Mittwoch, 16. März 2016


Zur akuten “Flüchtlings”-Frage” in der BRD

J.Miehe  - 15. Sept 2015

Bilder vom „Auszug aus Ägypten“ und denkbare Alternativen

Die Fernseh- und Zeitungsbilder zeigen Menschen, die man umgangsprachlich als Flüchtlinge bezeichnet. Sie werden vor allem dort fotografiert, wo sie sich an Flaschenhälsen ihres Treks oder mit oder ohne Transportmittel stauen, oder wo Gerettete von abenteuerlichen und todesträchtigen Meeresüberfahrten ankommen, die viele Monate und Jahre schon in Süditalien. Die meisten wollen anscheinend direkt in die BRD oder nach Schweden, viel weniger nach Frankreich oder England oder in die anderen EU-Staaten.
Vorrangig junge Männer, die ihren vorherigen Aufenthaltsort, evt auch direkt ihr Zuhause hinter sich gelassen haben. Wenn sie ursprünglich aus dem Irak oder aus Syrien kommen sind sie oft schon vorher in die Nachbarländer geflüchtet und haben dort eventuell viele Wochen, Monate oder Jahre in Lagern gelebt. Dort scheint die Versorgung zunehmend prekär zu werden. Die UNO hat viel zu wenig Geld von reichen Staaten erhalten, sowohl von den Öl-, wie von den westl. Industriestaaten.
1. Die sehr einfache und auch kurzfristig wirkende Maßnahme, mit der die Odyssee über das Meer und die Trecks über Land, sowie die enormen Kosten der Aufnahme und Integration der Migranten in die europäischen Staaten vermieden werden könnten, nämlich die dafür anstehenden vielen Milliarden stattdessen in den Ausbau und die Versorgung der Lager vor Ort zu leiten, wurde und wird offenbar von keinem der europäischen Aufnahmestaaten oder der EU in Erwägung gezogen oder gar praktiziert.

2. Weniger einfache Programme und Maßnahmen, wie die ökonomische und gesellschaftliche Integration der Geflohenen in den Nachbarstaaten von Irak oder Syrien durch die EU-Staaten zu finanzieren und bei der Organisation zu helfen, werden anscheinend auch nicht ernsthaft und massenhaft betrieben – obwohl auch diese billiger und gesellschaftlich unproblematischer wären, als die massenhafte Verpflanzung von Nah-Ost-Flüchtlingen in die Gesellschaften der EU zu verkraften – wo zudem in den Ost- und Südeuropäischen Ländern selbst Wirtschafts- und Sozialkrisen herrschen und von ökonomischer und gesellschaftlicher Integration der Übersiedler keine Rede sein kann.


3. Die mittel- bis langfristige Beseitigung der Ursachen liegt ganz offenbar völlig außerhalb des Denk- und Planungshorizontes der EU-Regierungen und der EU selber: Der Stopp der inszenierten Proxi- und „Bürger“kriege im Irak und in Syrien, akut im Yemen und in der Türkei, sowie der Wiederaufbau funktionierender Staaten, in Afghanistan, Irak, Libyen und anderen failed states.

Dafür müßten sich die EU-Regierungen von der Politik der Interventionen und der Chaosproduktion der USA im Nahen Osten radikal trennen, ihre, ähnlichen Ölinteressen folgenden eigenen Beteiligungen, wie die von England und Frankreich, aufgeben, und ihre Beteiligung an den Embargos gegen Syrien und den Iran aus Vasallengehorsam, wie von der BRD, unterlassen. Ebenso natürlich die Waffenexporte an die reaktionären und imperialistischen Kräfte einstellen. Wenn allerdings die USA selbst daraus keine Änderung ihrer Politik ableiten würden, bliebe nur noch eine offene Kooperation mit Rußland um die USA dazu diplomatisch zu zwingen. Dass beides aufgrund der innenpolitischen Kräfteverhältnisse in Europa und der weltpolitischen bisher illusorisch ist, konnte und kann man neben dem Nahen Osten in der Ukraine studieren.
Nun sind die linken politischen Kräfte in den EU-Ländern nicht in der Lage die o.g. drei möglichen eigenständigen Maßnahmen und Programme in ihren Staaten durchzusetzen, in den meisten sind sie nicht einmal in der Lage, sie auf die politische Tagesordnung zu setzen. Das gilt weitgehend auch für die Kommunistischen Parteien.

Insoweit braucht es aus dieser Richtung nicht unbedingt praktische Ratschläge für das Verhalten der Regierungen in der Flüchtlingsfrage – aber die Defizite an vernünftigen, humanen und praktikablen Lösungen sollten doch nachdrücklich formuliert werden.

1. Erwartungen der Ankommenden und unterschiedliche Reaktionen der Einheimischen

In Deutschland, aber wohl mehr noch in Schweden, suchen die Ankommenden im besten Fall schon dort weilende Familienmitglieder oder Landsleute oder einfach die dort angebotenen Aufenthalte für vorübergehende Aufnahme oder eine förmliche Aufenthaltsprozedur. Schlimmstenfalls droht Ihnen als Nicht-Legale die Obdachlosigkeit und eine offene oder organisierte Untergrundexistenz.

Bei den Bootsflüchtlingen, die nach Süditalien kommen konnten oder dorthin gerettet wurden, handelte es sich um 10 Tausende. Bei den mittlerweile aus den verschiedenen anderen Routen, meist über die Türkei, teilweise auch bei uns in der BRD Ankommende oder sie Durchquerende in Summe um mehrere 100 Tausende.

Sie sind also wohnungslos, einkommenslos, ohne Habe für den Lebensalltag, manchmal mit manchmal ohne Paß und als Flüchtlinge in einem fremden Staat, dort noch ohne legalen Aufenthaltsstatus, aus einem anderen Staat oder einem Fluchtland, die ihnen als Staatsangehörige oder Asylgewährende keinen Schutz und keine Hilfe mehr bieten können oder wollen (oder nicht danach gefragt werden). Wenn auch nicht formell – so aber doch real staatenlos.

Das löst bei den Betrachtern, je nach eigenem mentalen und sozialen Zustand und Welt-Ansicht unterschiedliche Reaktionen aus. Bei den Funktionsträgern, die mit den Flüchtlingen qua Amtsauftrag zu tun haben, ist die amtliche und gewollte Reaktion dann von der persönlichen zu unterscheiden – und macht sich nur beim Umgang, dem Eifer und der Initiative bei den notwendigen Improvisationen geltend.

Einerseits gibt es Mitgefühl, Mitleid, und massenhafte Hilfsbereitschaft. Das kann man abstrakt als Barmherzigkeit oder als Humanismus auffassen, und wird fälschlich als Solidarität bezeichnet.

2. Andererseits gibt es von verschiedenen Personengruppen andere, aber sehr unterschiedliche Reaktionen

Bei den zuständigen Amtsträgern, inzwischen angetrieben von den höchsten Repräsentanten und der sog. Öffentlichen Meinung, größeren Eifer bei der Organisierung der provisorischen praktischen Unterbringungen, und der Transporte an den Tag zu legen, werden die vorgesehenen Prozeduren der formellen Aufnahme, Registrierung, Fingerabdruck, Erklärung der Herkunft und Einreise und der kurzen Erklärung der Fluchtgründe, und vorläufigen Papieren, aufgrund der Zuständigkeit beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und deren mangelhafter Ausstattung nur sehr zögerlich beschleunigt – obgleich die Vertreter aller politischen Ebenen von der Staatsspitze bis zum Bürgermeister alle dringlich danach rufen. 

Dies mit zweierlei Motiven: Die praktisch Helfen Wollenden und Müssenden möchten die Flüchtlinge möglichst schnell auf Kommunen und dort in Wohnungen verteilen – um dort die Anfangsintegration in Gang zu setzen, und auch den demonstrativen Angriffen von Rechts die symbolischen Orte von Lagern und Heimen zu entziehen. Die Engpassbeseitiger wollen damit vor allem den Aufenthaltsstau auf Bahnhöfen, vor Erstaufnahmelagern und vor Erstregistrierungsstellen auflösen. Die offen Ablehnenden oder Doppelzüngigen wollen die Spreu vom Weizen trennen: Möglichst wenige von denen anerkennen, die nach Gesetz und politischer Korrektheit Aussicht auf Asyl aufgrund der Anerkennung als (politischer) Flüchtling haben, wie jetzt pauschal alle tatsächlichen und vermeintlichen Syrienflüchtlinge, und sie von den anderen trennen, die wegen rechtlich mangelhafter Gründe formell ohne Aussicht auf Asyl sind, um sie möglichst schnell nach der Prüfungsprozedur abschieben zu können.
Bei ganz Rechten ist es eine willkommene Gelegenheit die Flüchtlinge direkt anzugreifen, ihre künftigen Sammelwohnungen abzufackeln, manchmal sogar bewohnte Einzelwohnungen, oder sie in Demontrationen als unerwünschte Ärgernisse, mit welcher „Beschimpfung“ auch immer, Islamisten, illegale Zuwanderer, als Schmarotzer, oder auch nur als Ausländer oder als Fremde überhaupt, zu stigmatisieren.

Dem mögen sich inhaltlich etliche, friedlich und stumm bleibende Einwohner innerlich anschließen, und sich gegen die Willkommens-Propaganda und -Praxis innerlich abschotten.

Die Frage bleibt, ob und wie viele andere, denen Ängste allerlei Art zugeschrieben werden oder die vielleicht aus einem Kalkül sozialer und öffentlicher Zuwendungsberechtigung, oder aus einem Kalkül eigener sozialer Lohn- oder staatlicher Transfer-Interessen oder der Nutzung öffentlicher Einrichtungen, wie Schulen etc., sich, meist nur privat, gegen die positive Behandlung der Flüchtlinge wenden. Angst-, Sorge- oder Interessen-Gesteuerte kommen öffentlich überhaupt nicht zu Wort – nur in manchen Äußerungen von Politkern der herrschenden Parteien der 2. u 3. Reihe, die die akuten Schwierigkeiten benennen und fordern, diese Ausnahmesituation zu beenden. Die Organisationen, Verbände und politischen Gruppen, die sich sonst um die Unterprivilegierten und Randgruppen kümmern, sind zumeist aktuell mit den Flüchtlingen und ihrem Schicksal beschäftigt und lassen, zumindest verbal, ihre sonstige Klientel völlig außer acht.

Für Barmherzige und Humanisten gibt es verständlicherweise bei der Flüchtlingsfrage keine prinzipielle Grenze für die zu gewährende Hilfe, weder bei dem Ausmaß noch bei der eigentlichen Verpflichtung von Personen zur Hilfestellung – nur pragmatische: hinsichtlich der Zeit, der Energie und der materiellen Mittel, die sie bereit sind einzusetzen oder von anderen erwarten, und hinsichtlich der Höhe der Hilfe, die sicher auch ihrer Ansicht nach nicht über das Maß einer normalen materiellen Ausstattung eines durchschnittlichen Einwohners hinausgehen müßte.

Erwägungen, aus welchen Quellen, außer der privaten Hilfe, denn die Aufnahme und Integration der Flüchtlinge finanziert werden können, werden wohl nur als praktische politische Fragen und nicht als solche von moralischer oder gesetzlicher Berechtigung angesehen. Ob dafür auch Steuererhöhungen, und dann von welchen Einkommens- und Vermögensschichten vorgenommen werden sollen, bleibt zunächst außer Betracht.

Ebenso werden Erwägungen, die oft nur als Befürchtungen, und manchmal auch als Vorwand für die Abwehr von Hilfsbedürftigen oder die Minimierung der praktischen Hilfe geäußert werden, welche Auswirkungen sonstiger praktischer Art denn die Zuwanderung so vieler und in Wellen kommender Flüchtlinge für die schon vorhandenen Einwohner hat, wohl eher als moralisch illegitim angesehen und zumal in der Linken auch als rassistisch oder fremdenfeindlich oder nur als nationalistisch, aber immer als egoistisch denunziert.
Erwähnt wird aus diesen Kreisen selten, dass wir faktisch immer noch über 5 Millionen Arbeitslose und Unterbeschäftigte haben, dass wir über 10 % und mehr Arme haben und gerade in diesen Kreisen eine erhebliche Wohnungsnot herrscht.

Was aber hat es nun mit der, oft gerade auf linker Seite, eingeforderten Solidarität auf sich? Nun, das ist bestenfalls ein historisches und begriffliches Mißverständnis, das mit viel moralischem Verpflichtungspathos verwendet wird. Richtig ist dagegen historisch und begrifflich, dass Solidarität Hilfe auf Gegenseitigkeit ist, und nicht nur die gleiche Grundsituation unterstellt, sondern auch eine Gemeinsamkeit oder Gemeinschaft, in der diese Gegenseitigkeit praktiziert werden kann und üblicherweise wird. Davon kann in der Situation von Flüchtlingen und möglichen zur Hilfe aufgeforderten Einwohnern der Ankunftsländer nicht Rede sein. Die in den Gewerkschaften als Organisationen sich fortsetzenden auch formellen Solidaritäts-Verpflichtungen und -Leistungen aus den Gesellenvereinigungen des ausgehenden Mittelalters werden hier gerade von linken Schreibern und Organisatoren völlig unberechtigt angerufen.

3. Was zu tun wäre und getan werden muß

Es stellt sich die Frage, wie eine KOMMUNISTISCHE PARTEI auf die entstehende aktuelle Krise bei der Aufnahme und Behandlung der Flüchtlinge reagieren sollte. Sie kann natürlich die jetzigen Regierungsmaßnahmen begrüßen, die eine Zuspitzung vermeiden sollen. Sie wird auch die spontane Hilfsbereitschaft begrüßen, die dabei helfen eine Atmosphäre der öffentlichen Feindlichkeit gegenüber den Flüchtlingen zu vermeiden. Ersteres sollte geschehen, weil Kommunisten nicht als mitleidlos erscheinen wollen und sollten, auch wenn ihre eigentliche Politik aufgrund der Analyse von Klasseninteressen erfolgen sollte. Das Zweite sollte geschehen, damit der zu erwartende Auftrieb und eine zunehmende Unterstützung von rechten bis faschistischen Kräften möglichst wenig Resonanz findet.

Aber kann das heißen, dass Leute, die sich aus eigenem Interesse oder als Analysten kritisch gegenüber der jetzigen Flüchtlingspolitik äußern als fremdenfeindlich oder gar als rassistisch denunziert werden dürfen?

Gehen wir die einzelnen Fragen durch, die sich mit der akuten Krise und der künftigen Entwicklung um die Flüchtlinge stellen.

Für die bisher anfallenden Kosten für die Krisenbearbeitung werden aus offiziellen Kreisen für das Jahr 2015 rund 10 Mrd. Euro angesetzt. Die beteiligten Politiker aus den Ländern und den Kommunen und aus Hilfsorganisationen erklären öffentlich nachdrücklich, dass diese Summe für die bisherigen Ausgaben keinesfalls ausreichen würden. Falls noch erheblich mehr Flüchtlinge in diesem Jahr kommen werden, wird die Summe natürlich noch größer. Die Bundesregierung hat bisher rund an die 6 Mrd. Soforthilfe angeboten, ohne das genauer zu präzisieren.

Diese Summe ist bisher nicht bei den Ländern und Kommunen angekommen. Sie ist auch noch nicht in einem Haushaltsposten enthalten, und einen Nachtragshaushalt für die Krise gibt es noch nicht. Finanzminister Schäuble verweist auf Reserven, die im Rahmen des geltenden Haushaltes u.a. durch den Anstieg der Steuereinnahmen gegenüber die Haushaltsansätzen gegeben seien – die schwarze Null würde also nicht gefährdet. Entscheidend für die spätere Entwicklung wird sein, welche Steuererhöhungen in Aussicht genommen werden, um die weiter anfallenden Kosten und ihre vermutliche Erhöhung zu bezahlen: Vermögens- und Erbschaftssteuer, oder Millionärssteuer, wie die Linke fordert – oder wieder, wie bisher, durch Kürzungen anderer Posten, meist Sozialausgaben, und nicht beim Etat der Bundeswehr, oder evt. die Mehrwertsteuer, oder einen Sondersoli!

 4. Wer wird bei gegebenen Kräfteverhältnissen bezahlen?

Alle Humanisten, Barmherzigen und Willkommens-Freunde, die außer ihrer persönlichen Hilfe staatliche Aktivitäten oder Ausnahmeregelungen bei der Aufnahme (keine oder verringert Abschiebungen) fordern, tun dies erst einmal auf Kosten der ungenügend ausgestatteten Haushalte der Länder und Kommunen, und fordern damit wegen der Ausgabenbremse stillschweigend Kürzungen von sonstigen Ausgaben. Das ist besonders problematisch, weil es Kommunen und Länder trifft, die mehrheitlich sehr arm sind und nur sehr wenige, die reich sind. Wenn der Bund tatsächlich einen erheblichen Anteil der Kosten übernehmen wird, direkt oder durch Erstattungen, dann muß im Bundeshaushalt gekürzt werden oder es müssen die Einnahmen durch Steuererhöhungen vergrößert werden. Die Forderung nach öffentlicher Hilfe erfolgt also, ohne dass die Fordernden dafür bürgen oder aufkommen zu müssen. Ihre vermeintliche „Solidarität“ soll also von allen Bürgern bezahlt oder getragen (durch Kürzungen) werden, die dafür verpflichtet, aber nicht gefragt werden.

Die Folgekosten eines längeren Aufenthaltes von Aufgenommenen werden sich auf Wohnungskosten, Unterhaltskosten, speziellen Integrationskosten, wie Arztkosten vor allem Sprachkurse und anderes mehr belaufen. Erhöhte Ausgaben für Kitas, Schulen, andere Ausbildungen werden hinzu kommen, da zunächst eine Arbeitsaufnahme nicht erlaubt ist, aber selbst bei Erlaubnis für die Meisten, auch nicht die vielen jungen Männer, keine Ausbildungsstelle und kein Arbeitsvertrag bekommen werden. Wenn die Übergangsfinanzierung beendet sein wird, dann werden die Aufgenommenen in die üblichen Sozialsysteme integriert werden, also z.B. Hartz IV und Wohngeld.

Ob nun mit oder ohne Arbeitserlaubnis, die vielen jungen männlichen Aufgenommenen werden auf die eine oder andere Weise auf den Arbeitsmarkt drängen und die Schar der bisher schon Arbeitslosen und der informellen Arbeitsverhältnisse und damit die Konkurrenz auf den Arbeitsmärkten vergrößern und mit Sicherheit die faktischen Löhne senken – Mindestlohn hin oder her.

Die Fragen der Finanzierung aus Steuermitteln und die Arbeitsmarktsituation wären, neben der akuten Krisenbewältigung, das Hauptthema für eine kommunistische Partei, die die Interessen der Lohnabhängigen vertreten will. Dafür muß sie bei den Steuern Forderungen stellen, wie z.B. die Linke. Für die Arbeitsmarktsituation muß sie Lösungen vorschlagen und propagieren: Vor allem also eine Wachstumspolitik, die im Inland zusätzliche Nachfrage nach Arbeitskräften und zusätzliche Arbeitsverträge erzeugt! Dagegen muß sie dem offenen oder heimlichen Frohlocken der Arbeitgeber entgegentreten, die sich schon jetzt auf billige Arbeitskräfte freuen.

 5. Gesellschaftliche Interessenlagen und die Frage Fremdheit der Einheimischen in „ihrer“ Gesellschaft

Die Lohnarbeiter haben ein dringendes objektives Interesse an einer möglichst schnellen und umfassenden „Integration“ der Aufgenommenen in die Gesellschaft der BRD – auch wenn ihre spontane Sorge eher auf Abwehr orientiert ist und ihre spontane Haltung eher auf Abgrenzung oder gar Diskriminierung gestimmt sein könnte. Jede praktische Gettobildung führt zu einer weiteren Differenzierung der Lohnarbeiter, oder gar zu sozialen Abgrenzungen, die natürlich von den Arbeitgebern und auch von ihren Gesetzgebern gegen die Interessen der Mehrheit ausgenutzt werden. Dafür sind ordentliche und verteilte Wohnverhältnisse, ein auskömmlicher Arbeitsplatz, sowie der Kita- und Schulbesuch die dringendsten und notwendigen Schritte. Die Integration in die existierenden Strukturen der Vereine und Verbände sind dagegen für die emotionale Integration besonders wichtig. Dass die Kommunisten als säkulare Humanisten die besondere Rolle der Kirchen und ihrer staatliche finanzierten Sozialeinrichtungen nicht propagieren sondern kritisieren sollten, liegt auf der Hand. Daher sind auch die Forderungen nach einer besonderen Rolle von Islamverbänden oder Moscheen zu kritisieren!
Es ist für die Gemengelage von sozialen Sorgen und spontanen Abwehrhaltungen in der Breite der Lohnarbeiter höchst kontraproduktiv dies als Fremdenfeindlichkeit oder gar als Rassismus zu verunglimpfen.

