Mittwoch, 16. März 2016



Flüchtlinge - ungebetene Gäste aus dem Orient

Jörg Miehe  – 3.12.15

Der plötzliche Anstieg des Flüchtlingszustroms über die Türkei seit Mitte des Jahres 2015 hat die Ankunftsstaaten von Griechenland bis hin zu Schweden und Dänemark, aber vor allem Deutschland vor eine Serie von schwierigen Problemen gestellt. 

Zunächst die Versorgung der 10-Tausenden auf ihrem Weg von den griechischen Inseln in den Norden und die Koordinierung des Transportes, dann die Aufnahme und Verteilung in Lager und weitere Aufenthaltsmöglichkeiten, die Registrierung und die Einleitung der Prüfung und Gewährung mindestens eines vorübergehenden Aufenthaltsstatus. Das war einerseits eine großes Problem der Arbeit der Grenzschutzorgane und Verwaltungen der EU-Staaten, sowie ihrer Koordination. Und dann das Problem der Verwaltungen in der BRD zwischen den Ebenen der letztlich praktisch zuständigen Gemeinden, den Ländern und dem Bund und den verschiedenen Polizeiorganen. Sie alle hatten verständlicherweise keinen Plan. Zudem waren und sind die Administationsstruktur der EU, aber gerade auch der Föderalismus der BRD für eine solche Aufgabe nicht geeignet und daher überfordert. 

Seither kämpfen vor allem die CSU und Teile der CDU um die Wiedereinsetzung und die Verschärfung der geltenden Regeln und die Durchsetzung der Regeln in der EU. Die ersten beiden Punkte gelingen ihnen unter viel politischem Getöse. Die Terroranschläge und die anschließende Medienhysterie, ebenso wie die zunehmende Sympathie für die AFD und andere Rechte helfen dabei kräftig. Durch den Terror sehen sich nun viele EU-Staaten dazu legitimiert, sich den EU-Regeln zu verweigern und die Bundeskanzlerin im Regen stehen zu lassen. Die SPD, als Mitglied der Großen Koalition, versucht herum zu Eiern und zugleich Regierung und Opposition von rechts und links zu spielen. 

Die linken Kräfte hingegen unterstützen die praktische und die ausgerufene „Willkommenskultur“, wenden sich ohnmächtig gegen die Verschärfung der Regelungen und konzeptionell völlig planlos gegen die abwehrende nach rechts gleitende Reaktion großer Bevölkerungsteile. 

Die gesellschaftliche „Verarbeitung“ der Zuwanderung – und die politisch erforderliche Reaktion


All diese aufgeregten und von links sehr emotional geführten Diskussionen betreffen aber zunächst nur die Anfangsprobleme des Umgangs mit dem Strom der neuen Zuwanderer. Schon jetzt zeigt sich, dass eine breite Palette von Aktivitäten in und durch die Gemeinden und von zugesagten Finanzmitteln des Bundes eine “geordnete” Chaos-Bewältigung zumindest in Gang setzen. 
Dabei spielen spontane zivile Hilfskräfte, eben die praktische Willkommenskultur relativ breiter Bevölkerungskreise und ihre freundliche Unterstützung eine erhebliche Rolle. Allerdings zeigt sich auch das Gegenteil – extrem in den Angriffen auf meist erst geplante Flüchtlingsunterkünfte. 
Die wirklichen gesellschaftlichen Probleme werden sich erst später ergeben – die „Integration“ der Flüchtlinge als Zugewanderte mit welchem Aufenthaltsstastus auch immer. Dabei sind zwei, drei Problemkreise zentral: 
  • Arbeitserlaubnis und Arbeits“platz“ (genauer Arbeitsvertrag und Arbeitseinkommen), 
  • eine zivile Wohnung ohne Ghettoeffekt und 
  • die Eingliederung der Kinder in Kitas, Kindergärten, Schulen und 
  • der Jugendlichen in Berufsausbildungen. 
Jede Begrüßung einer „Willkommenskultur“, die sich nicht vorrangig und dringlich um diese Fragen kümmert ist problematisch. 


Gleichgültig, wie energisch und weitblickend z.B. die Frage der Arbeitsplätze angegangen wird, es bleibt unausweichlich, dass es, mit oder ohne Arbeitserlaubnis, im Segment von illegaler bis legal prekärer Arbeit einen massiven Zustrom geben wird. Die verschärfte Konkurrenz in diesem Sektor bedeutet, dass junge, sehr zielstrebige und energische zugewanderte Personen, meist mit relativ hohen Bildungsabschlüssen und guten Englischkenntnissen mit den schwächsten Einheimischen konkurrieren werden. 

