an der wichtigsten sozialen Stelle überhaupt nicht. Der weitere Ablauf ist bekannt.
Mit dem "Neuen Kurs" wurden die ad-hoc Maßnahmen zurückgenommen sowie die Planziele und entsprechend die Investitionspolitik geändert. Auch die SU änderte ihre ökonomische Strategie gegenüber der DDR. Sie beendete die Reparationspolitik, verringerte die Besatzungskosten, weitete die Lieferungen aus und gewährte einen erheblichen Kredit.
Dieser Vorgang ist hier so ausführlich geschildert worden, weil sich dieses Muster nach Wenzels Darstellung und Urteil in der Ulbrichtära mehrfach wiederholt. Planansätze, die gerade noch realistisch oder selbst schon illusionär sind, werden aufgrund von jeweils besonderen, teils günstigen Umständen in einem politischen Willkürakt quantitativ oder qualitativ drastisch erhöht oder erweitert. Dies führt zu Krisen in der Produktion, der Versorgung der Bevölkerung und zu politischer Instabilität, die nur mit heiklen und meist unproduktiven Maßnahmen eingedämmt werden können.
Nachdem der geänderte Plan bis 1955 relativ erfolgreich beendet wurde, wird der Plan 1956 bis 1960 wiederum relativ hoch angesetzt, um die weiter bestehenden Disproportionen der Zweigstruktur zu vermindern. Auch aufgrund des Aufstands in Ungarn kann der Plan schon 1956 nicht erfüllt werden. Es gibt mehrere kurzfristige Plankorrekturen. Die SU greift 1957 wiederum mit erheblichen zusätzlichen Lieferungen ein. Die Lage kann sich stabilisieren, aber die SED Führung beschließt dann im Gleichtakt mit der SU einen neuen 7 Jahrplan von 1959-1965. Darin kündigt sie an, den pro Kopf Verbrauch an Konsumgütern der BRD bis 1960 zu erreichen. Dies auf der Grundlage der immer noch unzureichenden Wirtschaftstruktur, der mangelnden Produktivität und der offenen Grenze. Zudem wird die Kollektivierung der Landwirtschaft durchgesetzt. Die Krise läßt nicht auf sich warten und kann nur mit dem Mauerbau unter Kontrolle gebracht werden.
Wenzel merkt dazu an: Es habe zu den Mängeln des Systems gehört, daß die Sicherung der Rohstoffbasis ab 1957/58 durch die Lieferungen der SU zum Ausgangspunkt einer weitreichenden Fehlentscheidung von Ulbricht und der SED-Führung geworden sei. (S. 37)
Die Lage stabilisiert sich erstaunlich schnell schon 1961 und verbessert sich dann ab 1962 auch aufgrund einer erneuten Ausweitung des Warenaustausches mit der SU, einer Vertiefung der Kooperation und einem erneuten erheblichen Kredit.