Was impliziert das Wort von der Fremdenfeindlichkeit? Ein völlig illusionäres Menschenbild, das weder mit einer materialistischen Betrachtung der evolutionären Herkunft der Menschen, noch mit ihrer realen sozialen Existenz in einer von verdeckten und offenen Klassenstrukturen und sozialen Schichtungen innerhalb der arbeitenden Klassen geprägten Gesellschaft irgend etwas zu tun hat.

Die „natürliche“ Ausstattung der Menschen läßt sie auf enge persönliche, zunächst „verwandtschaftliche“ Beziehungen und Zugehörigkeiten zu überschaubaren Kleingruppen angewiesen sein. Wenn die realen Lebensverhältnisse dies, zumindest in der Kindheit und frühen Jugend, nicht gewährleisten, oder diese persönlich kalt oder feindlich sind, dann können die Menschen nur ausnahmsweise selbst in solchen engeren Verhältnissen „normal“ leben leben oder überleben.

Für die gesellschaftlich vermittelte Existenzweise der Menschen ist also Vertrautheit und soziale Sicherheit im engsten Kreis das Normale. Fremdheit ist das Nicht-Normale und muß besonders eingerahmt werden und erscheinen – damit sie nicht als bedrohlich erscheint – z.B. im Status des Gastes.

In gesellschaftlichen Verhältnissen, die über solche persönlichen Verhältnisse hinausgehen, wie sie schon in jeder größeren, arbeitsteiligen Siedlung von, sagen wir 1000 Menschen existieren, geschweige denn in einer massenhaften Klassengesellschaften, mit staatlichen Strukturen, können die nicht von Vermögen lebenden Menschen nur „normal“ funktionieren oder gar nur überleben, wenn die beiden Pole, eine engere „Familie“ mit einem abgesicherten Wohnort und Haushalt, sowie einer sicheren Einkommensquelle, vorhanden oder zugänglich sind. Letzteres also heutzutage nur bei Zugang zu einer selbständigen Gewerbeexistenz oder einem Arbeitsvertrag am Arbeitsmarkt. Eine solche sichere Existenzbasis gibt es im Kapitalismus nur bei Existenz eines Staates, der zumindest als partieller Sozialstaat organisiert ist, somit die Konkurrenz, die Willkür und das Chaos der freien Ökonomie eingrenzt.

Fremdheit, oder persönliche Vertrautheit unter der Drohung jederzeitigen ökonomisch bestimmten Auflösung ist unter heutigen Verhältnissen praktisch der Alltagszustand für den größten Teil der Zeit des Lebens von Erwachsenen und der Verhältnisse – zur Arbeit, zum Arbeitsplatz, zu Kollegen und zur Betriebshierarchie, zum Einkommen, alles unter Konkurrenz, zu den Marktbeziehung des Arbeitgebers, auch diese unter Konkurrenz. Auch die Wohnung und der Haushalt sind von diesen nicht-persönlichen Verhältnissen abhängig, entweder als Mieter oder als Hausbesitzer mit einer Hypothekenfinanzierung von der Bank, die aus festem Einkommen bezahlt werden will. Und dann noch die Garantien von Verträgen und sozialen Sicherungen durch staatliche anonyme Agenturen, die die grenzenlose Konkurrenz und den sozialen Absturz oder eine folgende Ausgrenzung unwahrscheinlicher machen (Arbeitslosenversicherung, Unfallversicherung, Krankenversicherung, Rentenversicherung, Pflegeversicherung).

Dafür ist die Staatsbürgerschaft der einzige Rechtstitel, der die Sicherheit des bürgerlichen, kapitalistischen Staates beanspruchen und gerichtlich einklagen kann, aber auch dessen Zwänge hinnehmen muß. Dafür ist die ideologische aber real verbreitete In-Eins-Setzung mit der Nationalität der emotionale und symbolische Ausdruck – was denn auch die direkte Anknüpfung für rechten Nationalismus und für Rassismus ist: Ideologisches Inklusionsversprechen (in die Klassengesellschaft) durch ideologische Exklusion von „Nicht-Deutschen“ oder faktische und rechtliche Durchsetzung der Inklusion aufgrund der Staatsbürgerschaft.

Wenn durch massenhafte Zuwanderung und deren vermeintliche oder tatsächlich bevorzugte Behandlung von nicht Staatsangehörigen, fraglich wird, ob die inklusive Wirkung der Staatsbürgerschaft nicht auch aufgelöst wird, dann entstehen Bedrohungsgefühle, deren unmittelbarer Anlaß nicht die sozialen Sorgen, sondern der Einbruch der Fremdheit ist.
Der Ausdruck Fremdenfeindlichkeit stellt die tatsächlichen Sicherheitsbedürfnisse und ihre vermeinliche sichere Erfüllung in arroganter Weise auf den Kopf – so als ob Fremden-Freundlichkeit auf Grund der menschlichen Natur das Normale und Fremdenfeindlichkeit eine unmoralische Abweichung von menschlicher Güte darstellen würde. Die vermeintlich weltläufige Offenheit und doch auch unverbindliche Hilfsbereitschaft aus den unbedrohten Mittelschichten erscheint als spontaner Ausdruck von Mitmenschlichkeit – und nicht als nur scheinbar spontane Reaktion, die ihre sozialen und staatlich artifiziellen Voraussetzungen nicht kennt oder gar ignoriert.

6. Für linke Politik ist das ein Spagat 

Der emotionale Appell an Mitmenschlichkeit ist ein wesentlicher Hebel für das linke Engagement für eine Interessenpolitik spezifischer sozialer Gruppen, der Arbeiterklasse und der weiteren Lohnarbeiterschaft. Aber andererseits müssen nicht nur die Aktivisten und Klassenangehörigen lernen, dass die netten Vorgesetzten oder Unternehmensinhaber genauso wie der nette Nachbar, der von Aktieneinkünften lebt, Klassengegner und damit soziale Feinde sind.

Eine Durchlässigkeit der Staatsbürgerschaft nach außen bedeutet emotional deshalb zunächst einmal auch die unklare Bedrohung ihrer Auflösung nach innen. Die Anwesenheit auf fremdem staatlichen Territorium ist aufgrund des Staatsbürgerschaftsrechts für alle Nicht-Staatsbürger illegal und rechtlich nur aufgrund einer Erlaubnis legal.

Die Verhältnisse in der EU, sowohl im Geschäftsleben, wie im Tourismus haben das Bewußtsein dafür langsam aufgelöst, weil die transnationale Übertragbarkeit von Ansprüchen aus den Sozialversicherungen, Bewegungsfreiheit im Schengenraum und die gemeinsame Währung im Euroraum fast als Recht aus einer EU-Staatsbürgerschaft wahrgenommen wird. Aber eine EU-Staatsbürgerschaft ohne Bürgerschaft in einem EU-Staat gibt es nicht. Daher sind alle Zuwanderer von Staaten außerhalb der EU auf solche Einreise und Aufenthalts-Erlaubnis angewiesen, es sei denn, es gibt ein Abkommen über Visumfreiheit. Eine andere Berechtigung besteht in der Inanspruchnahme des Status als Flüchtling nach der UNO-Charter, oder von nationalen Asylrechten. Diese sind aber beide von der Anerkennung des Einzelfalls durch diejenigen Staaten abhängig, zu denen Zutritt verlangt wird.

Wie wenig selbstverständlich die Offenheit von Staaten gegenüber der Einreise von Fremdstaatlern sind, könnten gerade die so polyglotten Fremdenfreunde anhand des Einreiseregimes der USA prüfen.

Ein weiterer Aspekt der Krise um die Nahost-Flüchtlinge sollte für Kommunisten dagegen sehr einfach sein. Welche Umstände und Zustände in den Ursprungsländern haben zu den Zuwanderungen, zu Flucht, Vertreibung oder einfach Migration geführt, und welche Ursachen oder welche Verursacher sind dafür verantwortlich (im doppelten Sinn). Bei den Nahost-Staaten und besonders bei Syrien dürfte die Lage eigentlich klar sein, während die sozio-ökonomischen und politischen Verhältnisse in den Subsahara-Staaten Afrikas etwas schwieriger und vermittelter liegen.

Diese Umstände und Ursachen klar und deutlich den eigenen Mitgliedern und den Sympathisanten zu erklären, wäre eine der wichtigsten Aufgaben für Kommunisten in dieser Krise, u.a. weil der sonstige praktische Einfluß nur sehr gering ist.

Eine ganze Reihe von Nahost-Experten, die z.T. weit entfernt davon sind Marxisten zu sein, benennen in scharfen und unverblümten Worten die USA mit ihren Regierungen und deren Kriege, als Verursacher und Verantwortliche, die geheimdienstlichen Machenschaften, mit Putschen und Ermordungen von Politikern, sowie von Anschlägen und Anstiftungen von Bürgerkriegen und ihre politisch-ökonomische Erpressungspolitik, und ihre Bündnisse mit den reaktionärsten und menschenfeindlichsten Diktatoren und Feudalregimes als Ausfluß ihrer Interessen am Öl in Nah-Ost und der damit auch verbundenen Geostrategischen Interessen – letztlich, wenn sie nicht siegen können, die Produktion von Chaos, von „failed states“ und von zerstörten Gesellschaft sowie deren ökonomischer Infrastruktur. Genannt seien nur die Journalisten Leukefeld in vielen Interviews auch in der Jungen Welt, und Michael Lüders, der sogar im Fernsehen mit diesen Ansichten interviewt wird. Gern könnte dann auch die Tradition des US-Imperialismus spätestens seit Ende des II Weltkrieges angeführt werden.
Wo und wann ist diese eindeutige historische Zuschreibung in unseren Medien erfolgt? Meist wird sie verwässert und damit sogar beschönigt, indem die Beteiligung der BRD mit ihren Waffenexporten in diese Gegenden und diese Regime genannt werden, die Beteiligung an den US-Machenschaften und Kriegen als eigenständiges imperialistisches Interesse der BRD angedeutet wird. Dabei kann gerade im Nahen Osten auch jeder Laie sehen, dass ein objektives Interesse an Industrieexporten nur bei friedlichen und prosperierenden Verhältnissen möglich ist, und von den USA zugelassen werden muß – siehe das Embargo über den Iran oder seit einiger Zeit über Syrien. Die Vorstellung von Interessen, die die BRD aufgrund eigenen militärischen Einsatzes im Nahen Osten, ohne oder gegen die Zustimmung der USA haben und durchsetzen könnte, ist reine Phantasie – ohne der BRD-Regierung und den Industrieinteressen eine besondere Friedfertigkeit zu unterstellen. Dass immer mal wieder Politiker gerade der CDU/CSU, aber auch der SDD, wie Steinmeier, von solchen deutschen oder europäischen militärischen Optionen schwadronieren, macht solche angeblich objektiven imperialistischen Interessen nicht wirklicher.

