Beim Projekt einer weitreichenden Verkürzung der Arbeitszeit und ihrer
Umverteilung auf alle Arbeitssuchenden handelt es sich um den Einstieg in eine
Umorganisation der gesellschaftlichen Arbeit - mit weitreichenden Folgen für
die Organisation der sozialen und stofflichen Reproduktion der Gesellschaften. Ein
solches Projekt zielt auf die unmittelbare Aneignung der Ergebnisse der Produktivitätssteigerung
der kapitalistisch organisierten Arbeit - nicht durch zusätzlichen Konsum,
sondern in Form von mehr frei verfügbarer Zeit. Außerdem verbindet es damit die
unmittelbare Beseitigung von Arbeitslosigkeit und der begleitenden Armut, sowie
der aus beidem folgenden Desorientierung und Ohnmacht der arbeitenden Klassen.
Damit sollen die wichtigsten Hebelwirkungen der ökonomischen
Herrschaft des Kapitals über die Arbeitenden vermittels des Eigentumsmonopols,
die Konkurrenz der Lohnarbeiter und daraus folgend die unbegrenzte Verfügung
über deren Arbeitszeit und Mehrarbeit, drastisch begrenzt werden. Eine solche erfolgreiche
politische Veränderung der Organisation der gesellschaftlichen Arbeit und
Reproduktion sollte dazu führen, den Auflagepunkt des Hebels selber - das
Monopol des Eigentums – in Frage zu stellen. Praktisch gewendet würde damit der
blinden, von der Verwertung der Einzelkapitale abhängigen privaten Organisierung
der gesellschaftlichen Arbeit, der Produktion und sozialen Reproduktion ein
Ende gesetzt.
Ein neuer Standard eines Normalarbeitsverhältnisses mit 6-Stundentag
und 30-Stundenwoche, auf Basis eines neuen gesicherten Normalarbeitsvertrages -
wäre das nicht ein erneuerter Sieg der politischen Ökonomie der arbeitenden
Klassen und der Beginn des Sieges gesellschaftlicher Vernunft? (vergl. K. Marx,
Inauguraladresse der IAA, MEW 16, S.11)
Überblick
Im Folgenden werden unter vier Gesichtspunkten die notwendigen
Einzelheiten vorgestellt, die bei der Ausarbeitung eines politischen Projektes
der Arbeitszeitverkürzung vorrangig berücksichtigt werden müssen:
I Aspekte der Arbeitslosigkeit
II Theoretische Überlegungen: Lohnarbeitskräfte
im Kapitalismus: Nachfrage und Angebot
III Die strategischen Überlegungen
IV Politisch-praktische Überlegungen
I Ökonomische, politische und soziale Aspekte
In der Debatte zur Arbeitszeitverkürzung werden u. a. die folgenden
Aspekte diskutiert:
Ursachen der Arbeitslosigkeit
Die seit 1975
in der BRD zunehmende Arbeitslosigkeit hat systemische und historische Gründe:
Überakkumulation, Rückgang der Raten des Wachstums der Industrieproduktion in
den entwickelten Ländern, Produktivitätssteigerungen durch die Einführung neuer
Produktivkräfte; Anfang der 70er Auflösung des Weltwährungsregimes von Bretton
Woods und seit den 80ern ein erneuertes neoliberales Wirtschaftsregime mit der
Folge einer politischen und ökonomischen Schwächung der Gewerkschaften.
Zunehmende, auch übernationale Finanzialisierung der Kapitalverwertung und zunehmende
Einbeziehung von Drittweltländern in die Investitions- und Verwertungsregime
der Weltkonzerne – eine neue Etappe der Internationalisierung.
Politisch geförderte Rückwirkungen
Das Ergebnis war eine sukzessive ökonomische Auflösung des
„Normalarbeitsverhältnisses“ von seinen Rändern und von unten her, nicht nur in
der BRD, und die massive politische Förderung dieser Prozesse:
Unzureichende Löhne, erzwungene Teilzeit-Beschäftigungen, befristete Verträge, Leiharbeit mit Dumping-Löhnen, verbreiteter Zwang zu Überstunden, oft unbezahlt, Verdichtung der Arbeitstätigkeiten durch Reduzierung der Belegschaften.
Unzureichende Löhne, erzwungene Teilzeit-Beschäftigungen, befristete Verträge, Leiharbeit mit Dumping-Löhnen, verbreiteter Zwang zu Überstunden, oft unbezahlt, Verdichtung der Arbeitstätigkeiten durch Reduzierung der Belegschaften.
Übernahme und Verschärfung des neoliberalen Kurses gegen die
Lohnarbeiter von Rot-Grün durch die Schröder-Regierung.
Vergeudung durch Ausgrenzung
Die
Nicht-Beschäftigung von Millionen potentieller Arbeitskräfte ist eine
Vergeudung gesellschaftlicher Produktivkraft. Gleichzeitig wird damit ein sonst
überflüssiger gesellschaftlicher Aufwand erforderlich - die Finanzierung des
Unterhalts der arbeitslosen Mitbürger, ob aus den Beiträgen für die Kasse oder
aus staatlichen Haushalten.
Das wird dann
zum willkommenen Vorwand genommen, um die Arbeitslosen demagogisch aus
gesellschaftlichen Opfern der Kapitalverhältnisse zu Schuldigen ihrer Lage und für
diese Ausgaben zu machen:
Kürzungen der
Ausgaben und Kujonierungen der Arbeitslosen werden daher auch von Teilen der Lohnarbeiter
befürwortet – das Ergebnis ist eine mentale und politische Spaltung der
Lohnarbeiterschaft.
Die Erosion der Lebensverhältnisse
-
Arbeitslosigkeit ist, besonders unter den Bedingungen
der Hartz-IV Regelungen, für die Betroffenen und ihre soziale Umgebung
belastend bis unerträglich.
-
Bei dürftigem Wachstum oder Krise von Industrie und
Dienstleistungen grassiert die Angst vor Entlassung, vor der Schuriegelung durch
das Hartz-IV-Regime, vor Verlust von Erspartem.
-
Diese Angst zehrt die Bereitschaft zur Gegenwehr der
Lohnabhängigen in Betrieben und bei Tarifauseinandersetzungen aus.
-
Sie zersetzt sowohl ihre soziale Integration, wie auch
ihre durch Arbeit vermittelte Identität – mit dramatisch negativen Folgen für
Gesundheit und Lebensführung, sowie für die Betreuung und Sozialisierung der
Kinder.
-
Druck und Stress entstehen, abgestuft aber zunehmend,
zunächst in Betrieben und sekundär in Familien. Die Sicherheit der ökonomischen
Basis des Lebens für Lohnabhängige verschwindet, mit der Möglichkeit des Entzuges
dieser Basis selber.
-
Überarbeitung und Leistungsdruck erzeugen eine Zunahme
psychischer Überlastungen und entsprechender Krankheiten, nicht nur in
profitorientierten Unternehmen sondern auch in spargeschrumpften sozialen
Diensten.
Interessen und Perspektiven
Das objektive Interesse von lohnabhängig Arbeitenden und Arbeitslosen
besteht also in einer Verkürzung der Arbeitszeit und ihrer Umverteilung auf
alle.
·
für die Einen: Abbau von Überstunden und Stress,
Sicherung der Arbeitsverträge, Aufstockung erzwungener Kurzarbeit,
Wieder-Durchsetzung von existenzsichernden Löhnen und Befreiung von der Angst
vor der Zukunft; Abbau der Konkurrenz um die Arbeitplätze;
·
für die Anderen: heraus aus der Arbeits- und
Erwerbslosigkeit, der Ärmlichkeit und entwürdigenden Abhängigkeit vom
Hartz-IV-Regime und Wieder-Gewinnung von Selbständigkeit, Beseitigung der
Nötigung sich unter Wert gegen Beschäftigte und andere Arbeitslose in Stellung
bringen zu lassen, weg vom Medienpranger als nutzlose Kostgänger der Gesellschaft.
·
Für Frauen und Männer mit oder ohne Kinder oder
Partner: Die traditionellen oder ökonomisch erzwungenen und politisch
geförderten Arbeitsteilungen zwischen Männern und Frauen innerhalb der
Lohnarbeit, zwischen dieser, privatem Haushalt und Familie sind inzwischen grundlegend
dysfunktional und nicht länger akzeptabel. Für die meisten Frauen zu kurze
Arbeitszeiten mit zu wenig Verdienst, um ein selbständiges Leben auch mit Kindern
führen zu können, für Männer zu kurze oder zu lange Arbeitszeiten, für einen zunehmenden
Teil mit zu wenig Lohn, um mit Frauen und mit Kindern in verständiger Arbeitsteilung
Haushalt und Kinderbetreuung abwickeln und noch leben zu können. Ausgrenzung
und Diskriminierung hier und Überlastung dort treffen vorrangig Frauen und
dadurch auch die Kinder.
Das objektive Interesse nicht nur der Frauen liegt in der kurzen
Vollzeit (mit „Voll“verdienst und sicherem Arbeitsvertrag). Damit entstünde eine
eigene ökonomisch-finanzielle Basis und eine soziale, wie zeitliche Grundlage für
eine selbständige gesellschaftliche Lebensführung und Emanzipation, ohne oder mit
Kindern. Die Nötigung zur ökonomischen Zwangspartnerschaft entfiele. Die Besserstellung
der Frauen im Beruf ist also Voraussetzung für eine Verbesserung der Entwicklungsbedingungen
für die Kinder. Und das sollte zu einer ausgewogenen privaten Arbeitsteilung
von Männern und Frauen im Haushalt, sowie bei der Kinderver- und Umsorgung führen.
Kurze Vollzeit ist daher auch eine dringende Notwendigkeit für die
gesellschaftliche Entwicklung der sozialen Reproduktion. Dies auch zur
praktischen Motivation werden zu lassen, das ist die Aufgabe eines politischen
Projektes zur Arbeitszeitverkürzung.
·
Bremsung der Umsetzung von
Produktivitätsfortschritten in zusätzlichen Lohn für zusätzlichen Konsum, also in
zusätzliche Produkte, mit zusätzlichem Durchsatz von Stoffen und Energien.
·
Stattdessen: Gewinnung von Zeit für die
Besorgung der persönlichen Erfordernisse, für Muße, Genuß und Selbstentfaltung.
·
Stärkung der ökologischen Orientierung der
Produktions- und Arbeitsprozesse in der Gesellschaft!
·
Zurückdrängung der Armut und Stopp der
Verarmung;
·
Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung durch
Abbau von Stress, Angst und Überarbeitung bei allen Lohnarbeitern und daher
auch bei Klienten und Personal der Gesundheitsdienste; Verringerung der Unfallhäufigkeit;
II Zu den theoretischen Überlegungen
Woher kommt die Arbeitslosigkeit?
Diese Frage muss in zwei andere Fragen
übersetzt werden:
- wie kommt es zur Nachfrage und Beschäftigung von Lohnarbeit in der kap. Produktionsweise?
- wie kommt es zur Nachfrage und Beschäftigung von Lohnarbeit in der kap. Produktionsweise?
- woher
kommt das Angebot an Lohnarbeitskräften in der historischen Entwicklung der kapitalistischen
Gesellschaften?
a) Nachfrage des Kapitals nach Lohnarbeitern und ihre Beschäftigung
Die
kapitalistische industrielle Produktionsweise hat zwei zunächst gegenläufige
Tendenzen. Zum einen erspart sie durch Technisierung der Produktion und später auch
der Produkte die für eine gegebene Menge an Produkten erforderliche
Arbeitszeit. Bei gegebener Menge der Produkte bedeutet dies, dass die
vorhandenen Arbeitskräfte kürzer arbeiten können oder dass einzelne
Arbeitskräfte überflüssig werden.
Zum
anderen weiten die Besitzer des Produktionskapitals bei seiner Verwertung unter
Konkurrenz das Feld der industriellen Produktion aus: Sie vergrößern vorhandene
Fabriken und gründen neue, ersetzen mit billigeren oder Ersatz-Produkten die alten
traditionellen Produktionsweisen, oder lassen damit neue Produkte auf Basis neuer
Produktionsverfahren herstellen. Dafür können sie die Arbeitszeiten der
vorhandenen Arbeitskräfte begrenzt verlängern, tendenziell müssen sie aber neue
Arbeitskräfte einstellen.
Das
Verhältnis der Einsparung von Arbeitskräften und der Ausdehnung ihrer Zahl beim
industriellen Kapital ist einerseits bedingt durch die Schnelligkeit und Tiefe
der technischen Umstellungen - und andererseits durch die Ausdehnung der industriellen
Produktionsweise innerhalb von jeweiligen Wirtschaftsgebieten.
Die
Schnelligkeit der technischen Erneuerung und dabei die Änderung seiner inneren
Zusammensetzung (das Verhältnis von lebendiger Arbeit zu Maschinen und Anlagen
und den darin eingebauten Anwendungen von Wissenschaften) – aber auch die
Schnelligkeit der Ausdehnung der industriellen Produktionsanlagen hängen von jeweils
unterschiedlichen historischen Umständen ab. Beide gegenläufigen Tendenzen sind
die verschiedenen Seiten der Akkumulation der einzelnen Kapitale.