Internationale Arbeitsteilung und Technologie

Allerdings konnten die alten Verflechtungen Mitteldeutschlands mit dem Westen und die entsprechende Abhängigkeit der DDR nicht durch eine gleichwertige Verflechtung mit der SU und dem RGW ersetzt werden. Für die Ökonomie der BRD wurde die intensive Integration in den zunehmend arbeitsteiligen westlichen Weltmarkt zu einem starken Wachstumsmotor. Nach der Währungsreform konnte eine ähnliche selbständige Integration der DDR in den kapitalistischen Weltmarkt nicht hergestellt werden. Dieser Mangel entwickelte sich zu einem stetig größer werdenden Nachteil gegenüber der BRD. Die Integration in den östlichen Wirtschaftsraum der SU und des RGW konnte dies nicht ersetzen, da der zunehmende Bedarf der DDR-Ökonomie an technologisch hochwertigen Zulieferungen weder aus der SU noch aus dem RGW gedeckt werden konnte. Dabei kann man die Probleme der mangelnden Integration und Arbeitsteilung wegen der Form der Planung erst einmal außer Acht lassen.
Das Fehlen des Zugangs zur Mikroelektronik des kapitalistischen Weltmarktes, verschärft durch das Nato-Embargo der sog. CoCom-Liste, war letztlich einer der größeren Sargnägel für die RGW-Länder und speziell der DDR. Die prinzipielle Möglichkeit der SU, ihren enormen Binnenmarkt und ihre erheblichen Forschungskapazitäten für eine entsprechende technologische Entwicklung und Ausrüstung des RGW zu nutzen, wurde nicht einmal für die Industrie der SU umgesetzt. Die entsprechenden Produktionen für den Militärsektor der SU wurden dort eingesperrt und blieben für die Zivilproduktion unzugänglich. Eine Politik, die rein gar nichts mit der Eigentums-Verfassung oder ökonomischen Planungs- und Lenkungsproblemen des Sozialismus zu tun hatte, wie man an der zivilen kapitalistischen Nutzung der Militärforschung der USA in der dortigen Industrie sehen konnte und kann. Dies bleibt ein ökonomisch unverständlicher und unverzeihlicher strategischer Fehler der KPdSU in der Auseinandersetzung der Systeme, der erheblich mit zum Untergang des europäischen Sozialismus beigetragen hat. Der verzweifelte Versuch der DDR mit westkreditfinanzierten Investitionen nach 1985 eine eigene Produktion mikroelektronischer Bauelemente in Gang zu setzen konnte das nicht aufhalten, sondern beschleunigte eher noch den Prozeß.
Die Arbeitsteilung mit der SU verblieb auf dem Niveau des Austausches von Rohstoffen gegen Industriegüter, wobei die DDR wegen der Spezialisierung als dauerhafter Monopollieferant für manche Ausrüstungen durchaus Vorteile wegen der großen Serien erlangen konnte.

Das "Neue Ökonomische System"

1963 beschließt die SED das sog "Neue Ökonomischern System der Planung und Leitung"(NÖS). Die bisher vorrangig materielle und mengenmäßige Planung und die Leitung durch Auflagen, soll durch wertmäßige Planung und durch rentabilitätsgesteuerte Leitung ersetzt werden. Wenzel hält diese Reform für dringend erforderlich. Sie hätte die Anerkennung der Warenproduktion und die Geltung der Wertzusammenhänge im Sozialismus bedeutet. Allerdings wurde das Grundkonzept mit inkonsequenten Richtlinien beschlossen. Unter anderem wurde die auf allen Ebenen erforderliche Preisreform nicht konsequent durchgeführt, sodaß das NÖS nicht voll wirksam werden konnte. Wenzel macht noch weitere grundlegende Fragezeichen, die hier nicht ausgeführt werden können.
Der Plan bis 1965 wird offenbar relativ passabel abgeschlossen und der nächste von 1966-1970 auf realistischer Grundlage entwickelt. Der wesentliche Entwicklungsweg soll die Intensivierung aufgrund der Verwissenschaftlichung der Produktion werden.
Auf dem Parteitag von April 67 wird der schon laufende Plan mit neuen Projekten befrachtet. Jetzt sollten sog "führende Zweige" besonders beschleunigt ausgebaut werden, was natürlich nur durch administrative Zuweisung von Investitionsmitteln, die anderswo entzogen werden mußten, gelingen konnte. Sie sollten als "Lokomotiven der wiss.-techn Revolution" die Automation voranpeitschen und wiederum durch schnelles Wachstum die entstandenen Disproportionen nachträglich beseitigen. " Es triumphierte erneut Wunschdenken, ..." (S.46) "Die Kluft zwischen Anspruch und Realität wurde zu einer Hauptursache von ungenügender Effektivität und wirtschaftlichen Verlusten in volkswirtschaftlicher Größenordnung."(S.47)
Damit war das NÖS praktisch ausgehebelt, was dann in den nächsten Jahren Schritt für Schritt auch institutionell nachgeholt wird. Die Folge war wiederum eine krisenhafte Entwicklung der Produktion, der Produktivität und der Versorgung durch die entstandenen Disproportionen mit vielen Investitionsruinen und zunehmender Unruhe der Arbeiterschaft.
Dies führte dann, wie bekannt, zur Ablösung Ulbrichts als Generalsekretär durch die Mehrheit des Politbüros mit Einverständnis, wenn nicht Unterstützung der SU-Führung.