7. Wer sind die Zuwanderer?

Eine letztes Problem stellt sich für den Umgang fortschrittlicher Kräfte mit Flüchtlingen aus Diktaturen und Bürgerkriegen, besonders aus Syrien.
Es muß ja doch überraschen, dass zu einem sehr engen Zeitpunkt sich eine solche Welle von Flüchtlingen aus Syrien oder aus Camps in den angrenzenden Staaten auf den  riskanten, aber auch teuren Weg macht. Dass sich die Kämpfe gerade besonders zuspitzen und entweder die Islamisten oder die Syrische Regierung besonders große Geländegewinne, also Städte und Stadtteile gewonnen hätten, ist aus den offiziellen Medien und auch aus den oppositionellen Internetquellen nicht zu entnehmen. Plausible Informationen dazu gibt es nicht. Nur Spekulationen, dass aus Kreisen der US-Unterstützung der Regierungsgegner neuerdings finanzielle Mittel für die Migration in die EU bereitgestellt würden. Was zutreffen mag. Brisant würde dies nur, wenn es massenhaft geschähe. Das würde heißen, dass die massenhafte Vorhaltung von Flüchtlingen in den Lagern nicht mehr als erfolgversprechend angesehen werden – und das hieße, dass die Kriegstreiber die Aussicht auf den Sturz der syrischen Regierung aufgegeben hätten.

Die Überlegung, dass das Sponsering der massenhaften Flucht nach Europa und besonders in die BRD hier soziale und politische Schwierigkeiten produzieren soll, klingt zwar verführerisch, wäre dann aber wohl doch eher ein möglicherweise willkommener Nebeneffekt.

Dass die politische Spitze der BRD und der politischen Parteien ihre bisherige Abwehr von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer mit der Propaganda der illegalen Einreise wie auf Knopfdruck in eine Willkommens-Propaganda und –Praxis für die Welle von jungen Syrern umgewandelt haben, ist dagegen wohl kaum auf eigenen freiwilligen Entschluß zurückzuführen. Da wird man wohl einen dringenden Ratschlag des große Bruders vermuten dürfen. Und schon nach wenigen Tages wird das große Tor wieder in ein Schlupfloch zurückverwandelt, was da der große Bruder wohl sagen wird.

Gerade auch politische Flüchtlinge sind als Oppositionelle und als Beteiligte an Bürgerkriegen nicht immer nur Opfer, sondern Aktive oder gar Aktivisten. Für den Krieg in Syrien ist bekannt, dass Gegnern des Staatspräsidenten und der jetzigen Verfassung Syriens Aktivisten in der BRD einen politischen Ausbildungsstützpunkt hatten und haben, der von der Bundesregierung zumindest gefördert wurde. Außerdem gab es längere Zeit Kampagnen von angeblichen Nicht-Regierungs-Organisationen (den so unverdächtigen NGOs) aus den USA, wie „Adopt a Revolution“, die massiv von Teilen der Grünen und der TAZ propagiert und gefördert wurden.

Diese Leute sind mit wenig Aufwand auszumachen, und ihr Anzetteln des Bürgerkrieges und der Interventionen durch „Befreiungskämpfer“ von Außen, öffentlich anzuprangern. Welche von den vielen ordentlich und gesittet auftretenden, sowie gut genährten und ordentlich rasierten jungen Männern ohne oder mit Bart von der Balkanroute, die man in jedem Fernsehbild, neben den weniger zahlreichen aber als Motiv beliebten Müttern und Vätern mit Säuglingen und Kleinkindern, sieht, Aktivisten des Bürgerkrieges und der Interventionen waren, ist nicht herauszubekommen. Das wird höchstens formell aufgenommen: zivile, vielleicht auch militärische, Opposition des Kampfes gegen das „Assad-Regime“ gilt mit Sicherheit als Grund für politisches Asyl. Dass sich dagegen viele sog. „Islamistische“ Kämpfer unter den Flüchtlingen befinden ist wohl eher unwahrscheinlich.

Im konkreten Umgang mit Flüchtlingen stellt sich nach einer Phase der Krisenbewältigung auch diese Frage und erfordert eine sorgfältige Praxis.
Für eine linke, eine materialistische Haltung in der Frage der massenhaften Ankunft von Flüchtlingen sollten die praktischen und objektiven Interessen der Lohnabhängigen im Vordergrund stehen:
Hilfe insofern und insoweit die sozialen Sicherungssysteme mit ihren Leistungen gewährleistet und die Beiträge aufrecht erhalten bleiben, bei der Wohnungsversorgung und der Mieten, vor allem bei der Frage von Arbeitsplätzen, der Eingrenzung der Konkurrenz, der Arbeitslosigkeit, der Steuerzahlungen und der Versorgung mit Sozialen Diensten. 

Dringend gefordert ist eine Wirtschaftspolitik des Zuwachses von Normal-Arbeitsverhältnissen, des Abbaus der Arbeitslosigkeit, der Arbeitszeitverkürzung, der Lohnerhöhungen und des ökonomischen Wachstums – kurz der radikale Abschied von der neoliberalen Austeritätspolitik und der Begünstigung des Kapitals, im besonderen des Bank- und sonstigen Finanzkapitals.

Für die Vermeidung von Ghettobildungen und Gruppenausgrenzungen, was auch im Interesse der breiten Lohnarbeiterschaft liegt, wäre eine aktive Heranziehung der Migranten in die Solidarorganisationen der Lohnarbeiterschaft, also vor allem der Gewerkschaften, die wichtigste Aufgabe – so würden aus fremden Konkurrenten am ehesten Kollegen, die man nicht mögen muß, aber mit denen man solidarisch ist!


Jörg Miehe


Sonntag, 13. März 2016

Der neue Spiegel kommt mit Titelbild und Titelstory etwas sensationsheischend daher:

Die geteilte Nation 

Deutschland 2016 – reich wird reicher – arm bleibt arm



Was allen sozial engagierten Wissenschaftlern und Zeitgenossen, auch vor allem in linken Kreisen seit mehr als einem Jahrzehnt ein vertrauter Gegenstand der Empörung ist, wird hier zu einem völlig neuen Tatbestand ausgebreitet – wofür man nur dankbar sein kann!

Das Titelbild soll zwei Welten in Form zweier übereinander liegender Zimmer zeigen, die durch die o g Überschrift geteilt werden.

Oben ein offenbar (erfolg-) reiches Pärchen in schicker Privatkleidung in einem hohen größeren aber modischen Raum, ohne erkennbaren Bezug zu irgendeiner Erwerbstätigkeit oder ernsthaften Arbeit, eher gelangweilt und ohne Bezug zu so etwas wie privaten Interessen oder zur Gesellschaft. 

Unten ein niedriger Raum, mit der gleichen Fläche, aber bevölkert mit 12 erwachsenen Personen und einem Kind, die sich drängen müssen und sich nur gebückt oder hockend aufhalten und bewegen können. Einige davon mit haushaltsnahen Dienstleistungen beschäftigt und in Arbeitskleidung, andere als Angestellte ohne Arbeitsumgebung, alle eifrig, und eine junge Mutter mit Kindergartenkind in Angestelltenkleidung, alle gebückt und gedrückt, andere ratlos suchend auf den Betrachter schauend oder deprimiert in der Ecke sitzend, offenbar ohne jede persönliche oder gesellschaftliche Perspektive. 

Aber alle, oben wie unten, offensichtlich ohne Bezug zueinander, zur Welt der materiellen Produktion und des produzierten Reichtums an Waren, dessen Verteilung und der Welt des reichlichen Konsums. Auch ohne einen Bezug zur staatlichen Verwaltung der Gesellschaft oder eines gesamtgesellschaftlichen Horizontes. 

Nun kann ein Bild nicht die alle Strukturen der gesellschaftlichen Wirklichkeit abbilden, aber es ist doch ein ziemlich treffendes Bild, dessen, was der anschließende Artikel dem Leser sagen will und das er in anschaulicher und verständiger Weise erklärt: 

Die Gesellschaft der BRD teilt sich zunehmend in 40 % untere, darin eine große Gruppe ganz unten, eine andere von 10 Prozent ganz oben - und eine mittlere von 50 %, die sich in einer breit gefächerten Mitte bewegen, die aber wohl wegen der Teilungsüberschrift nicht im Bild erscheint. 

Die Hausmitteilung bewirbt die Titelstory so:

Vom Berliner Regierungsviertel in den Soldiner Kiez sind es mit der S-Bahnkeine zehn Minuten, und doch ist die Gegend dort für SPIEGEL-Redakteur Alexander Neubacher geprägt von Armut und Perspektivlosigkeit – und es ist nicht der einzige Ort des Niedergangs. Ein Team von Redakteuren hat in den vergangenen Wochen zahlreiche Gegenden der Republik besucht, in denen sich jene gesellschaftliche Spaltung studieren lässt, die jetzt einer der prominentesten Ökonomen des Landes zum Thema macht: Die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich gefährde nicht nur den sozialen Frieden im Land, sondern bedrohe auch den Wohlstand aller Bürger, behauptet Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. (Hvhg JM)

Es ist sozusagen die Ankündigung eines Anti-„Sinns“ vom IFO München, nachdem dieser abgetreten ist. Und hiermit wird angekündigt, dass auch ein sog. „führender Ökonom“, also einer aus dem Mainstream, den Unsinn des Neoliberalismus anhand seiner ökonomisch schädlichen und sozial bedrohlichen Wirkung anprangert und aufkündigt. 