Ein
Wirtschaftsgebiet mit seinen Produktionsstandorten ist gleichzeitig der Lebensraum
der Arbeitskräfte und daher ein Absatzmarkt für die hier basierten und auch die
auswärtigen Konsumgüterindustrien. Ähnliches gilt für die Rohstoff- und die
Investitionsgüterindustrien. Die Gesamtheit dieser von den einzelnen Kapitalen
erzeugten Umstände bildet - zurückwirkend - wiederum die ökonomische Umwelt für
die einzelnen Kapitale in den jeweiligen Wirtschaftsgebieten und Staaten.
So
kann es kommen, dass die laufende Einsparung von Arbeitskräften in den schon
etablierten Produktionen - von der Zunahme von Arbeitskräften bei der Ausdehnung
und Neueinrichtung von anderen Produktionen wieder aufgewogen oder zeitweilig
sogar überholt wird. Das ist typisch für sich schnell und nachholend industrialisierende
Gesellschaften und die Einführung tief greifender neuer Produktlinien oder
Infrastruktureinrichtungen (z.B. Eisenbahnen, Energieversorgungsnetze, usw.). Umgekehrt
kann die laufende Einsparung von Arbeitskräften durch Technisierung und durch
den Import von billigeren Produktionen aus dem Ausland die Neueinstellungen in
neuen Produktionen oder Dienstleistungen übersteigen, selbst wenn eine große
Exportproduktion für Industrieerzeugnisse existiert.
Letzteres
ist seit 1975 in der BRD der Fall und allgemein bei den entwickelten kap.
Ländern - in den USA schon etwa 10 Jahren früher mit der Einrichtung von
Billigproduktionen zunächst in Mexiko und der Karibik.
b) Woher kommt das Angebot an Lohnarbeitern?
Da
kapitalistische Fabriken und Unternehmen immer in einem bestimmten historischen
Milieu entstehen und existieren, speist sich das Potential an Lohnarbeitskräften
aus Freisetzungen aus älteren Produktionsweisen und -zweigen, aus Zuwanderungen
und dann hauptsächlich aus der Reproduktion der schon in kapitalistischen
Verhältnissen lebenden Lohnarbeiter.
Letztlich
ist damit das Angebot an Lohnarbeitern abhängig vom Umfang der Lohnarbeit, relativ
zur gesamten Erwerbstätigkeit, und von deren Reproduktionsrate – d.h. vom
Verhältnis ihrer Geburten- zu ihrer Überlebensrate.
Zur
Illustration sei an das historische Beispiel in England erinnert, das wir von Marx
aus dem I Band des „Kapital“ kennen. Zunächst sind da die „Überflüssigen“ aus
der Kapitalisierung der Landwirtschaft; dann aus den durch Spinn- und
Webfabriken auskonkurrierten, bisher für Verlage produzierenden ländlichen
Heimarbeitern. Für die verelendeten Familien aus beiden Quellen war es überlebensnotwendig,
dass die Frauen ihre Arbeitskraft ebenfalls in die Lohnarbeit an die Fabriken
verkaufen konnten und die Kinder gleich mitgeliefert wurden. Dazu kam die Zuwanderung
aus Irland.
Alle
drei Quellen des Angebots an Lohnarbeitern sind historisch unterschiedlich. Sie
sind sowohl direkt, als auch vermittelt oder gar nicht von der Akkumulation des
inländischen Kapitals abhängig. Sie ändern sich und damit auch ihre Summe.
Die
jeweiligen Zahlen der eingestellten (abhängig von Reproduktion und Akkumulation
des Kapitals) und der potentiellen Arbeitskräfte (abhängig von Reproduktionsrate
und Migration) sind beides konstanten Größen. Außerdem dauern die geforderten
Qualifizierungen (und sei es nur die Fabrikdisziplin) einige Zeit und sind kostenträchtig.
Es gibt also kein automatisches gesellschaftliches und historisches „Gleichgewicht“
zwischen den beiden von der Kapitalakkumulation in Gang gesetzten Tendenzen der
Einsparung und der Ausdehnung von gesellschaftlich geforderter Arbeitszeit und
daher des Arbeitskraftbedarfs.
c) Beim Export haben wir es ebenfalls mit zwei gegenläufigen Entwicklungen zu tun:
·
Der zunehmenden Fähigkeit von zunehmend mehr
Ländern mit zunehmend mehr Lohnarbeitern (Südeuropa, Mittelmeeranrainer, Osteuropa;
Japan, Südkorea, Taiwan, China, Thailand, Philippinen, Indonesien, Indien,
usw.) relativ einfache Teile der bisherigen Inlandsproduktion der entwickelten
kap. Industrieländer, etwa der BRD, für den Export auf die Weltmärkte (einschließlich
des Inlandsbedarfs) mit geringeren Löhnen und sonstigen Kosten zu übernehmen.
