I Erneut und dringlicher auf der Tagesordnung
Obwohl kaum ein Jahr vergangen ist, dass diese Zeitschrift ein Heft mit einem umfangreichen Schwerpunkt zum Thema >Kürzer Arbeiten< herausgebracht hat, gibt es inzwischen mindestens zwei Anlässe, die damit verbundenen Fragen erneut aufzugreifen.
Das ist einerseits der Beschluß des gerade abgehaltenen Parteitages der DKP für eine Kampagne zur Arbeitszeitverkürzung (AZV), der in diesem Heft abgedruckt wird. Die Einigkeit in dieser grundsätzlichen, aber auch sehr praktischen Frage war groß, auch wenn etliche ihre Skepsis beibehalten mögen. Der Inhalt des Beschlusses geht u.a. auf eine Klausurtagung des Arbeitskreises Betrieb und Gewerkschaften des Parteivorstandes im Jahr 2011 zurück . Daraus entstand zunächst ein Beschluß und daraus ein Antrag des Vorstandes an den Parteitag. Auch die Beiträge des Heftes gingen zum Teil ebenfalls auf die Klausurtagung zurück.
Das wurde dann noch unterstützt durch die erneute Initiative von Bontrup und Masserat Ende 2012 und ihren Aufruf Ende Januar 2013 - was den o.g. zweiten Anlaß darstellt:
Offener Brief an die Vorstände der Gewerkschaften, Parteien, Sozial- und Umweltverbände und Kirchenleitungen in Deutschland 30-Stunden-Woche fordern! Ohne Arbeitszeitverkürzung nie wieder Vollbeschäftigung!
Auch dieser Aufruf wird in diesem Heft abgedruckt und weiter kommentiert Beide Wissenschaftler und Gewerkschaftsfreunde hatten schon seit vielen Jahren mit immer neuen Initiativen versucht, eine politische Bewegung in der Art einer gesellschaftlichen Allianz in dieser Frage in Gang zu setzen, mit wechselndem aber zunehmendem Echo – jedoch bisher ohne wirklich durchschlagenden Erfolg.
II Kurze politische Vorgeschichte zur heutigen Lage und zur Diskussion in der DKP
Nachdem die Tarifverträge der IG-Metall aus den 80er Jahren nach und nach in den 90ern völlig unspektakulär umgesetzt waren und nach dem Scheitern des Streiks der IG-Metall für die 35 Stunden-Woche in der Metall- und Elektroindustrie in Ostdeutschland im Sommer 2003 schien die Debatte um AZV nicht nur in den Gewerkschaften tot zu sein. Fortan dominierte die soziale Konterrevolution.
Noch die erste Regierung von SPD und Grünen hatte im Februar 2002 die sog. Hartz Kommission eingesetzt und schon im August 2002 in einer pompösen Inszenierung im Französischen Dom in Berlin die Pläne zur Demontage der Arbeitslosenversicherung und zur Deregulierung des „Arbeitsmarktes“ vorgestellt - unter der inzwischen geläufigen Tarnung als ihr Gegenteil, als Reform.
September 2002 gewann die Koalition von SPD und Grünen erneut, wenn auch sehr knapp, die Bundestagswahl, die PDS schied mit 4 % aus dem Bundestag aus und Schröder wurde als Bundeskanzler wieder gewählt. Die alt-neue Regierung beschloss dann sehr schnell die Pläne der Hartz-Kommission als Gesetzesvorlagen in den Bundestag einzubringen – wo sie dann am 23. und 24(!) Dez. 2003 als Gesetze Hartz I bis IV, quasi als Weihnachts-Geschenk der SPD an einen Teil ihrer eigenen Mitglieder und Wähler, beschlossen wurden. Die politische Chronologie zu den Hartz Gesetzen und der Agenda 2010 ist im Internet kurz und knapp nachzulesen.
September 2002 gewann die Koalition von SPD und Grünen erneut, wenn auch sehr knapp, die Bundestagswahl, die PDS schied mit 4 % aus dem Bundestag aus und Schröder wurde als Bundeskanzler wieder gewählt. Die alt-neue Regierung beschloss dann sehr schnell die Pläne der Hartz-Kommission als Gesetzesvorlagen in den Bundestag einzubringen – wo sie dann am 23. und 24(!) Dez. 2003 als Gesetze Hartz I bis IV, quasi als Weihnachts-Geschenk der SPD an einen Teil ihrer eigenen Mitglieder und Wähler, beschlossen wurden. Die politische Chronologie zu den Hartz Gesetzen und der Agenda 2010 ist im Internet kurz und knapp nachzulesen.
Eine noch sehr verhaltene Debatte begann in der DKP erst wieder mit einem Artikel in der UZ vom 22.Nov.02, für die Redaktion von Lothar Geißler eingeleitet:
Arbeitsplätze für alle sind möglich - 30 Stunden sind genug!
Dort wurde noch ein Modell ohne vollständigen „Lohnausgleich“ also auch individueller Lohnkürzungen vorgestellt.
Im Januar 03 folgte:
Im Januar 03 folgte:
Jörg Miehe - Arbeitszeitverkürzung - Hebel im Klassenkampf oder weiße Salbe für die Lohnabhängigen?
Buchbesprechung zu: "Weniger ist mehr - Arbeitszeitverkürzung als Gesellschaftspolitik" von St. Lehndorff. Darin wurden die Erfahrungen aus der französischen Gesetzgebung zur 35-Stundenwoche vorgestellt.
Der erste Artikel, nicht lange nach der Bundestagswahl geschrieben, wurde mit folgenden Überlegungen eingeleitet:
In den vier Jahren der von der SPD geführten Bundesregierung seit 1998 ist die Arbeitslosigkeit nur unwesentlich gesunken - und dies angesichts einer großen Exportsteigerung in alle Welt, angeheizt durch den Boom in den USA, und eines immerhin kleinen Wachstums im Inland. Diese Regierung hat keinen ernsthaften Versuch gemacht, die enormen Produktivitätsfortschritte der 90er Jahre bis heute auf alle Erwerbsfähigen umzuverteilen. Vielmehr zeigen die realen Arbeitszeitentwicklungen, dass der bisherige Arbeitszeitstandard des Normalarbeitstages "ausfranst", an den unteren Grenzen bei der Teilzeit vor allem für schlecht bezahlte Frauen und an den oberen Grenzen mit Überstunden oberhalb von 40 Wochenstunden für höher qualifizierte Männer.
Angesichts der gegenwärtigen Flaute und der absehbar schwachen Kapitalakkumulation in der Welt, auch in Europa und der BRD, wird sich die Lage notwendig wieder verschärfen: Die Arbeitslosigkeit wird wieder zunehmen, während die Koalition ihre kapitalorientierte Politik in zugespitzter Weise fortführt: Pressionen auf die Arbeitslosen, Kurz- und Billigjobs anzunehmen, Kürzung der Unterhaltszahlungen und Aufhebung bisheriger Grenzen des Arbeitsvertragsrechtes. Das bedeutet Kürzung der volkswirtschaftlichen Nachfrage und damit Verschärfung der negativen Entwicklung - ganz abgesehen von der zynischen Politik der Verarmung weiterer Schichten der Bevölkerung, gerade auch der Wähler der SPD. Das ist nicht nur volkswirtschaftlich dumm, sondern zeigt das Kuschen vor den kurzfristigen Einzelinteressen des Kapitals.
Das zugrunde liegende Problem liegt nun darin,
dass das private Produktionskapital gezwungenermaßen durch Produktivitätsentwicklung einen Teil der notwendigen Arbeitszeit in der Gesellschaft drastisch reduziert, also Lohnarbeit überflüssig macht. Diese an sich zivilisatorische Tendenz wird vom Kapital selbst widersinnig umgesetzt, indem einerseits viele Arbeitende weiterhin in lange Arbeitszeiten gepresst und andererseits zunehmend mehr von der Lohnarbeit überhaupt ausgeschlossen werden. Damit wird ihnen eine selbst erarbeitete Lebensführung verweigert und sie werden so zu Kostgängern der Beschäftigten erniedrigt.
Eifrige Marxleser werden unschwer den Bezug zu den folgenden Sätzen und der ganzen Passage in Marx Grundrissen erkennen:
Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch [dadurch], daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt. Es vermindert die Arbeitszeit daher in der Form der notwendigen, um sie zu vermehren in der Form der überflüssigen; setzt daher die überflüssige in wachsendem Maß als Bedingung – question de vie et de mort – für die notwendige. (S. 593)
Der Austausch von lebendiger Arbeit gegen vergegenständlichte, d.h. das Setzen der gesellschaftlichen Arbeit in der Form des Gegensatzes von Kapital und Lohnarbeit – ist die letzte Entwicklung (Hvhbg. JM) des Wertverhältnisses und der auf dem Wert beruhenden Produktion. (S. 592)
Es geht also nicht nur darum, an ein paar Stellschrauben von Arbeitszeit und Entlohnung zu drehen, sondern die historische Tendenz des Kapitals zu seiner Selbstaufhebung mit Hilfe politischer Macht voran zu bringen.