Danach kommt noch ein Bild aus einer Kunstausstellung, das plakativ die Abgehobenheit und Isoliertheit einer betuchten Oberschicht anhand eines offenbar als reich vorgestellten Paares zeigt, das allein an der Reeling eines Kreuzfahrtschiffes durch anonymisierende Sonnenbrillen ins Nichts starrt, mit der Unterschrift: 

MS Reichtum – mehr als genug.

Und damit der „noch nicht Leser“ weiter eingestimmt wird, diesmal nicht als hilfloser Betrachter einer unerfreulichen gesellschaftlichen Szenerie, sondern mit einem Schubs zur politischen Aktivität, eine Kolumne von Spiegel-Mitbesitzer Jacob Augstein, auch Herausgeber der Wochenzeitung „Freitag“ mit dem Titel

Wir sind der Staat - 

und mitten drin die optimistischen Sätze: 

Was wir gerade erleben, nennt man einen Paradigmenwechsel. Auf einmal erinnern wir uns: Der Staat, das sind ja wir selbst. Es ist das Ende der deutschen Variante der neoliberalen Revolution. 

Ist das mehr als Beschwörung oder Selbstbetrug?

Augstein macht dafür den Flüchtlingszustrom mitverantwortlich, der eine neue Qualität der staatlichen Aktivität und Finanzierung erforderlich mache, ohne den der erforderliche Mut zur Abkehr vom Neoliberalismus nicht gefunden worden sei. 

Man muß das wohl schärfer sehen und sagen: Das von den 50 % mitverschuldete soziale Elend der 40 % mehr oder weniger Armen und Abgehängten, darunter die prekär Beschäftigten, hat die restlichen 50 + 10 % nicht nur nicht gerührt. Vielmehr ist die Mehrheit der neoliberalen Propaganda gefolgt und hat die 40 % als Faulenzer und Schmarotzer diskriminiert, die in Wahrheit Opfer der sozialdemokratisch/grünen Verarmungs- und sozialen Knebelungsgesetzgebung der Agenda 2010 geworden sind. 

Dabei haben die 50 % „Mittelschicht“ bis zu den oberen 10 % auch noch von den billigen Dienstleistungen und die Unternehmer von den Leiharbeitern und Werkverträglern profitiert. 

Wie sich dies mit der enormen Zuwendung und dem Erbarmen für die Flüchtlinge, der „Willkommenskultur“ zusammenreimt – das bleibt wohl nicht nur ein Rätsel der christlichen Kultur des bundesdeutschen Abendlandes. Allerdings ist das nicht wirklich neu: Auch die Flüchtlinge und Vertriebenen nach 1945 und die Ostdeutschen nach 1990 wurden mehrheitlich eher als Fremde ausgegrenzt, denn als Landsleute willkommen geheißen.

Der Artikel im Heft macht mit folgender Überschrift und einleitenden Sätzen auf:

Das Schattenreich

Die Deutschen sind stolz auf ihren Wohlfahrtsstaat, doch die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer. Wenigen gelingt der Aufstieg aus der Unterschicht. Eine Studie zeigt:  Die Spaltung gefährdet Wachstum und Wohlstand.

Im Artikel wird denn über 9 DIN A4 Seiten in verständiger Weise geschildert und leicht verständlich erläutert, was vernünftige Sozialwissenschaftler und Sozialpolitiker, sowie Ökonomen und Linke spätestens seit der Agenda 2010 von Schröder und Fischer von 2005 diagnostizieren und in jedem Jahresarmutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes im Detail dargestellt und beklagt wird, aber in Wahrheit schon seit 1983 aus der Regierungstätigkeit der „Geistig-Moralischen Wende“ von Helmut Kohl zunehmende Regierungspraxis und gesellschaftliche Wirklichkeit geworden ist: 

Die Herausbildung einer sich verfestigenden Unterschicht aus prekär Beschäftigten, aus Arbeitslosen, aus Einzelpersonen und einem erheblichen Teil alleinerziehenden Frauen und einer zunehmenden Zahl von armen Rentnern. 

Dies nicht nur durch Hartz IV, mit dem Zwang zur Annahme jeder Drecksarbeit zu jedem Lohn, und der Unterwerfung unter das paternalistische „Diktat“ der Arbeitsamtsbetreuer, mit der weitgehenden Einschränkung der normalen Arbeitslosenversicherung und der Abschaffung der Qualifikations- und einkommensbezogenen Arbeitslosenhilfe, sowie der langsamen Absenkung der Renten. Die seit der Agenda sich kumulierende Absenkung des gesamten Lohnniveaus gegenüber der Steigerung des BiP, der Industrieproduktion und, weniger herausgestellt, der laufenden Steigerung der Produktivität und damit dem zunehmenden Zurückbleiben der volkswirtschaftlichen Nachfrage auf dem Binnenmarkt mit dem Zurückbleiben der Konsumnachfrage und der Konsumgüternachfrage. 

Die massiven Steigerungen der Kapitaleinkünfte werden nicht an sich gerügt, sondern vor allem die Steuerprivilegien bei Einkommens-, Vermögens- und Erbschaftssteuer. Auch wird der Exportüberschusses weder grundsätzlich noch sein enormer Umfang kritisiert, sondern das Zurückbleiben der Einkünfte der privaten Dienstleister außerhalb der Finanz- und der Industriesphäre. Vergessen werden dabei die Industriebeschäftigten in Leiharbeit und Werkverträgen zu Dumpinglöhnen. 

Die Verfestigung einer Unterschicht wird einerseits an der Fortsetzung der Verarmung in den Familien in den Laufbahnen der Kinder von den Krippen bis zum Studium festgemacht, aber auch an der Gefangenschaft der im Niedriglohnsektor Beschäftigten in diesem Segment, teilweise etwas verkürzt mit dem Hinweis auf mangelnde Aufstiegschancen. 

Wichtig für die wirtschaftspolitische und allgemein politische Stoßrichtung des Artikels ist der häufige Hinweis, dass die enorme und zunehmende Einkommensspreizung einen erheblichen Verlust an Produktion und Produktivität der Volkswirtschaft mit sich bringe und so auch zu Lasten der Mittelschicht(en), also der Besserverdienenden und Wohlhabenden ginge. Unter anderem sei die selektive und nicht fördernde Struktur der Bildungseinrichtungen und ihre mangelhafte Finanzierung im Effekt auch für den schon vorhandenen und den drohenden Fachkräftemangel und damit für die Bedrohung der künftigen Wettbewerbsfähigkeit der BRD-Industrie verantwortlich. 

Die Vernachlässigung der sozialen und materiellen Infrastruktur sei ein weiterer ernsthafter Bremsfaktor für Entwicklung des wirtschaftlichen Wachstums. 

Insofern sei die Idee, richtiger wohl, die Ideologie des schlanken Staates und des radikalen Abbaus der Staatsverschuldung für die Ökonomie und die Entwicklung der Gesellschaft kontraproduktiv. 

Letztlich könnten sich Ökonomie und Gesellschaft die zunehmende Spreizung der Einkommen und die Spaltung der Gesellschaft auch politisch nicht leisten, weil die Kohäsion und der soziale Friede auf diese Weise nicht erhalten sondern gefährdest werde. 

Die skizzierten Analysen und Positionen sind also keineswegs neu und inhaltlich nicht spektakulär, sondern wären eigentlich sogar nur Ausfluss von verständigem Pragmatismus und ökonomisch die Position eines gemäßigten Keynesianismus. Dass sich dies anders liest, liegt daran, dass es faktisch, wenn auch nur indirekt, ein massiver Angriff auf den Kurs und die Führung der Sozialdemokratie seit Schröder darstellt – und leise nebenbei auch als Kritik an dem Kleinmut und der Kumpanei der Gewerkschaftsführungen mit den Unternehmern. 

Wie ernst ist das nun von der Spiegelchefredaktion gemeint? Ist es einerseits nur ein kleiner Hype für die Steigerung der Auflage, oder der Versuch frühere Leser zurück zu gewinnen? Der vorgestellte Anlaß, das Herauskommen des neuen Buches von Fratscher „Verteilungskampf“, ist etwas dürftig als Begründung für einen solchen Trompetenstoß für den Abschied vom Neoliberalismus, zumindest aber von der deutschen Austeritätspolitik – vulgo von der schwarzen Null. 

Fratscher ist als Präsident des DIW zwar eine für Kenner bekannte und nicht unwichtige Figur unter den bundesdeutschen, staatlich bestallten Wirtschaftsforschern und Beratern. Aber er hat schon mit seinem vorherigen Buch – „Die Deutschland-Illusion“ von 2014, die gleichen Ansichten nachdrücklich und öffentlich in Radio- und Zeitungsinterviews vertreten und tut dies auch heute – ohne bisher in der Fachöffentlichkeit oder in der weithin neoliberal eingenordeten Wirtschaftsressorts der sog. seriösen Presse einen Stich zu machen. 

Die Nachricht ist also nicht eigentlich der Inhalt des Artikels. Der ist, wenn auch gut und frisch erzählt, leider sehr abgestanden, was man nicht den Journalisten sondern der Redaktion vorwerfen muß. 

Die wirkliche Nachricht wäre, dass der Spiegel sich nicht nur scheinbar (?), zum Vorreiter eines wirklich längst fälligen Paradigmenwechsels gegen Neoliberalismus und Austerität aufschwingen würde. 

Ob dies tatsächlich für den Spiegel, bisher einem der schlimmsten Propagandisten der Deregulierung und des Abbaus nicht nur des Sozialstaates, ein Paradigmenwechsel ist, oder gar für seine Verleger und eventuell für weitere Kreise, und eventuell auch ein Umdenken in Kreisen des Kapitals – das ist noch völlig offen – sollte aber aufmerksam begleitet werden. 