Was anderes als heftige Ressentiments soll das bei Einheimischen erzeugen, wenn sie erleben müssen, welche Hilfsbereitschaft und tatsächliche Unterstützung die Zugewanderten erhalten, während sie seit Jahren unter Druck stehen, ihre soziale Existenz zu sichern, sich gegen die Zumutungen der Arbeitgeber und der Arbeitsagenturen kaum wehren können und der unterschwelligen oder offenen Verachtung anderer sozialer Schichten ausgesetzt sind. Schon gar, wenn sie über die niedrige Schwelle in das Hartz IV-System abrutschen und ein privates Armutsregime organisieren müssen unter „fürsorglicher“ Aufsicht von „Arbeitsmarktagenten“.

Die Stärkung der politischen Abstinenz oder die Unterstützung der Forderung „nationaler“, die Einheimischen bevorzugender politischer Haltungen und Maßnahmen ist programmiert. Wer dagegen dann mit moralisch anti-rechter öffentlicher Empörung und Rhetorik auftritt, verfehlt die Sache und erreicht ganz sicher das Gegenteil. 

Die einfache Frage
, was hindert Menschen am sozial und ökonomisch unteren Rand der Gesellschaft an eigener Hilfsbereitschaft – neben vielleicht zufällig auch vorher schon vorhandenen rechteren Einstellungen? Die eigene Lage, die natürlich auch als Diskriminierung gegenüber und durch die eigenen Landleute erlebt wird! Und diese helfen nun demonstrativ und von der Öffentlichkeit gelobt, nur den Neuankömmlingen! 
Dieser fast unvermeidlichen Tendenz der sozialen Entgegensetzung von Einheimischen und Zuwanderern kann nur entgegengewirkt werden, wenn nicht die Hilfe für die Neuankömmlinge, die „Willkommenskultur“ und auch nicht eine vermeintliche Gemeinsamkeit der Interessen betont wird, wie im gut gemeinten Slogan „Gemeinsam kämpfen“ , sondern wenn das Ende der materiellen Diskriminierung der schlecht bezahlten und prekären Schichten der schon vorhandenen Arbeitsbevölkerung und der Hartz IV Empfänger in das Zentrum gerückt wird: 

Also: 
  • Erhöhung des Mindestlohns
  • Verbot von Leiharbeit und Werkverträgen, 
  • massive Erhöhung der Hartz IV Sätze und Beseitigung der Sanktionen und des Zwangs zur Annahme jeder Arbeit usw.. 
  • Auflegung eines massiven Arbeitsbeschaffungsprogramms, 
  • z.B. mit einem schon vorher dringend erforderlich gewesenen Wohnungsbau, der nun in viel größerem Maßstab nötig wird. 
  • Erhebliche Erhöhungen von Bundesmitteln für Kinderbetreuung, Schulen und Berufsausbildung. 
  • Für all diese Zwecke Erhöhung der Kapitalsteuern. 
Dies alles, damit auch die bisher schlechter gestellten in die Lage versetzt werden, nicht mit den Neuankömmlingen konkurrieren zu müssen, sondern ihnen neutral oder helfend begegnen zu können. Ehe daraus ein „Gemeinsam kämpfen” werden kann, dafür bedürfte es erster Erfolge in dieser Richtung. Die positive Wirkung des dürftigen und löchrigen, eben sozialdemokratischen, Mindestlohns, sollte ein Ansporn sein, um dort massiv nachzusetzen!

Gemeinsam kämpfen“ können die Zuwanderer erst, wenn sie einen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, politisch Einfluß nehmen können, im Arbeitsverhältnis gewerkschaftlich kämpfen und als Teil der in sozial ähnlicher Lage Befindlichen auftreten können. 
Vorher dagegen müssen sie sich individuell um ihre eigenen Interessen kümmern, und das heißt auf Hilfe und Entgegenkommen hoffen, auf Durchsetzung von Rechten als Zugewanderte dringen und die Konkurrenz gegen Mitankömmlinge und Einheimnische am Markt für Arbeitskräfte gewinnen. 

Wer die Probleme nicht von dieser Seite her angeht, isoliert sich politisch selbst und schafft keine Verbesserung der Lage, weder für die Ankömmlinge, noch für die schon vorher bedrängten Einheimischen.

Durch die Plötzlichkeit und Größe des Zustroms waren die bisher schon nur mangelhaft funktionierenden Regeln der Behandlung von Flüchtlingen in der EU (siehe z.B. die Flüchtlinge von Libyen nach Lampedusa in Italien und ihr weiterer Weg) und auch in der BRD nicht mehr handhabbar und wurden laufend durchbrochen – vor allem durch die öffentliche, demonstrative Zusage der ungehinderten Einreise über die Grenze in die BRD durch die Bundeskanzlerin. 
-------


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen