Freitag, 14. November 2014

Konjunktur und Krise - Das Herbstgutachten der Wirtschaftsweisen 14

Die Astrologen der Ökonomie melden sich auftragsgemäß wieder zu Wort

Im Herbst 13 sahen sie die BRD noch im Aufwind: 1,6 % sollten es 2014 werden und im Frühjahr 14 sogar 1,9 % Wachstum des BIP pro Jahr – nicht richtig viel im Vergleich mit den USA, aber ordentlich im Vergleich mit dem Tal der Tränen in der EU und der Eurozone. 
Und nun – im November 14 – das Jahr ist ökonmisch fast gelaufen, sollen es gerade mal 1,2 % für 2014 werden und für 2015 werden auch nur schlappe 1,0 % vorhergesagt, unter der Voraussetzung, dass die Investitionen um 3 % steigen sollen – warum dies geschehen soll, bleibt das Geheimnis der „Astrologen“.

Und wer ist Schuld an der Wachstumsschwäche? Der SVR:
„Das Tarifautonomiestärkungsgesetz schränkt mit dem Mindestlohn die interne Flexibilität der Unternehmen ein, vor allem im Bereich einfacher Tätigkeiten. Die Möglichkeit, Löhne und Arbeitszeiten an die wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen, muss aber als ein wesentlicher Grund für den Arbeitsmarktaufschwung der Vergangenheit gesehen werden. Die nun geschaffene Lohnrigidität birgt erhebliche Gefahren für die zukünftige Beschäftigungsentwicklung, insbesondere in Krisenzeiten. Die Möglichkeiten, den Beschäftigungsstand an die wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen, sind in Deutschland ohnehin nicht sehr groß. Um Investitionen zu tätigen und Arbeitsplätze zu schaffen, also langfristig planen zu können, benötigen Unternehmen aber ein Mindestmaß an Flexibilität“ (Kapitel 1, Seite 18).(Hvhbg JM)


Selbst Frau Merkel meinte bei der öffentlichen Vorstellung (süffisant?) lächend, es sei nicht trivial zu verstehen, wie ein erst gelanter Tatbestand, für den noch nicht einmal das Gesetz beschlossen sei, schon heute die Wachstumsrate beeinflussen könne. Zwar hat sie hier mal Recht – aber so etwas kann schon vorkommen – wenn dieZukunft im Inland für die Profite bedrohlich erscheint – entdeckt „das Kapital“ schnell seine Qualität als „scheues Reh“ – und geht lieber ins Ausland oder bleibt mit den Exportüberschüssen gleich dort und steckt das Geldkapital in Finanzanlagen.

Flassbeck kommentiert das noch sehr zurüchaltend unter der Überschrift
„Sachverständigenrat: Auch aus Prognoseschaden will man nicht klug werden
Nein, es ist immer das Gleiche. Die Angebotstheorie ist unbrauchbar, aber das kann man sich natürlich nicht eingestehen und schiebt daher fadenscheinige Begründungen hinterher, wenn man falsch gelegen hat. Es ist doch mehr als erstaunlich, dass die Institute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose exakt den gleichen Fehler wie der SVR machen, nämlich die Investitionstätigkeit zu überschätzen und im Gefolge auch den Konsum zu hoch anzusetzen. Denn beide haben erwartet, dass die von den Investitionen angeschobene Entwicklung den Unternehmen hohe Gewinne beschert und daher die Haushalte, deren Einkommen vor allem von Gewinn und Vermögen abhängen, in erheblichem Maße die Konsumausgaben beflügeln.
Was bleibt, ist eine wirtschaftspolitische Beratungswüste, aus der kaum ein grüner Baum ragt, weil die Politik es zugelassen hat, dass die große Mehrheit des Faches sich in eine unhaltbare und klar ideologisch fundierte Position zurückgezogen hat und dort ohne jede Bereitschaft, aus den eigenen Fehlern zu lernen, verharrt. Wer im Jahre sechs nach der großen globalen Marktkrise ein Jahresgutachten mit dem Titel überschreibt „Mehr Vertrauen in Marktprozesse“, dem ist endgültig nicht mehr zu trauen.“


Flassbeck zeigt anhand einer wiedergegebenen Tabelle aus den SVR Gutachten, dass die Fehlprognosen systematisch aus den zu hohen Annahmen über die Investionsqoten zustande kommen, die wiederum aus der neoliberalen Annahme stammen, dass schon niedrige Kapitalkosten an sich die Kapitalisten zu Investionen veranlassen – auch wenn die Nachfrage für die zusätzlichen Kapazitäten fehlen. Praktisch ist das Kapital da viel pragmatischer – ohne vorhandene oder vermutete Nachfragesteigerung keine Investionen, auch wenn man auf jede Menge freiem Geldkapital sitzt, wie in der BRD – steckt man dieses dann doch lieber in (spekulative) Finanztitel.
http://www.flassbeck-economics.de/sachverstaendigenrat-auch-aus-prognoseschaden-will-man-nicht-klug-werden/


Wolfgang Lieb von den Nachdenkseiten geht noch sehr viel schärfer mit dem Sachverständigenrat ins Gericht:

„Jahresgutachten des „Sachverständigenrats“: „Wirtschaftswissenschaft“ als Arbeitgeberpropaganda - ...

Da ist die Wirtschaft durch den Glauben an die „Märkte“ weltweit an die Wand gefahren, das hindert den „Sachverständigenrat“ nicht, als Titel für sein Jahresgutachten „Mehr Vertrauen in Marktprozesse“ zu wählen. Das Credo der Mehrheit dieser „Ökonomen“ scheint zu sein: „Umso schlimmer für die Wirklichkeit, wenn sie unserer Ideologie“ nicht folgt. Von Wolfgang Lieb.“ …
http://www.nachdenkseiten.de/?p=23931


Die nachfolgende ausführliche Kritik, mit Zitaten des SVR belegt, ist nicht nur ökonomisch sondern auch für die fundierte politische Debatte sehr nützlich.
Aber erst ein Blick auf die längerfristige Entwicklung in der EU, der Eurozone und der BRD zeigt, dass wir es nicht nur mit einer Art konjunktureller Stagnation nach der Krise in Europa und besonders in der BRD zu tun haben, sondern dass das ökonomische Entwicklungsmuster der BRD eine Zuspitzung der „normalen“ Tendenz der kapitalistischen Industrieproduktion zur Steigerung der Profite auf Kosten der Lohnanteile am Umsatz kennzeichnet.


Auf querschüsse.de vom 14. Okt 14 sind unter dem Titel

„Eurozone: Industrieproduktion August 2014“

Charts der Industrieproduktion in der Eurozone zu sehen, die bis 1960, 1990 und 2000 zurückgehen und die dramatische Veränderung seit 2008 zeigen.
http://www.querschuesse.de/eurozone-industrieproduktion-august-2014/


Speziell für die BRD sind dann am gleichen Ort am 16. Okt 14 unter der Überschrift

„Deutschland: hohe Unternehmensgewinne und niedrige Nettoinvestitionen“


hervorragende Charts zu sehen, wie diese Entwicklung schon seit 1990 ihren Lauf nimmt. Zur Begründung heißt es dort:
„Zum Kern einer redlichen Analyse gehört, die schiefe Einkommensverteilung in Deutschland, die Schwächung der Masseneinkommen und damit auch, warum die Unternehmen nicht stärker in Deutschland investieren. Der Export läuft längst auf Anschlag und potentiell droht eher ein latenter Rückgang, die Binnennachfrage bleibt schwach und die Produktionskapazitäten sind klar unterlastet“
http://www.querschuesse.de/deutschland-hohe-unternehmensgewinne-und-niedrige-nettoinvestitionen/


Die ersten Ergebnisse der BIP-Daten des Stat. Bundesamtes für das 3. Quartal 14 von heute, 14.11.14, sind noch zu wenig detailliert, um schon kommentiert zu werden. 

JM

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