Sonntag, 1. September 2013

Camerons Demütigung – Vom Adler zum Suppenhuhn



http://www.welt.de/politik/ausland/article119510122/Camerons-Demuetigung-Vom-Adler-zum-Suppenhuhn.html

Einfach köstlich und eine realistische Schilderung der englischen innenpolitischen Verhältnisse.

Man fragt sich nur, wie die USA-gefolgschaftstreue Redaktion den Herrn Borger so etwas schreiben lassen kann, so von imperialistischem Pudel zu, normaler Weise, imperialistischem Auftragsbeisser(bomber).

JM

29.08.13Londons Syrien-Pläne
Camerons Demütigung – Vom Adler zum Suppenhuhn

Mit großem Getöse kündigte der britische Premier Maßnahmen gegen das syrische Regime an. Doch die Opposition will einfach nicht zustimmen – jetzt muss er zurückrudern. Nicht ohne saftiges Schimpfen. Von Sebastian Borger

Tagelang gab sich David Cameron (Link: http://www.welt.de/themen/david-cameron) entschlossen. Er selbst und sein Land könnten nicht "nichtstuerisch zusehen, wenn Chemiewaffen eingesetzt werden", teilte der vorzeitig aus dem Cornwall-Urlaub zurückgekehrte Premierminister jeder TV-Kamera mit. Die Giftgas-Attacke in Syrien (Link: http://www.welt.de/themen/syrien-krise/) habe für den Westen Handlungsbedarf gegen den verantwortlichen Diktator Baschar al-Assad erzeugt, da sei er sich mit den wichtigsten Verbündeten USA und Frankreich sowie der Opposition einig.

Selbstbewusst kündigte der Brite am Mittwoch einen Resolutionsentwurf im UN-Sicherheitsrat an: Dessen Mitglieder – gemeint waren vorrangig Russland und China, die bisher alle Interventionen torpedieren – würden Gelegenheit erhalten, "ihre Verantwortung zu zeigen." Cameron selbst wollte sich am Donnerstagabend im vorzeitig zurückgeholten Unterhaus ein breites Mandat für die britische Beteiligung an den geplanten Luftschlägen gegen Militäreinrichtungen des Assad-Regimes holen.

Am späten Mittwochnachmittag geriet der steil gestartete Militär-Adler plötzlich zum kleinlauten Suppenhuhn. Der Premier musste sich telefonisch von Labour-Oppositionsführer Edward Miliband sagen lassen: Zustimmung für den geplanten Kurzkrieg gebe es frühestens, wenn die UN-Inspektoren ihre Arbeit verrichtet hätten – und auch dann nur, wenn Assads Schuld am Sarin-Massenmord zweifelsfrei belegt werden könne. Damit geriet Camerons Zeitplan ins Rutschen: Die für Samstag geplanten Raketenangriffe müssen entweder verschoben oder – welche Schmach! – ohne den britischen Möchtegern-Bellizisten durchgeführt werden. Die teure Sondersitzung des Parlaments vier Tage vor Ferienende wird zur Schaubühne für leere Rhetorik, erst ein erneutes Votum des Unterhauses gäbe grünes Licht zum Schießen.


Hälfte der Briten ist gegen Militärschlag


Plötzlich machte sich Cameron ganz rar. Das öffentliche Zurückrudern überließ er seinem Außenminister William Hague und dem liberalen Vizepremier Nick Clegg. Wie es im Inneren des Regierungschefs aussah, der saftigen Ausdrücken keineswegs abgeneigt ist, verdeutlichte eine Quelle aus seinem Umfeld gegenüber der seriösen "Times" (Link: http://www.thetimes.co.uk/tto/news/politics/article3854838.ece) : Miliband sei "ein Dreckskerl sondergleichen" (a fucking cunt) und "ein Arschloch mit Zertifikat" (a copper-bottomed shit).