Es wäre schon wichtig, ob die Sponsoren der Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus allmählich doch eine andere Therapie von den bisherigen Gesundbetern fordern!


http://www.deutschlandfunk.de/wirtschaft-umwelt-und-verbraucher.1498.de.
htmlhttp://www.deutschlandfunk.de/soziale-ungleichheit-wir-haben-keine-soziale.694.de.html?dram:article_id=348183
http://www.deutschlandfunk.de/vermoegensverteilung-keinen-verteilungskampf-zwischen.769.de.html?dram:article_id=347173http://www.hna.de/lokales/goettingen/goettingen-ort28741/oekonom-marcel-fratzscher-deutschland-nicht-krisensicher-4114677.htmlhttp://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/gegen-die-ungleichheit-in-deutschland-wird-zu-wenig-getan-kommentar-a-1082017.html

JM 

Sonntag, 23. November 2014

Die Ukraine und die deutsche Außenpolitik im neuen "Spiegel"


Der neue gedruckte Spiegel (Nr 48 - 2014) macht mit einer Titelstory zum gefährlichen Scheitern der deutschen Ukrainepolitik auf.
Versucht das Titelbild noch zwei gleiche bornierte politische Spieler, Merkel und Putin gegeneinander zu stellen, allerdings Merkel nur mit kämpfenden Fahnen und Putin anarchischen aggressiven Milizen, so lautet die Formel in Inneren anders:
Alles nur Mißverständnisse durch unprofessionelles Unterschätzen oder Nicht-Wahrnehmen der Ansichten und Empfindlichkeiten der russischen Seiten durch die EU und die Bundesregierung, dagegen habe
Russland hat den Willen der Ukrainer unterschätzt, ihr Land an die EU
heranzuführen, und zu sehr auf seine machtpolitischen Hebel vertraut.
Die Wahl zwischen EU und Rußland, vor die die EU und die BRD die Ukraine gestellt habe sei falsch gewesen.
Von Interessen von Regierungen, Staaten und ökonomischen Subjekten, und von geostrategischen Expansions- oder militärischen Bedrohungsszenarien ist nicht die Rede. Eine Zeitleiste der Ukrainekrise kommt ganz ohne die Natoausdehnung aus.
Dafür dann im nächsten Artikel die Spekulationen darüber ob der "Westen" denn nun versprochen habe, die Nato nicht auszudehnen, oder unverbindlich geblieben sei. Und die Russen hätten ihre Bedenken auch nicht richtig deutlich gemacht!
Man muß wohl den Artikel als eine Art Notbremse ansehen - keinen Schritt weiter in Richtung Abgrund der Konfrontation. Von den wirtschaftlichen Schäden für die BRD-Industrie ist schon gar nicht mehr die Rede. Damit hatte ja das Handelsblatt in drei Sondernummern mit offener Unterstützung von Bundesdeutscher Konzernprominenz versucht, die Bundesregierung von ihrem Kurs der blinden Gefolgschaftstreue gegenüber den USA abzubringen.
Im Spiegel kommen die USA bei der Ukraine-Krise gar nicht vor!
Keine Vasallentreue, keine Unterwerfung, alles Eigeninteresse!
Noch ist unklar, ob dies die Hauptfunktion der Anklage gegen die Koalitionäre und besonders Frau Merkel ist - die globalstrategischen Interessen USA im Nebel der Unfähigkeiten und Engstirnigkeiten der EU und der bundesdetuschen Führung verschwinden zu lassen.
Heute Abend bei eine neuen Talk-Runde bei Jauch, mit wieder mehrheitllich einschlägigen anti-russischen Gästen (u.a. Biermann als Ostexperte!) wird man besichtigen können, wieweit die öff.-rechtl. Medien die Konfrontation weiter anheizen - oder der Warnruf aus den Kreisen der deutschen Bourgeoisie langsam auch den eifrigen Propagandisten läutet. Am Donnerstag bei Frau Illner, war jedenfalls noch alles auf Krawall gebürstet!

JM

hier einige Auszüge aus den beiden erwähnten Artikeln im neuen Spiegel (48-2014, S. 22 ff)

Am Nullpunkt

Europa Im Konflikt mit Russland scheint eine politische
Lösung weiter entfernt denn je. Bundesregierung und EU
haben ihre Diplomatie ausgereizt. Die Fassade einer
geschlossenen Haltung der Bundesregierung bricht auf

Philip Breedlove ist umringt von Gesprächspartnern,
er schaut umher, er
braucht einen Stift. Sein Berater
reicht ihm einen, der Kugelschreiber verschwindet
fast ganz zwischen den breiten
Fingern des amerikanischen Vier-Sterne-
Generals. Dann malt er in flinken Strichen,
vermutlich nicht zum ersten Mal, die Umrisse
der Ukraine auf die Rückseite einer
weißen Menükarte. Darin dann die jener
Gebiete, die unter Kontrolle der prorussischen
Separatisten im Osten des Landes
stehen.
Das ist die Gegenwart. Danach kommt
die Zukunft.
Breedlove, Oberbefehlshaber der Nato
in Europa (Saceur), sagt an diesem Montag
in Berlin, was er später auch in einem Interview
mit der FAZ erklären wird: Die
von Russland unterstützen Kräfte wollen
„aus den jetzt beherrschten Gegenden ein
stärker zusammenhängendes, ein genauer
umrissenes Gebiet machen“. Was fehlt, ist
der Flughafen bei Donezk und der Landzugang
zur Krim über die ukrainische Hafenstadt
Mariupol. Beide sind noch in der
Hand der ukrainischen Regierung.
Was wird die Antwort der Europäer und
der Nato sein? Gibt es überhaupt eine?
„Warten Sie es ab“, sagt der General.
Fast auf den Tag genau ein Jahr nach
einem gescheiterten EU-Gipfel zur öst -
lichen Partnerschaft (siehe Seite 26) ist in
Europa nur noch wenig, wie es war. Aus
dem Partner Russland wurde ein Gegner,
Grenzen sind verschoben, Soldaten in
Marsch gesetzt, Unschuldige wurden getötet.
Viel ist geschehen, von dem man glaubte,
es würde nie wieder geschehen. Nie
wieder zumindest auf einem Kontinent,
der wie kein zweiter das Blut von Millionen
vergossen hat. Der seine Lektion gelernt
haben sollte.
Angela Merkel spricht öffentlich davon,
dass das „internationale Recht mit Füßen
getreten“ werde. Gedacht haben mag sie
das schon öfter, für ein weltweites Publikum
ausgesprochen hat sie es noch nie. Es
ist eine Kampfansage, eine Zäsur und damit
auch der vorläufige Strich unter ein
Jahr diplomatischer Bemühungen. Die waren
gewiss nicht wertlos, aber sie scheinen
jetzt ausgereizt. Es gibt kaum noch Hoffnung,
das, was seither geschehen ist, rückgängig
zu machen. Nicht die Annexion der
Krim, nicht die drohende Abspaltung der
Ostukraine. „Alle sind irgendwie erst einmal
am Ende ihres Lateins“, heißt es in
Berliner Regierungskreisen.
Der Nullpunkt ist also erreicht, und das
ist ein gefährlicher Moment.
In der Europäischen Union gehen die
Interessen der 28 Mitgliedstaaten immer
deutlicher auseinander. Den Südländern
ist eine harte Haltung gegenüber Russland
tendenziell weniger wichtig als den Osteuropäern,
bislang bildete die Bundesregierung
die Brücke zwischen beiden Lagern.
Aber in Berlin zeigen sich erstmals
nennenswerte Unterschiede in der Lagebeurteilung,
Dienstag beim Koalitionsausschuss
dürften sie weiter aufbrechen. Die
Union steht gegen die SPD, CSU-Chef
Horst Seehofer und Kanzlerin Merkel gegen
Außenminister Frank-Walter Stein -
meier und SPD-Chef Sigmar Gabriel.
„Die größte Gefahr ist, das wir uns auseinanderdividieren
lassen“, sagte die Kanzlerin
am vergangenen Montag in Sydney.
Wahr ist: So groß war die Gefahr noch nie,
seitdem die Krise begann. Ist es das, worauf
der russische Präsident gewartet hat?
Wie die russische Strategie funktioniert,
erlebte Steinmeier am vergangenen Dienstag.
Der Außenminister stand in Moskau
neben seinem russischen Kollegen Sergej
Lawrow, der die engen Beziehungen pries:
„Es ist gut, lieber Frank-Walter, dass du
trotz der zahlreichen Gerüchte der letzten
Tage an unserem persönlichen Kontakt
festhältst.“ Steinmeier revanchierte sich,
indem er strittige Themen wie die russischen
Waffenlieferungen an die ukrainischen
Separatisten nicht öffentlich kritisierte.
Anschließend empfing ihn Wladimir
Putin, eine seltene Ehre.
Der deutsche Außenminister ist Profi
genug, um sich über die russischen Nettigkeiten
nicht zu wundern. Während die
Kanzlerin Putin bei einem Auftritt in Sydney
scharf attackierte und sagte, der Westen
dürfe „nicht zu friedfertig“ sein, schlug
Steinmeier am selben Tag in Brüssel weitaus
sanftere Töne an. Ohne Merkel zu erwähnen,
mahnte Steinmeier zur verbalen
Mäßigung: Der Westen müsse aufpassen,
„dass wir auch in der Benutzung unserer
öffentlichen Sprache uns nicht die Mög-
Entschärfung des Konflikts beizutragen.“
Der Außenminister wusste zu diesem
Zeitpunkt, dass Putin ihn möglicherweise
empfangen würde. Man könnte seine Einlassungen
also auch als Versuch lesen, den
Termin im Kreml nicht zu gefährden.
Es war das erste Mal seit Ausbruch der
Krise, dass Risse in der gemeinsamen Haltung
von Merkel und Steinmeier sichtbar
wurden. In der Bewertung des russischen
Vorgehens sind sie sich einig. Unterschiedliche
Ansichten haben sie darüber, wie
man den Russen in den nächsten Wochen
am besten begegnen soll. Das aber ist inzwischen
die alles entscheidende Frage.
Merkel hält es für wichtig, Putin nun
auch öffentlich darauf hinzuweisen, wie
seine Haltung im Westen gesehen wird und
was auf dem Spiel steht. Sie glaubt, dass
der russische Präsident nur auf klare Ansagen
reagiert – wenn er es überhaupt tut.
werden, dürfte sich am Dienstag beim Ko -
a litionsausschuss im Kanzleramt zeigen.
„Ich will dann Klarheit von Sigmar Gabriel:
Unterstützt die SPD die Bemühungen
unserer Kanzlerin oder nicht?“, sagt
CSU-Chef Horst Seehofer. Der Westen
müsse zusammenstehen, mahnt er. Und
erst recht gelte das für die Bundesregierung.
Auch in seiner Partei gebe es allzu
russlandfreundliche Strömungen, die er in
Schach halten müsse. „Die sagen sonst:
Warum gestatten wir der SPD diese russlandfreundliche
Haltung, den eigenen Leuten
innerhalb der CSU aber nicht?“ Von
Außenminister Steinmeier will Seehofer
fordern, die harte Linie der Kanzlerin nicht
zu verlassen. „Ich kenne Herrn Steinmeier
als besonnenen Diplomaten. Und wir
brauchen auch den Dialog mit Russland“,
sagt Seehofer. „Doch wenn Herr Stein -
meier eine eigene Diplomatie neben der
Bundeskanzlerin betriebe, so wäre das
brandgefährlich.“
Am vergangenen Mittwoch nahm die
Kanzlerin den Außenminister am Rande
der Kabinettssitzung zur Seite. Sie überzeugte
ihn davon, das für diese Woche geplante
Treffen des Petersburger Dialogs zu
verschieben. Steinmeier stimmte zu, die
enge Verbindung des Dialogs mit dem
Deutsch-Russischen Forum zu trennen, das
von seinem Vertrauten Matthias Platzeck
geleitet wird. Der hatte in einem Interview
angeregt, die Annektierung der Krim völkerrechtlich
zu regeln – und damit anzu-
24 DER SPIEGEL 48 / 2014
FOTOS S. 22/23: JACK TRAN / NEWSPIX / ACTION PRESS; NIKKI SHORT / AFP (R.U.)
Dahinter steckt die Sorge, die prorussischen
Separatisten könnten die Ostukraine
dauerhaft abspalten und der Westen müsste
sich damit abfinden. In diesem Fall hätte
sich zum dritten Mal seit dem Ende der
Sowjetunion die russische Strategie durchgesetzt.
Vom Staatsgebiet Georgiens sind
die Regionen Südossetien und Abchasien
unter russischer Kontrolle, in Moldawien
ist es die Region Transnistrien. Die Folge:
Keines der Länder kann in diesem Zustand
der Nato beitreten, weil eine Grundbedingung
dafür ist, Grenzstreitigkeiten mit
Nachbarn zuvor beigelegt zu haben.
Steinmeier will vermeiden, die Russen
zu provozieren. Er fürchtet, das zwinge
Moskau stärker in eine Verteidigungshaltung
und mache eine Zusammenarbeit in
anderen Bereichen, etwa bei den Atomverhandlungen
mit Iran, noch schwieriger. Wie
ernst die Differenzen zwischen Kanzlerin
und Außenminister inzwischen genommen