·
Die sich ergebenden Industrialisierungsprozesse
in diesen Ländern (früher in Japan, Südkorea und Taiwan, heute in Brasilien,
China usw.), treiben mit den Produktionsfähigkeiten auch das Lebensniveau und
damit die Löhne so nach oben, dass der Konkurrenzvorteil durch geringe Löhne nach
und nach entfällt. Wenn allerdings die Industrien erst einmal ausgewandert
sind, dann kommen sie in der Regel, auch bei ähnlichen Arbeitskosten, nicht
mehr zurück – bleibende De-Industrialisierung ist die Folge: wie in England, in
großen Teilen der USA und bei einigen Industrien in der BRD (Kameras,
Ferngläser, HiFi-Ausrüstungen, Radio- und Fernsehgeräte, Büromaschinen aller
Art, Computer, Telefone, Handys etc.; einfache Schiffe, Krane etc., einfache
Walzerzeugnisse).
·
Für die BRD-Ausrüstungsindustrie ergibt sich andererseits
nicht nur das Geschäft mit dem Neuverkauf von Maschinen und dem Neubau von ganzen
Produktionsanlagen und –komplexen, sondern auch dasjenige mit dem laufenden
Service und der späteren laufenden Erneuerungen – und dieses Feld dehnt sich
mit der Industrialisierung in der Welt ebenfalls aus. Allerdings kann das Riesenland
China mit dem politisch gesteuerten gezielten Prozess des technologischen
Aufholens in mittlerer Frist durchaus auch das Niveau und die Differenzierungen
der BRD-Ausrüstungsindustrie erreichen.
Diese Prozesse der Weltmarktkonkurrenz, der Weltmarktintegration und darin
der nachholenden Industrialisierung sind weiterhin und zunehmend wirksam. Bisher
und absehbar führen die gegenläufigen Tendenzen zu einem seit Jahrzehnten sich
verringernden Bedarf an industriellen Arbeitskräften.
III Strategische Überlegungen
Bei
den Überlegungen zur Durchsetzung einer Arbeitszeitverkürzung sind sehr
unterschiedliche Seiten des Problems zu betrachten: zeitliche Form;
Bestimmungsart, Länge; Regelungsart; objektive Interessen von Gruppen; Hebel
der Durchsetzung:
-
die zeitliche Form: täglich, wöchentlich, jährlich,
nach Lebensverlauf, oder nach individuellen Bedarfen, Maß und Art einer
Flexibilisierung;
-
die absolute Größe der Verkürzung z. B. 1 oder 2 Stunden
pro Tag, 5 oder 10 Stunden pro Woche;
-
die zeitliche Streckung: in Jahresschritten oder in
zwei großen Schüben;
-
die Bestimmungsart: nach individueller Wahl oder
aufgrund kollektiver Regelungen;
-
die Art der kollektiven Regelung: per Tarifverträgen
oder per Arbeitszeit-Gesetz;
-
die möglichen Hebel für die Durchsetzung:
Streiks in Gewerben und Tarifgebieten,–
oder politische Kampagnen für ein Gesetz und eine Mehrheit im Parlament, mit entsprechendem Druck;
Streiks in Gewerben und Tarifgebieten,–
oder politische Kampagnen für ein Gesetz und eine Mehrheit im Parlament, mit entsprechendem Druck;
-
Gruppen mit objektivem Interesse an Arbeitszeitverkürzung;
-
Interesse an bestimmten Formen und Inhalten;
-
Subjektivierung der objektiven Interessen und Handhaben
für ihre Durchsetzung;
-
Notwendigkeit der Sicherung der bestehenden Lohnhöhe der
Beschäftigten als Sicherung des Lebensstandards ;
-
Notwendigkeit der Sicherung gegen Verdichtung und
Intensivierung der Arbeit;
-
Notwendigkeit der Sicherung eines Mindestlebensstandards
durch einen gesetzlichen Mindestlohn;
Alle Momente müssen unter den Gesichtspunkten ihrer ökonomischen und
sozialen Wirkungen einerseits, sowie der Mobilisierbarkeit und Entwicklung von
gesellschaftlich-politischer Kraft andererseits betrachtet werden.
Form, Größenordnung und Kontrollen einer Arbeitszeitverkürzung
Eine
ökonomisch relevante Größenordnung der Umverteilung und Verkürzung von Arbeitszeit,
die Aufsaugung der Arbeitslosigkeit und eine drastische Verbesserung der
Lohnquote, können nur mit einer kollektiven Regelung für alle, mit einem neuen
Arbeitszeitstandard erreicht werden. Eine individuelle Flexibilisierung könnte
dann zusätzlich zur kollektiven Regelung stattfinden.