Mag solcherlei Gefluche die Beteiligten erleichtern, sonderlich geschickt, geschweige denn staatsmännisch sind die Verunglimpfungen des Oppositionsführers nicht. Auch in Zukunft braucht Cameron nämlich in Fragen von Krieg und Frieden die Kooperation der Labour-Party. Auf seinen eigenen Hinterbänken sitzen genug Skeptiker, um die solide, aber keineswegs überwältigende Mehrheit der konservativ-liberalen Koalition rasch zu kippen. Bei den Tories äußern sich frühere Soldaten wie Crispin Blunt oder die Ärztin Sarah Wollaston ebenso ablehnend wie Vertreter des rechten Parteiflügels, denen die Angst vor der nationalpopulistischen UKI-Partei im Nacken sitzt.

Deren Parteichef Nigel Farage fasste sein Credo im Boulevardblatt "Express" knapp zusammen: "Unser Land hat es satt, Kriege zu führen, die nichts mit uns zu tun haben." Rhetorisch geschickt hatte der EU-hassende Europa-Abgeordnete damit Volkes Meinung zusammengefasst. Einer Umfrage des Forschungsinstituts YouGov zufolge sprechen sich etwa die Hälfte der Briten gegen die geplanten Militärschläge aus. Ein Viertel ist dafür, das verbleibende Viertel äußert sich unentschieden. Einigkeit herrsche hingegen in der Ablehnung eines etwaigen Truppeneinsatzes, weiß YouGov-Chef Peter Kellner: "Das will kaum jemand."

Die Umfragen machen auch beim kleinen Koalitionspartner Eindruck. Zwar zeigt die liberaldemokratische Fraktion größere Disziplin als die generell rebellischen Konservativen, intern dürfte es Parteichef und Vizepremier Clegg aber mit bohrenden Fragen zu tun haben. Schließlich verdanken viele seiner Abgeordnete ihren Sitz dem Protest angestammter Labour-Wähler gegen den Irak-Krieg.

Gewaltiger Ansehensverlust


Der dunkle Schatten des katastrophalen Waffengangs im Zweistromland hängt schwer über dem Londoner Regierungsviertel. "Blairs Erbe", titelte der Independent über Cameron, und jeder weiß, was gemeint ist. Im März 2003 gelang es dem damaligen Labour-Premier Tony Blair, dem Unterhaus durch eine fulminante Rede die Zustimmung zu seinem längst beschlossenen Krieg mit US-Präsident George Bush gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein abzuringen.

Seither fühlen sich weite Teile der britischen Öffentlichkeit durch Blairs Beteuerungen über angebliche Massenvernichtungswaffen des Irak "eindeutig in die Irre geführt", wie es Camerons Vorgänger als Tory-Parteichef, Michael Howard, ein brillanter Anwalt, ausgedrückt hat. Die Erkenntnisse westlicher Geheimdienste seien "detailliert, ausführlich und zuverlässig", hatte Blair im Unterhaus beteuert. Die Untersuchung durch einen offiziellen Ausschuss ergab hingegen schon 2004: Was die Schlapphüte wussten, war "begrenzt, verstreut und zusammengestoppelt".

Das Trauma des Irak-Kriegs sitzt tief, nicht nur bei der Labour-Party, deren heutiger Vorsitzender Miliband sich beim Wahlvolk für das Unternehmen entschuldigt hat. Bis weit in konservative Wählerschichten herrscht Skepsis vor gegen neue Kriegsabenteuer. Der Chefkommentator des Tory-Hausblattes "Daily Telegraph" lobt demonstrativ die linke Antikriegs-Bewegung für deren "reifes Urteilsvermögen". Schließlich folgte dem Einmarsch vor zehn Jahren die Katastrophe der halbherzigen Besetzung des Zweistromlandes, das bis heute vom Bürgerkrieg zerrissen wird. Die britische Armee stahl sich 2007 gedemütigt aus der Südprovinz Basra davon. Ganz so schlimm fiel Camerons Demütigung diese Woche nicht aus. Doch der Ansehensverlust des Konservativen ist gewaltig.


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