Die nachfolgenden Jahre haben die zitierte Einschätzung leider mehr als bestätigt! Der Plan von SPD und Grünen, die Kapitalverwertung durch Lohnsenkung mittels Prekarisierung zu erhöhen, ist vielfach übererfüllt worden. Das zugrunde liegende Problem ist jedoch geblieben und zeigt sich in der aktuellen Krise stärker denn je – wenn auch in der BRD durch die Ohnmacht der Prekarisierten, ihre öffentliche Stigmatisierung und Verleumdung sowie durch statistische Betrügereien fast still gelegt.
III Das Echo des neuen Aufrufes – und einige Einwände
Der erneute Aufruf von Bontrup und Masserat erreichte in den Mainstream-Medien eine erhebliche Aufmerksamkeit und sehr kontroverse Kommentare. Dabei verliefen die Fronten keineswegs nur zwischen dem Lager der Unternehmer und dem der Lohnabhängigen. Vielmehr erschien die Front der Gewerkschaftsfreunde gespalten und die Gewerkschaftsführungen selbst schwiegen oder distanzierten sich herablassend beiläufig. Letzteres ist anhand der Verstrickung von Gewerkschaftsführungen und der Abhängigkeit ihrer Mitglieder von den Exportindustrien leicht verständlich.
Die sonst formulierten Einwände verwiesen eher darauf, dass es jetzt, vor entscheidenden Tarifrunden für die Entwicklung der Konjunktur und der Krise der Arbeitsteilung zwischen der BRD und dem Euroraum taktisch völlig falsch sei, das Ziel der AZV zu propagieren. Dem ist zu entgegnen, dass Krise, Arbeitslosigkeit und völlig aus dem Lot geratene Außenhandelsströme und Zahlungsbilanzen im Euroraum, angesichts der jetzigen Kräfteverhältnisse wohl kaum durch einmalig bessere Lohnabschlüsse ausgebügelt werden können. Die schon erfolgten Tarifabschlüsse demonstrieren das leider deutlich. Nach wie vielen Jahren sollte also mit der Propaganda und der Umsetzung einer AZV begonnen werden?
Falls aber eigentlich gemeint sein sollte, dass ein solches Ziel weder tariflich noch gesetzlich erreicht werden kann, dann geht es um ganz andere Probleme, die so auch offen debattiert werden müssen. Dabei geht es entweder um ökonomische Mechanismen der gegebenen kapitalistischen Verhältnisse, die administrative Regelungen unterlaufen – das soll unten noch diskutiert werden - , oder um die Einschätzung der bisherigen politischen Behandlung der gesellschaftlichen Regelung von Arbeitszeit, die ihre gesetzliche Verkürzung weiterhin verhindern würden. Gerade dies aber muß durch politische Planung und Kampagnen verändert werden.
Einige Einwände zielen aber auch darauf, dass die jetzige kap. Produktionsweise auch entschiedene AZVen ohne ernsthafte Kräfteverluste oder Änderung ihrer Bewegungsweise verdauen würde und daher die Hoffnung auf fortschrittliche strukturelle Wirkungen vergeblich seien. Dabei wird wohl unausgesprochen mitgedacht, es sei besser, politisch in die Vorbereitung von revolutionären Umwälzungen in Folge der zu erwartenden Krise zu „investieren“ als Illusionen zu wecken.
Die fundamentale Antwort darauf ist mit den obigen Marxzitaten angedeutet. Die historisch konkrete Antwort lautet:
Ohne die Hoffnung und Aussicht auf eine vorstellbare und auch machbare bessere Lebensweise mit kürzerer Arbeitszeit und ohne Arbeitslosigkeit, wird eine Mehrheit der Lohnarbeiter sich nicht in den Kampf um die politische Entmachtung und ökonomische Enteignung des Großkapitals begeben, wenn damit die inzwischen internalisierten Gemütsverfassungen und alltäglichen Verhaltensweisen der totalisierten Warengesellschaft angegriffen werden.
Anders – es muß zumindest ein Gefühl davon politisch angerufen werden können, wie die Befriedigung von praktischen Bedürfnissen durch Arrangements der Gebrauchswertproduktion und -Verteilung nach verständigen Maßstäben ein besseres Leben ermöglichen kann, gegenüber den jetzigen Verhältnissen von Warenfülle und ihrer zwanghaften kapitalistischen Produktion. Die Privatisierung und Kommerzialisierung eines schon vorhandenen Standes der Vergesellschaftung der Infrastruktur, der Reproduktion der Individuen und ihrer Arbeitskraft durch nicht-kommerzielle Dienste aller möglichen Art, auch in den Kommunen, muß als historischer Rückschritt ins Bewusstsein rücken, ebenso wie die Verlängerung der Mehrarbeitszeit beim Kapital. Beides muß nicht nur rückgängig gemacht, sondern in einer weiter reichenden Perspektive aufgehoben werden.