Eine
für die kollektiv beeinflusste Lebensführung aller Lohnarbeiter relevante Größenordnung
und normative Kraft im Alltag kann nur über eine Regelung erreicht werden, die durchgreifend,
öffentlich sichtbar und sozial verpflichtend für alle ist: Das war, und ist
z.T. immer noch, mit den bisherigen Regelungen der Fall: Sonntag und Samstag
und Mittwoch nachmittags ohne Produktion, Dienstleistungen und Verwaltung, Ladenschluß
bei 18 Uhr. Aber die normative Kraft war begrenzt. Verkehr und andere
Dienstleistungen waren und sind davon ausgenommen, beim Einzelhandel wurden
sogar die bisherigen Grenzen des Ladenschlusses geschleift. Die Einrichtung
eines zusätzlichen freien Tagesanteils, etwa Freitags Nachmittag oder eines ganzen
Tages, würde die gegebene Aufteilung der Lohnarbeiter entlang ihrer Arbeitszeitregelung
eher noch ausdehnen und verschärfen.
Dass
alle Lohnabhängigen gemeinsam von einer neuen Regelung profitieren, kann nur
durch eine kräftige tägliche Verkürzung zu einem neuen Normalarbeitstag
erreicht werden: 6 Stunden-Tag für alle! (30 Stunden pro Woche; also eine sehr
große Verkürzung nicht erst als langfristiges Ziel; zwei Mannschaften für zwei
verkürzte Nachtschichten!)
Für
die Absicherung gegen eine Verdichtung der Arbeit und für die Einstellung der
Arbeitslosen ist eine kurzfristige Umstellungs- und Durchsetzungsphase
unabdingbar: Denn beides kann nur über zusätzliche und spezifische Kontrollen
und Sanktionen in den Betrieben und Unternehmen durchgesetzt werden. Diese
müssen die kleinteiligen betrieblichen und unternehmensinternen, höchst
wirksamen Rationalisierungsvorgänge für eine Übergangszeit eindämmen. Solche konzentrierten,
flächendeckenden praktischen Kontrollen sind nur kurzfristig als Ausnahmeregelungen
aufrecht zu erhalten.
Form und Durchsetzung
Eine
Durchsetzung über den Hebel der geltenden Manteltarifverträge kommt nicht in Betracht.
Diese beziehen sich auf die Besonderheiten der Branchen und nicht auf das Gemeinsame
aller Branchen. Für einen gesamtwirtschaftlichen Manteltarifvertrag stünde der DGB
als Tarifpartei zur Verfügung. Die Arbeitgeber würden aber wohl mit Obstruktion
antworten, was auch mit einem flächendeckenden Erzwingungsstreik nicht
verhindert werden könnte.
Es
bleibt also als Form der Durchsetzung nur ein Gesetz übrig. Darin und in seinen
Umsetzungsverordnungen könnten die Übergangsregelungen und Kontrollen detailliert
festgelegt und mit strafrechtlichen Sanktionen belegt werden. Daher dürfte man
die Ausarbeitung der Verordnungen nicht der Ministerialbürokratie und ihren Verhandlungen
mit den Arbeitgeberverbänden überlassen.
Der
richtige und notwendige politische Weg ist daher ein Gesetz (eine Arbeitszeit-Charta).
Dafür ist eine langfristig angelegte politische Kampagne erforderlich, zur
Meinungs- und politischen Lagerbildung und für entsprechende Wahlentscheidungen
der Lohnabhängigen.
Zentral
für ein solches Gesetz wäre die Beibehaltung der bisherigen Lohnzahlung als Garantie
für den Lebensstandard: Der Lohn als Entgelt für die Verfügbarkeit der Arbeitskraft
im neuen Normalarbeitstag – und nicht für eine bestimmte individuelle
Arbeitsleistung, ob mit oder ohne Zeitangabe.
Das
würde unmittelbar eine Veränderung bei der Aneignung der Wertschöpfung herbeiführen
(„Verteilung“ zwischen Kapital und Arbeit) – eine Reduktion der Kapitaleinkommen
und der Renditen und damit eine Erhöhung der Lohnquote.
Interessenlagen - Gegner
Daher
werden nicht nur die Unternehmer und Aktienbesitzer sondern alle Bezieher von
Kapitaleinkommen erbittert Widerstand leisten. Die höheren und besser bezahlten
Angestellten, die ein kleines Vermögen angespart haben oder dies erhoffen, die
allzeit bereit sind für ihren weiteren Aufstieg unbezahlte Mehrarbeit, meist
auf Kosten ihrer Gesundheit und ihrer Familien zu leisten, gehören daher mit
großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls zu den Gegnern.
Ein
besonderes Problem stellen die kleinen Praxen, Büros und Werkstätten der
Selbstständigen und der kleinen Betriebe dar, mit bis zu fünf, 10 oder auch 20
Lohnabhängigen. Da kann es leicht geschehen, dass Abhängige gemeinsam mit ihren
Chefs gegen eine solche Initiative auftreten und eine Umsetzung boykottieren.
Hier finden sich nicht nur die rund 4 Millionen Selbständigen und
Gewerbetreibenden, sondern auch ihr etliche weitere Millionen zählendes
Personal. Bei diesen „Arbeitgebern“ handelt es sich um in die Breite der
Gesellschaft wirkende Meinungsführer und Multiplikatoren in der Praxis.
Die
Selbständigen ohne Lohnabhängige bilden ein weiteres Problem. Sie haben schon
jetzt keine übergreifende Arbeitszeitregelung. Ein Teil war bisher über die
gesetzlichen Öffnungszeiten von Ladenlokalen etwas gebunden. Insgesamt haben
sie keine absehbaren Vorteile von einer Verkürzung der Arbeitszeit.
Interessenlagen - Befürworter
Die
Lohnarbeiter mit erzwungener Teilzeitarbeit gehören ebenso wie die Arbeitslosen
zu den Hauptinteressenten für eine Arbeitsumverteilung.
Aber
für die Durchsetzung einer Arbeitszeitverkürzung und damit einhergehenden
Arbeitsumverteilung ist natürlich die Mehrheit der beschäftigten Lohnarbeiter zentral.
Bei
ihnen muß die Werbung fruchten – sie müssen das zu ihrer eigenen Angelegenheit
machen. Es geht also z.B. in der Metallindustrie auch um all jene,
die schon tariflich nahe der 35-Stunden-Woche angekommen sind. Eventuell
arbeiten sie praktisch rund 40 Stunden (einschließlich Überstunden), wie die
meisten anderen in tariflicher Normalarbeitszeit Beschäftigten und dies bei einigermaßen
gesicherten Arbeitsverhältnissen und eher mittlerem Verdienst.
Sie
alle sehen bisher keinen Grund, dies durch eine komplizierte neue Regelung in Frage
stellen zu lassen:
Daher
muß die Absicherung ihrer Besitzstände, die Auflösung ihrer Besorgnisse, vor
allem aber die Ausmalung ihrer künftigen besseren Lebensverhältnisse in das
Zentrum einer Kampagne rücken – und nicht der Appell an ihr Erbarmen mit den
Arbeitslosen und den Teilzeitlern.
Praktikabilität und Kontrollen
Eine
praktikable Regelung der Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte für die
verkürzte individuelle Arbeitszeit der bisherigen Betriebsangehörigen ist für
die gesellschaftsweite Toleranz und Unterstützung Kampagne unabdingbar.
Unter
anderem müssten die Betriebsräte, aber auch die Gewerbeämter und Unfallversicherungsorgane
mit besonderen Kontrollbefugnissen ausgestattet werden. Bei der überbetrieblichen
Interessenvertretung müsste den Gewerkschaften eine besondere Rolle eingeräumt
werden. Wahrscheinlich wäre die zeitweilige Einrichtung einer Art
Schiedsgericht aller Beteiligten erforderlich, das unmittelbar ohne Fristen und
Instanzenweg aktuelle Streitfragen sofort entscheidet, um Verschleppungen durch
Verfahren zu verhindern.
Es
gibt sehr viele Arbeitsverhältnisse mit völlig unzureichenden Löhnen. Dort sind
die Versuchung und der Zwang Überstunden zu machen, um den Lohn aufzubessern,
sehr groß. Dem kann nur durch einen gesetzlichen Mindestlohn begegnet werden, der
gleichzeitig mit der Verkürzung eingeführt und ebenso durchgesetzt und
kontrolliert wird.
IV Politisch-praktische Überlegungen
Subjektivierung von objektiven Interessen und von Zukunftsszenarien
Die
Ziele eines Projektes von Arbeitszeitverkürzung bestehen erstens in einem besseren
Leben mit weniger Arbeit und zweitens in der Befreiung von bisherigem Ungemach.
Beide, in dieser Reihenfolge, muß in der Werbung als zentrale Ziele und in der
Durchsetzung zum bewegenden Motiv werden.