Rückkehr zur Solidität? - Sozialpolitik überfordert die Ökonomie

Die Honeckerführung wollte offenbar all die alten Fehler vermeiden. Sie kehrt konservativ zum alten Planungs- und Leitungssystem zurück und nimmt Abschied von den Versuchen, durch vorrangige und beschleunigte Akkumulation die Ökonomie der DDR zu entwickeln, zu modernisieren und gegenüber der BRD und für den Weltmarkt wettbewerbsfähig zu machen. Jetzt sollen jeweilige Produktions- und Produktivitätsfortschritte gleichmäßig und planmäßig auch in Verbesserungen der Lebensverhältnisse umgesetzt werden, "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik". Offenbar wird daraus auch eine verstärkte Motivation für effektive Arbeit erhofft. Als gemäßigtes Ziel wird langfristig ein Wachstum des Nationalproduktes von 4% angesetzt. Die Verbesserung der Lebensverhältnisse wird u.a. stark mit einer Ausweitung der direkt staatlich finanzierten Güter und Leistungen umgesetzt, der sog zweiten Lohntüte. Größtes und deutlichstes Beispiel war das Wohnungsbauprogramm, das die neuen Wohnungen zu weiterhin spottbilligen hoch subventionierten Mieten vergab. Nach Wenzel konterkarierte dies auf Dauer die Ausrichtung der Ökonomie auf Effektivität und das Leistungsprinzip.
Die notwendigen und wichtigen sozialpolitischen Maßnahmen konnten auf Dauer nicht und immer weniger aus dem eigenen Nationaleinkommen erbracht werden. Es war eine Politik auf Pump. Einerseits durch Zurückfahren der Akkumulationsrate in der Industrie, später sogar in großem Ausmaß durch Aufschiebung der Ersatzinvestitionen in Ausrüstung, Bauten und Infrastruktur - verheerend für die Entwicklung der Effektivität und später auch für die Lebensqualität selbst. Sie wurde zunehmend auch durch Verschuldung im westlichen Ausland finanziert, mit langfristig dramatischen Folgen bei Zinszahlungen, Tilgungen und internationaler Zahlungsfähigkeit.

Das Öl als Devisen- und Schuldenquelle

Die Öllieferungen der SU spielen dabei, in Abhängigkeit von den Weltmarktverhältnissen und den inneren Schwierigkeiten der SU selber, ein besondere Rolle. Mit dem ersten dramatischen Anstieg der Rohölpreise auf dem Weltmarkt bis 1974 kam die SU unverhofft in die komfortable Lage, mit dem Export von Öl Devisen auf dem kapitalistischen Weltmarkt eintauschen zu können. 1975 setzte sie, in der zunächst richtigen Erwartung weiterer Steigerungen der Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt, eine neue Preisregelung mit den RGW-Partnern durch: Grundsätzliche Orientierung am Weltmarkt, Preise aufgrund des Durchschnitts der letzten fünf Jahre. Das bedeutete eine erhebliche Verteuerung für die DDR, entsprechend erheblich höhere Lieferverpflichtungen, war aber bis zum Einbruch der Rohlölpreise auf dem Weltmarkt 1986 immer noch günstiger als dort. Ende 1976 verweigerte Kossygin für die Regierung der SU eine Erhöhung der Rohöllieferungen um 2 Mill Tonnen an die DDR, die mit dem erhöhten einfachen Reexport ins westliche Ausland ihre sich zuspitzende Zahlungsbilanzsituation gegenüber dem Kapitalismus lindern wollte.
1979/80 verdoppelte die Opec die gestiegenen Rohölpreise und die SU setzte die langfristig zugesagte Lieferung von 20 Mill Tonnen auf 17,5 Mill Tonnen herab, um eigene Zahlungsbilanzprobleme zu lösen. Inzwischen waren Ölverarbeitungskapazitäten aus Japan in die DDR importiert worden, die mit dem späteren Export der Produkte hätten bezahlt werden sollen. Da sie nicht ausgelastet werden konnten und die Devisenschulden sich erhöht hatten ohne plangemäß getilgt werden zu können, verschärfte die vermehrte Zinszahlung die Lage. Als Reaktion baute die DDR die Verarbeitungskapazitäten für eine tiefere Ausnutzung des Rohöls aus, wiederum mit Technologieimporten aus dem westlichen Ausland, um aus der verbliebenen Importmenge aus der SU mehr westexportfähiges Produkt zu erschließen. Parallel dazu wurde die Energieversorgung der DDR wieder zurück auf die Verwendung der Braunkohle umgestellt, ebenfalls mit ganz erheblichen Investitionen und mit drastischer Einbuße an Effektivität und verheerenden ökologischen Wirkungen.
Letzte Station dieses komplexen Zusammenwirkens von sozialistischer Ökonomie der SU, Wirtschaftsstruktur der DDR und kapitalistischer Weltmarktentwicklung bei Öl durch die partielle Rückbildung des Neokolonialismus war der drastische Rückgang der Rohölpreise am Weltmarkt ab 1986. Die SU konnte nur noch erheblich weniger Westdevisen erwirtschaften, ihre ökonomische Krise spitzte sich zu, wie die hilflosen Reformversuche der Gorbatschow-Führung zeigten. Die DDR-Strategie einer tieferen Verarbeitung des Öles und seines Weiterexportes und sowie der dafür aufgewandten massiven Investitionen aus dem westlichen Ausland liefen nun ins Leere. Die vorher erlangten Devisenzuflüsse reduzierten sich drastisch, die DDR mußte weiter die nun gegenüber dem Weltmarkt höher liegenden Preise an die SU zahlen und sie hatte die Schulden mit den laufenden Zinsverpflichtungen in Westdevisen zu bedienen, sowie eine teuer erkaufte Energieproduktion auf Braunkohlebasis, die sich nun nicht wieder einfach auf billiges Importöl umstellen ließ.
Leider ist die Geschichte des Scheiterns der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" lang, nämlich an die 20 Jahre mit 4 Fünfjahrplänen. Die Erklärung kann sich aber kurz fassen. Nach Wenzel blieb die Struktur der sich verschärfenden Probleme immer die gleiche: Es wurde mehr konsumiert als produziert wurde. Speziell Honecker verweigerte eine Änderung dieses Kurses bis zum bitteren Ende, das Politbüro setze ihn erst ab und eine Änderung durch, als es zu spät war, das ZK hatte keine eigene Kraft, die SU-Führung reagierte nicht entschieden, später wollte und konnte sie dies auch nicht mehr.