Die fundamentale Antwort darauf ist mit den obigen Marxzitaten angedeutet. Die historisch konkrete Antwort lautet:
Ohne die Hoffnung und Aussicht auf eine vorstellbare und auch machbare bessere Lebensweise mit kürzerer Arbeitszeit und ohne Arbeitslosigkeit, wird eine Mehrheit der Lohnarbeiter sich nicht in den Kampf um die politische Entmachtung und ökonomische Enteignung des Großkapitals begeben, wenn damit die inzwischen internalisierten Gemütsverfassungen und alltäglichen Verhaltensweisen der totalisierten Warengesellschaft angegriffen werden.
Anders – es muß zumindest ein Gefühl davon politisch angerufen werden können, wie die Befriedigung von praktischen Bedürfnissen durch Arrangements der Gebrauchswertproduktion und -Verteilung nach verständigen Maßstäben ein besseres Leben ermöglichen kann, gegenüber den jetzigen Verhältnissen von Warenfülle und ihrer zwanghaften kapitalistischen Produktion. Die Privatisierung und Kommerzialisierung eines schon vorhandenen Standes der Vergesellschaftung der Infrastruktur, der Reproduktion der Individuen und ihrer Arbeitskraft durch nicht-kommerzielle Dienste aller möglichen Art, auch in den Kommunen, muß als historischer Rückschritt ins Bewusstsein rücken, ebenso wie die Verlängerung der Mehrarbeitszeit beim Kapital. Beides muß nicht nur rückgängig gemacht, sondern in einer weiter reichenden Perspektive aufgehoben werden.
IV Ökonomie und Arbeitszeitverkürzung
a) Geschichte und Ökonomie
Die Arbeiterbewegung hatte zunächst in England mit der Forderung nach dem 10-Stunden-Tag die Verkürzung der Arbeitszeit zu einem der beiden zentralen Ziele gemacht. Fortgeführt wurde dies durch die US-Amerikanische Nationale Arbeiterunion auf ihrem Kongress von 1866 in Baltimore mit der Forderung nach dem 8-Stunden-Tag, aufgegriffen von Marx in seinen Instruktionen für die Delegierten des Provisorischen Generalrats des 1. Kongresses der Internationale von 1866 in Genf.
Und wo stehen wir heute? Überall wird wieder verdeckt oder offen versucht den 8 Stunden-Tag beizubehalten oder wieder einzuführen. Dabei ist auch heute freie Zeit eine unabdingbare Voraussetzung für die individuelle und kollektive Emanzipation der arbeitenden Bevölkerung, wenn auch leider keine Garantie. Und daher steht strategisch die kollektive AZV vom 8 auf den 6 Stunden-Tag an – und nicht der mühsame Kleinkrieg um den schon ausgefransten 8-Stunden-Tag – auch wenn das weiterhin eine ständige Tagesaufgabe bleibt.
Und wie sieht es mit der Perspektive des Klassenverhältnisses aus? Bringt eine AZV - neben weniger Arbeitsstress, mehr freier Zeit und weniger Arbeitslosigkeit - auch eine ökonomische Stärkung der Lohnarbeiter gegenüber den Kapitalisten und ihrem Kapital? Und kann das auch weiter führen?
Marx hat den einschlägigen ökonomischen Mechanismus im Kapital I, Kapitel 7 >Die Rate des Mehrwertes<, mit der Einführung der Unterscheidung von notwendiger Arbeitszeit und Mehrarbeitszeit dargelegt und im folgenden Kapitel 8 >Der Arbeitstag< vertieft. Das soll zu Erinnerung kurz erläutert werden.
b) die Wertverhältnisse bei AZV
Eine individuelle AZV von 8 auf 6 Stunden pro Tag würde auch das gesamte Arbeitsvolumen einer Volkswirtschaft reduzieren. Im Maße, wie die Produktion noch von der Arbeitszeit abhängt, würde damit auch der Umfang der Produktion eingeschränkt werden. Und auch das Angebot an Dienstleistungen würde entsprechend eingeschränkt werden. Das würde, großflächige Preiserhöhungen ausgeschlossen, natürlich eine Verkleinerung des volkswirtschaftlichen Gesamtproduktes (BIP) und auch der Nettowertschöpfung bedeuten.
Wenn man sich gedanklich zunächst auf den Sektor der kapitalistischen Warenproduktion beschränkt, kann man die Veränderung der mit der AZV einhergehenden Wertverhältnisse in marxscher Terminologie wie folgt bestimmen:
Der verringerte Gesamt-Wert bei verringerter Produktion ergibt sich aus den verringerten Übertragungen der kleineren Wertsumme aus dem verminderten Rohstoffverbrauch etc., der leicht verringerten Wertübertragung aus der kürzeren Benutzung der Anlagen und Maschinen (in der praktischen Gewinn- u. Verlust-Rechung werden hingegen die Abschreibungen nicht nach Nutzungszeit sondern nach Kalenderzeit gerechnet), der gleichen Höhe des notwendigen Teils der Produktion des Neu-Wertes im Maß der Lohnsumme, aber einem verringerten Mehrwert, was daher auch einen verringerten Gesamt-Neu-Wert bedingt. D.h., der notwendige Aufwand an Zeit und Arbeit sowie der notwendige Teil des Produktes und des in ihm vergegenständlichten Wertteiles für die Reproduktion der Lohnsumme bleiben gleich. Hingegen verringert sich der Zeitaufwand für die Produktion des Mehrproduktes und damit auch des darin inkorporierten Mehrwertes. Die Massen von Mehrprodukt und Mehrwert, dessen Anteil am Neuwert und damit ebenfalls die Rate des Mehrwertes verringern sich – und ebenfalls der Grad der Ausbeutung. Übertragen in die Welt der vielen Kapitale, verringern sich auch die Profitraten, nach ihrem Ausgleich in der Zirkulation.
D.h., nach den Maßstäben der Wertanalyse (Kapital I) wird die in der kap. Produktion angewendete Arbeiterklasse gegenüber der Klasse ihrer Ausbeuter objektiv ökonomisch gestärkt. Ob und wie sich dies auch in der Verbindung der vielen Kapitale, vermittelt durch die Zirkulation über die Märkte und unter Konkurrenz (Kapital III) und dann auch im praktischen Kapitalismus durchsetzt, ist eine weitere Frage und muß sich erst noch zeigen.
c) AZV mit gleicher Entlohnung, Arbeitskräfteersatz und Erhöhung der Lohnsumme
Bei einem solchen Szenario schrumpft die individuelle Arbeitszeit aller „Arbeitnehmer“. Das gesamte wirtschaftliche Arbeitsvolumen bleibt zunächst gleich, weil zusätzliche Arbeitskräfte (mit ebenfalls verkürzter Arbeitszeit) eingesetzt werden. Dadurch steigt die gesellschaftliche Lohnsumme. Wenn wir unterstellen, dass das Konsum- und Sparverhalten der Lohnabhängigen gleich bleiben, dann wird sich auch eine Steigerung ihrer Geldvermögen ergeben. Vor allem wird eine erhebliche absolute Vergrößerung der Konsumnachfrage stattfinden, wahrscheinlich in den bisherigen Mustern der Lohnabhängigen. Soweit sie aus der Produktion im Inland bedient wird, stehen dem keine neuen Kapazitäten gegenüber. Daraus könnten in der ersten Runde Preissteigerungen hervorgehen: Vor allem bei Haus- und Wohnungskäufen, oder bei Umzügen in größere Wohnungen, einem Teil der Wohnungsausstattungen, bei Autokäufen, bei dem größten Teil der Nahrungs- und Genußmittel. Dies könnte im Weiteren zu Investitionen und weiteren Einstellungen von Lohnabhängigen führen. Die meisten anderen Produkte stammen aus Importen aus Europa oder ferneren Ländern: Textilien, Schuhe, elektronische Geräte und auch elektrische Haushaltsgeräte und ebenfalls einem Teil der Autos. Die Importe können wohl schnell und ohne ernsthafte Preissteigerungen erhöht werden. Insgesamt wären aber Gewinneinbußen in der Konsumgüterindustrie die Folge.
Bei den Unternehmen der Produktionsmittel- und der Investitionsgüterindustrie wird die Produktion im Prinzip den gleichen Umfang und die gleiche Zusammensetzung haben können. Die Produktionskosten werden zwar wegen der Erhöhung der Lohnsumme größer werden. Aber die Nachfrage im Inland bleibt im Prinzip erst einmal gleich, und kann sich, je nach vorhandener oder durch die AZV induzierter Konjunktur ändern. Vermutlich wird sie steigen. Aber da die Löhne einen unterschiedlichen höheren Anteil am Produktionsaufwand haben werden, verringern sich die anteiligen Profite und die Rendite sinkt, soweit nicht Preiserhöhungen durchgesetzt werden können. Im Export steht die gleiche Nachfrage aus dem Ausland zur Verfügung. Auch dort können entweder Gewinneinbußen hingenommen werden, um den Absatz nicht zu verringern, oder bei Konkurrenzvorteil Preiserhöhungen durchgesetzt werden. Dass große Teile der Exportindustrie bei Gewinneinbußen ins Minus rutschen oder bei „unvermeidlichen“ Preiserhöhungen Absatzeinbußen hinnehmen und Produktionsschrumpfungen und Entlassungen vornehmen müssten, ist sehr unwahrscheinlich. Die Konkurrenzfähigkeit der BRD Industrie beruht nicht vor allem auf Preisvorteilen, sondern zum großen Teil auf ihrer breit gefächerten qualifizierten Spezialisierung und im Übrigen auf der Aufstellung ihrer Konzerne in der internationalen Konkurrenz. Auch in diesem Zweig wären Gewinneinbußen zu erwarten.