erkennen. „Der Klügere“ müsse auch mal
nachgeben, hatte Platzeck hinzugefügt. Im
Kanzleramt hat man sich über diesen Satz
besonders geärgert. Steinmeier tut sich
schwer damit, sich von seinem Freund zu
distanzieren (siehe Interview).
Merkel hat sich auf die Seite einer Gruppe
von Moskau-Kritikern geschlagen, die
den Petersburger Dialog, der eigentlich
das Gespräch zwischen den Zivilgesellschaften
fördern soll, grundlegend um -
bauen wollen. Dazu zählen der stellvertretende
Unionsfraktionschef Andreas
Schockenhoff, die Grünen-Bundestagsabgeordnete
Marieluise Beck und Vertreter
von mehreren Nichtregierungsorganisationen.
Sie fordern in einem Eckpunktepapier
unter anderem, dass Stiftungen und andere
gesellschaftliche Gruppen stärker am Peterburger
Dialog beteiligt werden. Außerdem
wollen sie einen neuen Vorstand.
Damit dürfte die Zeit des letzten DDRMinisterpräsidenten
Lothar de Maiziere
an der Spitze des deutschen Lenkungsausschusses
vorüber sein. Er gilt im Kanzleramt
als zu unkritisch gegenüber Russland.
Auch Platzeck, der sich Hoffnung auf die
Nachfolge gemacht hatte, kommt nach seinen
jüngsten Äußerungen nicht mehr
infrage. „Wer Völkerrechtsbruch und militärische
Aggression legalisieren will, dem
fehlt die kritische Distanz gegenüber den
russischen Partnern“, sagt Schockenhoff.
In den anderen EU-Hauptstädten ist
man besorgt über die Differenzen zwischen
Kanzleramt und Außenministerium.
Allen ist klar, „dass nur Berlin mit den
Russen auf Augenhöhe verhandeln kann“,
drückt es der Botschafter eines großen EUPartners
aus. Die baltischen Länder und
Polen sorgen sich, dass Steinmeier die klare
Linie Berlins in der Ukrainefrage verlassen
könnte.
Beim Treffen der Außenminister am
vergangenen Montag erhielten solche Sorgen
Nahrung. Die Außenbeauftragte der
EU, Federica Mogherini, schlug vor, weitere
Russen auf die rote Sanktionsliste der
EU zu setzen. Doch Steinmeier machte
sich überraschend für eine Formulierung
stark, die sich nur auf die Separatisten in
der Ukraine bezog. Zur Begründung führte
er laut Teilnehmern an, beim G-20-Gipfel
im australischen Brisbane hätten sich
„neue Kanäle“ nach Moskau aufgetan, die
man nicht gleich wieder zuschütten solle.
Nicht nur der litauische Außenminister
rieb sich die Augen und widersprach heftig.
Auch Polen und Esten waren gegen
eine Schonung der Russen; sie hatten die
Gespräche in Brisbane ganz anders wahrgenommen,
als klare Verhärtung der Fronten.
Russland habe keinen positiven Schritt
unternommen, der eine Geste der EU
rechtfertigen würde, hieß es in den Reihen
der Moskau-Kritiker am Tisch.
Frank-Walter Steinmeier setzte sich am
Ende durch.
Nikolaus Blome, Peter Müller, Christian Neef,
Ralf Neukirch, Christoph Schult

Sie sitzen sich gegenüber, an einem
festlich geschmückten Karree im Rittersaal
des ehemaligen Palastes der
Großfürsten von Litauen. Sechs Meter liegen
zwischen ihnen, aber in Wahrheit trennen
Bundeskanzlerin Angela Merkel und
den ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch
in diesem Moment Welten.
Eben hat Janukowytsch gesprochen. Er
hat in gewundenen Sätzen zu erklären versucht,
warum dieser Gipfel der Östlichen
Partnerschaft der EU in Vilnius nicht so
sinnlos ist, wie er jetzt scheint. Und warum
es sich lohne weiterzuverhandeln und er
genauso engagiert wie bisher für eine gemeinsame
Zukunft einstehe. „Wir benötigen
sehr schnell Hilfen von mehreren Milliarden
Euro“, sagte Janukowytsch. Nun
will die Bundeskanzlerin etwas sagen.
Merkel schaut in die Runde der 28
Staats- und Regierungschefs der Europäischen
Union, die sich an diesem Abend in
Vilnius versammelt haben. Dann sagt sie
einen Satz voller Missbilligung und kühlem
Sarkasmus, der direkt an den ukrainischen
Präsidenten gerichtet ist. „Ich komme
mir wie auf einer Hochzeit vor, auf
der der Bräutigam in der letzten Minute
neue Bedingungen stellt.“
Viele Jahre haben die EU und die Ukraine
über ein Assoziierungsabkommen verhandelt.
Sie haben Absichtserklärungen
unterschrieben, Kabinetts- und Parlamentsbeschlüsse
erwirkt, unzählige Delegationsreisen
absolviert, gegenseitige Beteuerungen
ausgetauscht. Und nun, am Abend des
28. November 2013, im Alten Schloss von
Vilnius, wird zur Gewissheit, dass alles umsonst
gewesen ist. Es ist eine Zäsur.erns

Allen ist klar, dass die Bemühungen für
eine Anbindung der Ukraine an die EU
vorerst gescheitert sind. Aber niemandem
ist die Tragweite dieses Abends bewusst.
Niemand ahnt, dass sich aus diesem Scheitern
von Vilnius eine der größten Weltkrisen
seit dem Ende des Kalten Krieges entwickeln
wird, dass dies der Abend ist, der
neue Grenzen in Europa entstehen lässt
und den Kontinent an den Rand eines Krieges
bringt. Es ist der Moment, in dem
Europa Russland verloren hat.

Für die Ukraine wird das Scheitern von
Vilnius zur Katastrophe. Seit seiner Unabhängigkeit
1991 ringt das Land darum, sich
in Richtung EU zu orientieren, ohne die
Beziehungen zu Moskau zu beschädigen. Viele Jahre haben die EU und die Ukraine
über ein Assoziierungsabkommen verhandelt.
Sie haben Absichtserklärungen
unterschrieben, Kabinetts- und Parlamentsbeschlüsse
erwirkt, unzählige Delegationsreisen
absolviert, gegenseitige Beteuerungen
ausgetauscht. Und nun, am Abend des
28. November 2013, im Alten Schloss von
Vilnius, wird zur Gewissheit, dass alles umsonst
gewesen ist. Es ist eine Zäsur.

Die Wahl zwischen West und Ost, vor die
Brüssel und Moskau das Land stellen, hat
fatale Folgen für den fragilen Staat.
Doch die Folgen von Vilnius gehen weit
über die Ukraine hinaus. 25 Jahre nach
dem Mauerfall – und fast 70 Jahre nach
dem Ende des Zweiten Weltkriegs – ist
Europa wieder geteilt. Die Entfremdung
zwischen Russen und Europäern wächst.
Moskau und der Westen stehen sich feindseliger
gegenüber als in der Spätphase des
Kalten Krieges. Es ist eine Realität, die
man in Europa lange nicht zur Kenntnis
nehmen wollte.
Die Vorgeschichte von Vilnius ist eine
Geschichte von Fehleinschätzungen und
Missverständnissen, von Versäumnissen
und blinden Flecken. Sie ist die Chronik
eines außenpolitischen Versagens. Auf allen
Seiten. Russland hat den Willen der
Ukrainer unterschätzt, ihr Land an die EU
heranzuführen, und zu sehr auf seine
machtpolitischen Hebel vertraut.
Die EU hat ein Vertragswerk von rund
tausend Seiten ausgehandelt, doch die
machtpolitischen Realitäten hat Brüssel
ignoriert. Auch in Berlin hat man lang
nicht wahrhaben wollen, wie sehr Russland
sich durch das Vordringen von Nato
und EU nach Osten bedroht sieht. Dass
Moskau bereit sein könnte, eine weitere
Ausdehnung der westlichen Einflusssphäre
gewaltsam zu verhindern, hatte man nicht
auf dem Schirm.
Deutschland ist seiner Verantwortung
in Europa nicht gerecht geworden. Die
Kanzlerin hat Warnsignale ignoriert. Dabei
gilt Außenpolitik als ihre große Stärke,
ihre Königsdisziplin. Merkel hat sich als
Moderatorin bewährt, die Spannungen entschärfen
und konkrete Lösungen erarbeiten
kann. Aber Krisenmanagement allein
macht noch keine gute Außenpolitik. Was
in dieser Krise fehlte, war Weitsicht, die
Fähigkeit, einen aufziehenden Konflikt zu
erkennen. Stattdessen stellte man sich in
Berlin auf den Standpunkt, dass nicht sein
kann, was nicht sein darf.
Es sei Aufgabe Deutschlands und der
EU, sagt Merkel auf dem Gipfel, „stärker
mit Russland zu reden“. Doch die Einsicht
kommt zu spät.