Das Besondere und das Allgemeine an der DDR

Es ist durchaus fraglich, ob die DDR in ihrer speziellen Lage je die Chance hatte einen stabilen ökonomischen Entwicklungspfad zu erreichen. Dabei kann man das Problem zentraler, direktiver, materieller Planung und Leitung einer entwickelten und sich differenzierenden Ökonomie zunächst außer Acht lassen. Es steht aber nach der Darstellung von Wenzel außer Frage, daß unter Ulbricht das vorwärtsgerichtete ökonomische Abenteurertum und unter Honecker der korrekturlose Konservatismus die gegebenen Probleme erheblich verschärft und auf diese Weise am Untergang der DDR mitgewirkt haben. So gesehen, scheint ökonomisch eine Zentralplanwirtschaft durchaus einigermaßen leistungsfähig und stabil sein zu können, wenn sie nur ordentlich geführt wird. Warum die kommunistischen Parteien zumindest dies nicht hinbekommen haben, auch die SED nicht, ist eine der wichtigsten Fragen an den gewesenen Sozialismus. Daß dies wohl auf Dauer gegen den Kapitalismus noch nicht ausgereicht hätte, muß man dann gesondert betrachten.
Hieraus ergibt sich das Bild einer administrativ doch leidlich effektiv geleiteten, jedoch politisch fehlgesteuerten Ökonomie, die ein unglaubliches Maß von Überlebensfähigkeit bewies. Anders gefragt: Wäre bei besseren objektiven Bedingungen und einer realistischen ökonomischen Politik Sozialismus auf mäßig entwickeltem Niveau möglich gewesen? Wenzel diskutiert dies implizit mit seiner Antwort auf die Frage, ob es in der DDR ein eigenständiges Wertsystem gegeben habe. Gab es eine eigenständige Lebensweise in der DDR, die mit anderen, materiell beschränkteren Mitteln und mit anderen Wertorientierungen der Menschen als im kapitalistischen Westen befriedigende Verhältnisse zustande gebracht hätte?
In diesen Zusammenhang gehört das andere Dilemma der Entwicklung der DDR und sicher auch der CSSR - die Nachbarschaft zur BRD als dem Glanz- und Ausstellungsstück des Kapitalismus nach 1950 in Europa. Die sog. soziale Marktwirtschaft wirkte als Aufhebung der vorherigen Alternative von tödlicher Krise des Kapitalismus ab 1929 und Sozialismus als der einzigen Überlebensmöglichkeit jenseits von Faschismus und Krieg. Die Lebensweise Westdeutschlands strahlte durch die Nachbarschaft, die Präsenz von Westberlin sowie das Fernsehen auf die DDR aus und setzte die dortige sozial-ökonomische Entwicklung unter einen Konkurrenzdruck, dem sie auch bei einer radikal besseren Politik wohl kaum hätte standhalten können. Der von Wenzel dargelegte Vergleich des Entwicklungsniveaus der DDR mit anderen kapitalistischen Ländern in Europa belegt dies schlagend. Allerdings scheinen sich die gleichen Mechanismen der Konkurrenz der Lebensweise aufgrund des unterschiedlichen Entwicklungsniveaus auch bei den anderen europäischen sozialistischen Ländern, CSSR, Ungarn und Polen jeweils auf verschiedene Weise durchgesetzt zu haben, bei der Bevölkerung oder bei den Führungsschichten, wie zuletzt in der SU.

Vom Machen des Sozialismus in der Ökonomie

Das Problem der Anpassung von Planung und Leitung einer sich entwickelnden und differenzierenden Ökonomie im Sozialismus stellte sich in der DDR schon ab Mitte der 50er Jahre und verschärfte sich zum Ende des Jahrzehnts. Wenn auch vorsichtig, verdeutlicht Wenzel, daß der Mechanismus der zentralen Planung und Leitung mit zunehmender Differenzierung ineffektiver, weil inadäquater wird. Dezentralisierung ist dann eine einfache, aber unzureichende Antwort auf das Problem. Selbständigkeit der Wirtschaftseinheiten mit relativ weitgehender Autonomie vieler Entscheidungen war die diskutierte und in der DDR mit dem NÖS praktisch versuchte Variante. Dieser sehr weitreichende Umbau der Produktionsverhältnisse wurde erstaunlicherweise unter dem Patronat von Ulbricht persönlich theoretisch entwickelt und praktisch vorangetrieben. Allerdings wurden zwei der dafür unumgänglichen weiteren Strukturmaßnahmen nicht getroffen, weil die Führung davor zurückschreckte. Das betraf zum einen eine tiefgreifende Preisreform, die die tatsächlichen Aufwendungen an gesellschaftlicher Arbeit, in lebendiger und vergegenständlichter Form, zum Ausdruck gebracht hätte. Für eine realistische Wirtschaftsrechnung von relativ autonomen Wirtschaftseinheiten ist das wohl unumgänglich, damit die tatsächlichen Wertverhältnisse in Preisen und Austausch zum Ausdruck gebracht werden. Das betraf zum anderen eine politische Reform, die eine weitgehende Einbeziehung der Bevölkerung in die Ausarbeitung des sozial-ökonomischen Kurses erfordert hätte. Mit anderen Worten also, einen Verzicht der Partei und ihrer Führung auf die Durchsetzung ihrer Vorstellungen auf direktiv-administrativem Wege.
Beides ist, wie wir wissen, weder in der DDR noch in der SU oder sonst im RGW erfolgt. Einer Veränderung der Mechanismen der gesellschaftlichen Hegemonie des Sozialismus in Politik und Ökonomie, kurz Demokratisierung, standen wohl die Traditionen der kommunistischen Linie der Arbeiterbewegung seit der Oktoberrevolution in der SU und in den anderen Ländern entgegen. Die darin enthaltene Entgegensetzung zur Sozialdemokratie in Europa, die unter dem Banner der Verteidigung der bürgerlichen Demokratie und Freiheiten gemeinsame Sache mit ihren nationalen Großbourgeoisien gemacht hatten und jetzt gegen den Sozialismus kämpften, hatte dieser Position eine nur schwer zu bezweifelnde Legitimation gegeben. Dazu kam die fast allen Teilen der Arbeiterbewegung gemeinsame autoritäre Tradition und Disziplin. Wenn beides zusammen möglicherweise auch der Hauptgrund war, so lieferte doch der strategische Kampf des Kapitalismus gegen den Sozialismus mit seinen überlegenen Kräften und höherem Entwicklungsniveau genügend Gründe für die Parteiführungen, um jede Lockerung der politischen Hegemonie abzulehnen.
Muß man nicht die völlige Unfähigkeit der Führungen der europäischen sozialistischen Länder, im Kern der SU, anstehende ökonomische Reformen wirklich in Angriff zu nehmen und durchzusetzen, mit dieser krampfhaften Aufrechterhaltung einer bestimmten Form der politischen Hegemonie nach außen und innerhalb der Partei in Verbindung bringen? Ist es anders zu erklären, daß fast alle sozialistischen Regime sich sehenden Auges in die gleichen Fallen der Verschuldung bei kapitalistischen Instanzen begeben hatten, um ihre inneren Entwicklungsprobleme aufzuschieben? Muß man nicht die fast durchgängig abenteuerlichen ökonomischen Strategien, entweder große Vorwärtssprünge oder langfristig nicht haltbare Entwicklungslinien, mit dieser tief sitzenden Fixierung auf die politisch direktive Führung der gesamten Gesellschaft durch die Partei und ihr jeweiliges persönliches Zentrum im Generalsekretär in Verbindung bringen?

Siegfried Wenzel:
Plan und Wirklichkeit - Zur DDR-Ökonomie
Dokumentation und Erinnerung
Skripta Mercaturea Verlag
St. Katarinen 1998

Die folgenden Zeilen stellen den Text von 13 Anmerkungen dar. Die zugehörigen Nrn und Stellen konnten leider nicht mit in den Blog-Text übertragen werden.

Was hier nicht geleistet werden kann und soll, ist eine kritische Zusammenfassung der bisherigen Untersuchungen und Diskussionen zum Thema. Diese fehlt bisher aus marxistischer Sicht und wird auch von Wenzel nicht vorgenommen. Er beschränkt sich auf wenige Literaturverweise zur Stützung seiner quantitativen Angaben. Auch in den MBl hat es seit 1990 zu den verschiedenen Aspekten schon Aufsätze und Auseinandersetzungen gegeben, die aber hier nicht umfassend erwähnt oder gar gewürdigt werden können. An geeigneter Stelle wird auf den einen oder anderen beispielhaft hingewiesen werden. Es fehlt also weiterhin eine Übersicht der bisherigen Publikationen und Forschungen zum Thema, bei dem die marxistischen Beiträge nur einen Teil ausmachen. Die frühere DDR-Forschung der BRD ist z.T. weiter erheblich aktiv gewesen und müßte kritisch zur Kenntnis genommen werden. Es geht dabei ja keineswegs nur um die Gewinnung eines zutreffenden Geschichtsbildes, sondern für die Marxisten besonders um die Bedeutung der DDR-Entwicklung für die Ausarbeitung von Sozialismuspositionen für die Zukunft.
"....Siegfried Wenzel (ist) der vielleicht beste Kenner der realen volkswirtschaftlichen Probleme, Zusammenhänge und Verflechtungen der DDR(..). Fast 30 Jahre stand er - formell oder "nur" faktisch - an der Spitze der Perspektivplanung und volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in der Staatlichen Plankommission. In dieser Zeit gab es keinen Planansatz und Plan, ob Fünfjahrplan oder Jahresplan, an dem er nicht maßgeblich mitgewirkt, keine Beratung oder Auseinandersetzung zu Problemen des Planes in der Führung der SED oder im Ministerrat, an der er nicht teilgenommen hat.; " so schreibt Klaus Steinitz (verantwl f Ökonomie in der PDS-Führung) in seiner Rezension dieses Buches in SOZIALISMUS Nr 5/98, S. 53
Einen ganz anderen Einblick in das "Innere" der DDR-Ökonomie kann man in dem hochinteressanten umfangreichen Buch <Der Plan als Befehl und Fiktion; Wirtschaftsführung in der DDR, Gespräche und Analysen> gewinnen; Hrsg.: Theo Pirker, M. Rainer Lepsius, Reiner Weinert, Hans Hermann Hertle, (Westdeutscher Verlag, Opladen 1995). Abgedruckt sind ausführliche Interviews mit 11 verschiedenen Verantwortungsträgern in hohen ökonomischen Funktionen aus dem Politbüro, mit G. Mittag, H.Tisch dem ZK-Sekretariat mit Klaus Krömke, A. Schalck-Golodkowski, der Plankommission mit G Schürer, S.Wenzel, dem Ministerrat mit Wolfgang Rauchfuß, Günter Wyschowsky, den Kombinaten mit W.Biermann, Christa Bertag, der wissenschaftlichen Beratung mit Helmut Koziolek. Die Interviews wurden im Rahmen eines Forschungsprojektes am Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin(West) von den Herausgebern gemacht.
So der Titel eines Erinnerungsbuches von G.Schürer, Leiter der Staatlichen Plankommission seit Mitte der 60er Jahre; leider ist das Buch wegen einer angekündigten Neuauflage im Moment nicht zu kaufen
vgl.: Jörg Roesler: Demontagen und Deindustrialisierung, Teil I; (MBl 1993, Nr 3, S. 46); mit ähnlichem Tenor und ähnlichen Zahlen.
Vergl auch Wilfried Loth, Stalins ungeliebtes Kind, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1996
Zur Vorgeschichte des 17. Juni 1953, der Rolle der 2. Parteikonferenz und der SU-Führung vertritt Kurt Gossweiler in: Hintergründe des 17.Juni 1953, (MBl 1993, Nr.3, S.77ff) eine detailliert dargelegte andere Position.
Dietrich Staritz bezeichnet es in seiner <Geschichte der DDR> (Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1996, S. 190) als weiterhin offene Frage, ob die Ulbrichtführung die Krise 1960/61 bewußt zugespitzt habe, um im Warschauer Pakt die Zustimmung zu den Abgrenzungsmaßnahmen zu erlangen.
H.Wolf versucht in seiner Broschüre (s.u Anm 11, S. 28ff) die massiven Investitionsvorhaben ab etwa 1965/66, die, strukturpolitisch begründet ("Lokomotiven d wiss-techn.Revolution"), die materielle Kraft der DDR-Ökonomie überforderten und die Mechanismen des NÖS außer Kraft setzten, dem Übergang von G Mittag in die Reihen der Gegner des NÖS zuzuschreiben, der dieses Vorgehen an Ulbricht vorbei mit unterstützt und damit auch gegen Ulbricht intrigiert habe.
In Verbindung mit der besonders von Ulbricht geförderten Entwicklung und Einführung des NÖS gibt es unter politischen und wissenschaftlichen Beteiligten, wie auch unter Jüngeren, lebhafte Kontroversen, von denen einiges sich auch in den MBl widergespiegelt hat. So argumentiert Ulrich Huar mit dem Artikel <Was hat den Sozialismus zerstört?> (MBl 1993, Nr.3,.S.84ff) überzeugend gegen eine Position von S. Wagenknecht <Marxismus und Opportunismus> (teilw. abgedruckt in MBl 1993, Nr. 2, S.80ff), daß die Ablösung von Ulbricht, der Abbruch des NÖS, sowie der Übergang zu Honecker in der Durchsetzung des Opportunismus seinen Grund gehabt hätte, indem er u.a. auf die bedrohliche Krise Ende der 60er in der DDR verweist, die von Ulbricht mit zu verantworten gewesen wäre. So ja auch Wenzel.
W. Florath wendet sich mit der Intervention <Ulbricht gleich Honecker?>(MBl 1996, Nr.3, S. 85/6) heftig gegen G. Stiehler <Historisches und Aktuelles zur Demokratie>(MBl 1996, Nr. 2, S. 81ff) dem er eine falsche Gleichsetzung der Politik und des Leitungsstils von Ulbricht und Honecker vorhält und verweist auf die positive Rolle Ulbrichts beim NÖS. In dem Beitrag <Sozialismus und die Macht heute>(MBl 1997,Nr. 2, S. 112ff) wendet er sich gegen Vorstellungen von H. Wunderlich (MBl 1996, Nr.6) zu institutionellen Regelungen sozialistischer Demokratie, die ihm sehr an bürgerliche Verfassungen angelehnt scheinen und versucht die Entwicklung des NÖS unter Ulbricht in eine lange Reihe von zunehmenden institutionellen Mitbestimmungs- oder Partizipationsregelungen der Werktätigen in der DDR in ökonomischen und politischen Bereichen unterhalb der Ebene der Führungsmacht und der strategischen Entscheidungen zu stellen.
Die besondere Rolle G. Mittags, einflußreicher Wirtschaftspolitiker in der SED-Führung in den 60ern und wieder ab Ende der 70er bis zum Ende der DDR als Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK für Wirtschaft, von ihm selbst verteidigend in seinem Buch <Um jeden Preis - im Spannungsfeld zweier Systeme> (Aufbau-Verlag, Berlin-Weimar 1991) geschildert, unterzieht H. Wolf in einer Broschüre <Hatte die DDR je eine Chance> (Sozialismus extra, VSA-Verlag, Hamburg 1991) einer vernichtenden Kritik. H. Wolf war, wie auch Wenzel positiv erwähnt, einer der wissenschaftlichen Väter der Konzeption des NÖS Anfang der 60er Jahre. Auf einige der auch bei Wenzel und oben angeführten Strukturprobleme, sowie Krisen- und Wendepunkte geht er ebenfalls kenntnisreich ein.
Vergl den Aufsatz von W. Florath in MBl 1997 2 mit einer anderen Sichtweise (s.o. Fußnote 5)
Wie die Entwicklung in China zu verstehen ist, wo die Partei seit fast zwei Jahrzehnten einen anderen Kurs mit der relativen Freigabe der Ökonomie, sogar bis zur Freigabe kapitalistischen Privateigentums unter Aufrechterhaltung ihrer Hegemonie steuert, ist noch nicht klar zu bestimmen. Handelt es sich dabei vielleicht um eine ausgedehntere Periode einer NÖP-Politik zur nachholenden Industrialisierung, die die oben diskutierten P