Insgesamt würde sich bei den Unternehmen und ihren Eigentümern eine kräftige Verringerung ihres laufenden Einkommens ergeben. Das würde zu einer Verringerung der Aufstockung des schon vorhandenen Bestandes an Investitionsmitteln (Geldvermögen der Unternehmen und der privaten Eigentümerhaushalte), außerhalb der Kreditaufnahme (die auch aus Mitteln des Sparens der „Arbeitnehmer“ stammen können, besonders der gut bezahlten) führen. Ebenso verringern sich mit den laufenden Einnahmen die Mittel für den Luxuskonsum. Der normale Alltagskonsum wird davon nicht betroffen sein und ist volkswirtschaftlich unerheblich. Es könnten sich also bei verringerter Nachfrage nach Luxusgütern und Luxusdiensten, aber gleichem Angebot Verringerungen des Absatzes und dann der Produktionen und Leistungen und eventuell auch von Arbeitsplätzen ergeben, soweit beides nicht aus dem Ausland stammt oder im Ausland nachgefragt wird. Die volkswirtschaftlichen Größenordnungen und Wirkungen sind gering und werden es bleiben.
Die Investitionen sind, wie theoretisch und empirisch erwiesen (die „Angebots“-VWL glaubt dagegen vor allem an die magische Wirkung der Zinsen), von den Renditeaussichten und nur unter spezifischen Bedingungen von der Knappheit an Investitionsmitteln abhängig. Nicht erst seit der aktuellen Krise herrscht keine Knappheit an Geldkapital und die Geldschöpfung der Banken für Kredite kennt kaum eine Grenze, wie die Jahrzehnte der Spekulation gezeigt haben.
Die Proportionen der volkswirtschaftlichen Kreislaufzusammenhänge werden sich also etwas ändern: die Lohnsumme wird absolut und relativ größer werden, das Einkommen aus Vermögen und Unternehmertätigkeit wird absolut und relativ kleiner werden. Der Konsum der Lohnarbeiter kann und wird größer werden. Die Produktion und/oder der Import von Konsumgütern für die Lohnarbeiter werden größer werden. Daher wäre eine Verringerung des Außenhandelsüberschusses wahrscheinlich. Der Vermögenszuwachs der großen und kleinen Bourgeoisie wird etwas geringer ausfallen, ihr Vermögen bleibt dagegen im „schlimmsten“ Fall gleich.
VII Markt oder Zwang für Neueinstellungen?
Die obigen Überlegungen gehen wie selbstverständlich davon aus, dass die mit der verringerten Verfügbarkeit von Arbeitszeit bei den einzelnen Lohnabhängigen bei den Unternehmen ausfallende Arbeitszeit durch neu einzustellende Lohnarbeiter ersetzt wird. Gerade dies ist aber spontan eher unwahrscheinlich. Daher gibt es bei den Lohnarbeitern die allergrößten Zweifel daran – und das zu Recht!
Die Einstellung von zusätzlichen Arbeitskräften aufgrund einer gesetzlichen AZV bedeutet für die Unternehmen einen freiwilligen Verzicht auf Gewinnsummen, Renditepunkte und auf einen Teil ihres Direktionsrechtes. Wenn irgendetwas die Aversion der Kapitalisten und ihrer Diener auslöst, dann so eine Zumutung. Die normale Reaktion der Unternehmens- und Betriebsleitungen bestünde darin, mit der bisherigen Belegschaft, bei verringerter tariflicher oder gesetzlicher Arbeitszeit, die gleichen Produktmengen herzustellen oder die gleichen Dienstleistungen zu erbringen: Umorganisation unter aktiver Mitarbeit mindestens des Führungspersonals der Belegschaften:
Verdichtung, Vervielfältigung oder Beschleunigung der bisherigen Tätigkeiten der vorhandenen Arbeitskräfte, Verdünnung der Verfügbarkeit oder Qualität der verrichteten Dienste; billiger Einkauf von Vorleistungen oder Verlagerungen der Produktion in andere Lände; schnell in Dienst zu stellende verbesserte Produktionsmittel.
Wie also sollen die Unternehmen dazu gebracht werden zusätzliche Arbeitskräfte einzustellen? Eine gesetzliche Vorschrift zur Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte würde schwerlich einzuführen sein und wäre noch schwerer zu kontrollieren.
Wenn die Unternehmen, zumindest in der kapitalistischen Warenproduktion, gezwungenermaßen eine AZV durchführen müssten, ohne zusätzliches Personal einzustellen, dann hätten sie unausgelastete Kapazitäten. Ihr in Gebäuden, Anlagen und Maschinen aus- und festgelegtes Kapital würde die vollen Kosten in Form der jährlichen Abschreibungen verursachen, aber nur langsamer amortisieren. Daher liegt für die Unternehmen immer ein Interesse vor, ihre vorhandenen Kapazitäten auszulasten und entsprechende Arbeitskräfte einzustellen. Dieses schon vorhandene Eigeninteresse könnte durch folgendes gesetzliches Arrangement kräftig bestärkt werden:
Die Unternehmen werden gesetzlich verpflichtet, ab einem angemessenen Zeitraum vor dem Termin der Verkürzung der Arbeitzeit eine zinslose Rückstellung vorzunehmen, und zwar im Maße der Verkürzung des bisherigen Arbeitsvolumens und des Entgeltes der bisher Beschäftigten. Die darin rechnerisch anfallenden Beiträge für die Sozialversicherungen müssten sie sofort und unmittelbar an die Kassen abführen. Die Unternehmen können diese Rückstellungen und die Anrechnung der Beitragsabführungen aber auch dazu verwenden, neue Arbeitskräfte zu rekrutieren, diese auszubilden und in den Produktionsprozess schon vor der AZV einzugliedern.
Auf diese Weise würden die Unternehmen selber aktiv an dem Verschwinden der Reservearmee und an ihrer direkt nützlichen Qualifizierung arbeiten.
Soweit sie das nicht ausnutzen oder nach der AZV unterlassen, wird der Zwang zur Rückstellung aufrecht erhalten und laufend an die Arbeitslosenversicherung überwiesen, um die Untererstützungszeiten zu verlängern und die Unterstützungsprozentsätze zu erhöhen.
Falls sie jedoch die zusätzlichen Arbeitskräfte frühzeitig einstellen, hätten sie mit Beginn der AZV eine größere Mannschaft in neuer Aufstellung, und könnten ohne Unterbrechung und Reibungsverluste sofort tätig werden – zu den nun für alle geltenden alten Entlohnungshöhen und den individuell verkürzten Arbeitszeiten.
VIII Demokratie und Mitbestimmung
Die Unternehmen müssten für die vorgezogene oder auch die späte Übergangszeit ohnehin Organisationspläne für die Produktion, die Dienste und die Arbeitsorganisation entwickeln. Ihre Geltung könnte durch die gesetzliche Regelung von der Zustimmung durch die Betriebsräte und/oder einer gemeinsamen Ausarbeitung abhängig gemacht werden. Das Betriebsverfassungsgesetz könnte ohne weiteres entsprechend ausgebaut werden. Selbst die Ermöglichung von tariflichen Reglungen für jeweilige Wirtschaftszweige könnte in eine solche gesetzliche Regelung einbegriffen werden.
Zur schnellen Konfliktregelung könnten Einigungsstellen eingerichtet, die Arbeitsgerichte für zuständig erklärt und der sonstige Gerichtsweg ausgeschlossen und zur generellen Überprüfung staatliche Kontrolleinrichtungen entwickelt werden.
Da alles dies nur mit einer entsprechenden Mobilisierung für eine Gesetzesvorlage und seine Verabschiedung in Gang gesetzt werden könnte, ginge den innerbetrieblichen Vorgängen eine entsprechende Bewusstseinsbildung durch Volksbeteiligung voraus. Jene könnte sich daher auf diese stützen und von ihr begleitet werden. Das Ökonomische (teilweise) wäre damit erst politisch geworden, bevor es wieder ins das Ökonomische entlassen würde – zur Stärkung der Gebrauchswertorientierung des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses.
IX Der Rest der Ökonomie und die öffentlichen Einrichtungen
Der Sektor der kapitalistischen Industrieproduktion umfasst, einschließlich der dortigen kommerziellen Angestellten, etwa 10 Millionen Lohnabhängige. Der Rest der Ökonomie und ihrer Beschäftigung ist hinsichtlich der Organisations- und der Wirtschaftsform, sowie den Produkten oder Diensten völlig unterschiedlich. Sie hier im Einzelnen durch zu gehen und auf die Wirkung einer AZV hin abzuklopfen, würde weit über diesen Artikel hinausgehen. Daher sollen nur einige wenige Zweige angesprochen werden.