In vielen Bereichen gibt es eine „Kultur“
der Leistung auch bei den Beschäftigten. Das sollte aufgegriffen werden: Aus
der Verantwortung für die Arbeitsergebnisse und für die Aufrechterhaltung der
eigenen dauerhaften Leistungsfähigkeit kann ein starkes Motiv für die Arbeitszeitverkürzung
entstehen – gegen Überforderung und Selbstausbeutung.
Organisierungen und Organisationen
Bisher
gibt es keine Organisation von Lohnabhängigen, die die Arbeitszeitfrage ins Zentrum
ihrer Tätigkeit gestellt hat.
In
den Manteltarifen sind die Gewerkschaften direkt mit den Arbeitszeiten befasst.
Zwar hat Verdi einen eigenen ArbeitsberIeich für die Arbeitszeitverkürzung
eingerichtet und diese leistet Hervorragendes – aber über Nebenforderungen sind
Arbeitszeitfragen in Tarifforderungen bisher nicht hinaus gekommen. Von einer
Konzeption der Veränderung der gesellschaftlichen Arbeitsorganisation und
Arbeitsteilung mittels Arbeitszeitverkürzung sind sie anscheinend alle weit entfernt.
Gleichwohl
sind die Gewerkschaften natürlich die wichtigsten Organisationen, deren Mitglieder,
ehrenamtliche Funktionäre und Führungen für ein solches Projekt gewonnen werden
müssen. Ihre Fähigkeit zur Interessenformulierung und ihre organisierende Kraft
sind bei der Entwicklung von Aktivitäten letztlich unverzichtbar.
Allerdings
sind von den 20 Millionen Angestellten aller Bereiche nur wenige Prozent organisiert
und nur Teile davon haben zumindest gewerkschaftliches Bewusstsein.
Die
Sozialorganisationen müssten für ihre Beschäftigten im Pflege- und
Krankenbereich ein Interesse für kürzere Arbeitszeiten entwickeln. Dem steht
die Knappheit der Mittel entgegen. Daher ist die Zusicherung einer besseren
Finanzierung unabdingbar für deren Unterstützung. Das wiederum steht in keinem
direkten Zusammenhang mit einer Arbeitszeitverkürzung, sondern hängt mit der Primärverteilung
der Einkommen und der stärkeren Besteuerung von Kapitaleinkommen ab. Ein Programm
der Ausweitung der Einnahmen der öffentlichen Hände wäre als politische Einbettung
des Projektes notwendig und hilfreich.
Sozialverbände und Kirchen wären als Vertreter allgemeiner
Humanisierungsvorstellungen wohl ebenfalls für ein Projekt zur
Arbeitszeitverkürzung und der Arbeitsumverteilung zu gewinnen:
-
zur Entlastung von Alltagsstress und mehr verfügbarer
Zeit, für ihre Klientel und die Allgemeinheit;
-
zur Eindämmung der Verarmung durch Arbeitslosigkeit und
Niedriglöhne;
-
Für eine Entkommerzialisierung der allgemeinen Lebensverhältnisse.
Die
Verbände von Eltern, Lehrern, für Kultur und Sport wären wohl ebenfalls für eine
Begrenzung der Arbeitszeit und Arbeitsbelastung sowie die Vergrößerung der frei
verfügbaren Zeit zu gewinnen.
Die
Aufzählung könnte fortgesetzt werden.
Zeithorizonte von Forderung und Umsetzung
Die
ökonomische und organisatorische Umsetzung von Arbeitszeitverkürzungen sollte
man vorläufig mit jeweils einem Jahr für die erste Etappe von 40 auf 35 Stunden
und für die zweite von 35 auf 30 Stunden ansetzen. Ein Jahr Pause dazwischen
für Nacharbeiten und Konsolidierung wäre wohl das Mindeste.
Bevor
ein solches Projekt zu einer auch öffentlich wahrgenommenen Kampagne werden
kann, bedürfte es einer breiten und intensiven Information der Aktivisten und
Organisationen und ihrer Vernetzung. Das erfordert ganz sicher mehr als nur ein
Jahr. Danach stünde die langwierige Überzeugungsarbeit der bisher passiven Hauptadressaten
an, und erst dann eine Entfaltung von politischem Druck durch öffentliche
Aktivitäten. Für das alles ist die erforderliche Zeit von heute aus nicht zu
kalkulieren. Aber wie die Entscheidungen bei der Atomkraft und bei den
Bankenrettungen zeigen, kann es mitunter rasend schnell gehen. Das hängt von der
relativen Stärke der Bewegung und der Wahrnehmung der Bourgeoisie und ihrer
Trabanten über eine Gefährdung ihrer Interessen ab. Der Kern der Frage ist also
die Entwicklung der Selbstbewegung.
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