Die öffentlichen Dienste ragen weit aus der sich selbst organisierenden Ökonomie heraus. Viele wünschen ihre entschiedene Ausdehnung. Insoweit stößt eine AZV nicht spontan auf die Zustimmung der Lohnabhängigen anderer Zweige, sowie von Rentnern und Jugendlichen. Allerdings sind die Arbeitszeiten in etlichen Diensten objektiv zu lang oder als Schichtdienst zu belastend für die Sicherung der Qualität oder die Aufrechterhaltung der Gesundheit der Tätigen, wie z.B. in den Kliniken. Die Beteiligung zusätzlicher Beschäftigter an den jeweiligen Diensten dürften wohl keine prinzipiellen Schwierigkeiten mit sich bringen, allerdings je spezifischen Organisationsaufwand bedeuten.
Die Erhöhung der volkswirtschaftlichen Lohnsumme allein schon in der Industrie wird auch eine Vergrößerung der Steuereinnahmen mit sich bringen. Ob das schon ausreicht, um die zusätzlichen Arbeitskräfte in den öffentlichen Diensten für den Ausgleich der Arbeitszeitkürzungen zu bezahlen, kann hier nicht abgeschätzt werden. Eventuell sind auch leichte Steuererhöhungen dafür erforderlich. Dass sich daran die Unternehmen und die Vermögenden besonders beteiligen sollten, muss nicht besonders betont werden.
Alle Zweige, in denen es um private Verwaltungsapparate geht, wie Banken und Versicherungen, dürften weder ökonomische noch organisatorische Schwierigkeiten mit der AZV haben. Auch dort würden die Lohnsummen steigen und die Gewinnanteile sinken. Ob die Unternehmen dies hinnehmen oder mit Preiserhöhungen Erfolg haben, kann hier nicht abgeschätzt werden.
Auch im großen Einzelhandel dürfte es keine Schwierigkeiten geben, sondern die Vergrößerung des Personals wird selbst bei kürzerer Arbeitszeit eine größere Flexibilität der Personalplanung mit sich bringen. Damit könnten gleichzeitig, unterstützt durch andere Grenzen des Arbeitszeitgesetzes und durch entschiedene Verbesserungen der Arbeitsvertragsbestimmungen, wie den Mindestlohn, die Teilzeitarbeit, die Minijobs, die befristeten Jobs, die Leiharbeit usw. gründlich beseitigt werden. Auch hier kann kaum abgeschätzt werden, wie weit die höheren Lohnsummen zu Preiserhöhungen oder durch Gewinnminderungen führen werden. Für den Großhandel gilt Ähnliches, wie für die Verwaltungsapparate.
Das größte Problem stellen all jene Gewerbe dar, in denen private Kleinunternehmer, Selbständige aller Art, wie Versicherungsvertreter als oder die freien Berufe und andere ihre eigenen Arbeitskraft oder ihre besondere lizensierte Qualifikation einbringen und mit einigen wenigen mehr oder weniger qualifizierten Lohnarbeitern, Gesellen, Angestellten einen kleinen Betrieb führen. Die Summe des zu kürzenden Arbeitsvolumens in den jeweiligen Betrieben, reicht kaum hin, um auch nur einen einzigen zusätzlichen Lohnabhängigen zu beschäftigen – und der wird die Vielfalt der Qualifikationen der Tätigkeiten der schon vorhandenen, wenn auch wenigen Arbeitskräfte nicht ersetzen können. Diese Kleinarbeitgeber werden eine Einschränkung ihrer Arbeitszeit, und häufig damit das Leistungsangebot nicht hinnehmen wollen und oft nicht hinnehmen können. Bei Einschränkung der Hilfen und der Zuarbeit durch ihre Mitarbeiter mag das tatsächlich zu Schwierigkeiten organisatorischer Art oder Einbußen von Umsätzen, Gewinn oder gar Kunden führen. Für all diese Gewerbe wird es keine gemeinsame Auflösung der Schwierigkeiten geben. Aber sie von der Kürzung der Arbeitszeit ihrer Lohnabhängigen auszunehmen, dürfte die Durchsetzung des 6-Stunden-Tages als neuem Normalarbeitstag ernstlich gefährden.
Daher bleibt hier noch ein absehbares Problem zu lösen, bevor eine allgemeine Kampagne an dieser Stelle ins Stocken geraten würde.
Daher bleibt hier noch ein absehbares Problem zu lösen, bevor eine allgemeine Kampagne an dieser Stelle ins Stocken geraten würde.
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