……

Vilnius, Hotel Kempinski, 28. November
2013, 18.30 bis 20.30 Uhr
Sie warten auf Janukowytsch. Es ist das
letzte Mal, dass sie den ukrainischen Präsidenten
treffen, um ihn doch noch zur
Unterschrift zu bewegen, ein eigentlich
aussichtsloser Versuch. Aber Barroso und
EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy
haben sich vorgenommen, das Unmögliche
zu versuchen. Van Rompuy hat zwei Exemplare
des Assoziierungsabkommens mit
* Beim EU-Gipfel in Vilnius am 28. November 2013.
nach Vilnius genommen. Sie könnten sofort
unterzeichnet werden.
Ein paar Minuten später kommt Janukowytsch
mit einem Dolmetscher, dem
ukrainischen EU-Botschafter und einigen
Mitarbeitern. Das ist ungewöhnlich, die
wichtigen Gespräche hat er bisher immer
allein geführt. Die Begrüßung ist kurz, die
Rollen sind vertauscht. Diesmal ist die EU
der Bittsteller. Sie will unbedingt, dass Janukowytsch
unterschreibt.
Barroso ist die Nervosität anzumerken.
Die Wirtschaft der Ukraine werde langfristig
vom EU-Beitritt profitieren. „Polen und
die Ukraine hatten etwa das gleiche Bruttoinlandsprodukt,
als die Berliner Mauer
fiel. Jetzt ist das von Polen dreimal so
hoch“, sagt er. Dann kommt, was man den
Ukrainern als „mutigen Schachzug“ angekündigt
hatte: Barroso gibt zu verstehen,
dass Brüssel die Forderung nach der Freilassung
Tymoschenkos fallenlassen wird.
Sie reden noch immer von Tymoschenko?
Janukowytsch ist entgeistert. Versteht
Brüssel nicht, dass es längst um ganz andere
Themen geht? Das Gespräch wird hitzig.
Van Rompuy, nicht bekannt für überbordendes
Temperament, kann nicht mehr
an sich halten: „Sie handeln kurzsichtig“,
herrscht er Janukowytsch an. „Die Ukraine
hat sieben Jahre verhandelt, weil sie
dachten, es nutzt ihr. Wieso soll es jetzt
nicht mehr nutzen?“
Draußen hat der Empfang für die Staatsund
Regierungschefs längst begonnen. Die
EU-Unterhändler verstehen, dass sie Janukowytsch
nicht mehr umstimmen werden.
Nach zwei Stunden sagt Barroso: „Wir
müssen gehen.“ Van Rompuy und er schütteln
Janukowytsch kurz die Hand, dann
schließt sich die Tür hinter ihnen.
Als die deutsche Delegation unter Führung
der Kanzlerin am nächsten Morgen
Janukowytsch zu einer letzten Besprechung
trifft, ist längst alles entschieden.
Sie tauschen noch einmal die bekannten
Positionen aus, aber das Treffen ist nur
noch eine Farce. In einer der bedeutends -
ten Fragen der europäischen Außenpolitik
hat Deutschland versagt.
Auch Putin hat sich verrechnet. Noch
in der Nacht versammeln sich Tausende
Demonstranten auf dem Maidan. Drei
Monate später flieht Janukowytsch. Putin
annektiert die Krim. Bis heute hat der Konflikt
mehr als 4000 Tote gefordert, im Osten
der Ukraine tobt ein Krieg.
Man habe, sagt Außenminister Frank-
Walter Steinmeier bei seiner Antrittsrede
in Berlin im vergangenen Dezember, vielleicht
unterschätzt, „dass es dieses Land
überfordert, wenn es sich zwischen Europa
und Russland entscheiden muss“. Auch Füle
ist überzeugt, dass die EU die Ukraine vor
eine unmögliche Wahl gestellt hat. „,Tut
uns leid für eure geografische Lage‘, haben
wir ihnen gesagt, ,aber ihr könnt weder
nach Osten noch nach Westen gehen.‘“
Vor allem haben die Europäer Moskau
unterschätzt und seine Entschlossenheit,
eine klare Westbindung der Ukraine zu
verhindern. Sie haben russische Einwände
und ukrainische Warnungen nicht ernst genommen
oder ignoriert, weil sie nicht in
das eigene Weltbild passten. Berlin hat
eine von Prinzipien geleitete Außenpolitik
betrieben, die es geradezu zum Tabu machte,
mit Russland über die Ukraine zu sprechen.
„Unsere ehrgeizige Politik der Öst -
lichen Partnerschaft wurde nicht von einer
ehrgeizigen und einvernehmlichen Russlandpolitik
begleitet“, sagt Füle. „Wir haben
keine Politik gefunden, um uns angemessen
auf Russland einzulassen.“
Russland und Europa haben aneinander
vorbeigeredet und sich missverstanden. In
Ost und West trafen zwei außenpolitische
Kulturen aufeinander, eine westliche Politik,
die sich über Verträge und Paragrafen
definiert – und eine östliche, in der es viel
mehr um Status und Symbole geht.
Vier Monate nach dem Gipfel von Vilnius
wird der politische Teil des Assoziierungsabkommens
zwischen Brüssel und
Kiew doch noch unterzeichnet, weitere
drei Monate später der wirtschaftliche Teil.
Der Preis, den die Ukraine in der Zwischenzeit
gezahlt hat, ist gigantisch. Dieses
Mal bekommt Russland ein Mitspracherecht.
2370 Fragen müssen erst mal mit
Moskau geklärt werden, bevor das Abkommen
in Kraft treten kann. Ein Prozess von
Jahren. Es ist das letzte gemeinsame Thema,
über das Moskau und die EU noch
miteinander sprechen.
Christiane Hoffmann, Marc Hujer,
Ralf Neukirch, Matthias Schepp,
Gregor Peter Schmitz, Christoph Schult


Freitag, 14. November 2014

Konjunktur und Krise - Das Herbstgutachten der Wirtschaftsweisen 14

Die Astrologen der Ökonomie melden sich auftragsgemäß wieder zu Wort

Im Herbst 13 sahen sie die BRD noch im Aufwind: 1,6 % sollten es 2014 werden und im Frühjahr 14 sogar 1,9 % Wachstum des BIP pro Jahr – nicht richtig viel im Vergleich mit den USA, aber ordentlich im Vergleich mit dem Tal der Tränen in der EU und der Eurozone. 
Und nun – im November 14 – das Jahr ist ökonmisch fast gelaufen, sollen es gerade mal 1,2 % für 2014 werden und für 2015 werden auch nur schlappe 1,0 % vorhergesagt, unter der Voraussetzung, dass die Investitionen um 3 % steigen sollen – warum dies geschehen soll, bleibt das Geheimnis der „Astrologen“.

Und wer ist Schuld an der Wachstumsschwäche? Der SVR:
„Das Tarifautonomiestärkungsgesetz schränkt mit dem Mindestlohn die interne Flexibilität der Unternehmen ein, vor allem im Bereich einfacher Tätigkeiten. Die Möglichkeit, Löhne und Arbeitszeiten an die wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen, muss aber als ein wesentlicher Grund für den Arbeitsmarktaufschwung der Vergangenheit gesehen werden. Die nun geschaffene Lohnrigidität birgt erhebliche Gefahren für die zukünftige Beschäftigungsentwicklung, insbesondere in Krisenzeiten. Die Möglichkeiten, den Beschäftigungsstand an die wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen, sind in Deutschland ohnehin nicht sehr groß. Um Investitionen zu tätigen und Arbeitsplätze zu schaffen, also langfristig planen zu können, benötigen Unternehmen aber ein Mindestmaß an Flexibilität“ (Kapitel 1, Seite 18).(Hvhbg JM)


Selbst Frau Merkel meinte bei der öffentlichen Vorstellung (süffisant?) lächend, es sei nicht trivial zu verstehen, wie ein erst gelanter Tatbestand, für den noch nicht einmal das Gesetz beschlossen sei, schon heute die Wachstumsrate beeinflussen könne. Zwar hat sie hier mal Recht – aber so etwas kann schon vorkommen – wenn dieZukunft im Inland für die Profite bedrohlich erscheint – entdeckt „das Kapital“ schnell seine Qualität als „scheues Reh“ – und geht lieber ins Ausland oder bleibt mit den Exportüberschüssen gleich dort und steckt das Geldkapital in Finanzanlagen.

Flassbeck kommentiert das noch sehr zurüchaltend unter der Überschrift
„Sachverständigenrat: Auch aus Prognoseschaden will man nicht klug werden
Nein, es ist immer das Gleiche. Die Angebotstheorie ist unbrauchbar, aber das kann man sich natürlich nicht eingestehen und schiebt daher fadenscheinige Begründungen hinterher, wenn man falsch gelegen hat. Es ist doch mehr als erstaunlich, dass die Institute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose exakt den gleichen Fehler wie der SVR machen, nämlich die Investitionstätigkeit zu überschätzen und im Gefolge auch den Konsum zu hoch anzusetzen. Denn beide haben erwartet, dass die von den Investitionen angeschobene Entwicklung den Unternehmen hohe Gewinne beschert und daher die Haushalte, deren Einkommen vor allem von Gewinn und Vermögen abhängen, in erheblichem Maße die Konsumausgaben beflügeln.
Was bleibt, ist eine wirtschaftspolitische Beratungswüste, aus der kaum ein grüner Baum ragt, weil die Politik es zugelassen hat, dass die große Mehrheit des Faches sich in eine unhaltbare und klar ideologisch fundierte Position zurückgezogen hat und dort ohne jede Bereitschaft, aus den eigenen Fehlern zu lernen, verharrt. Wer im Jahre sechs nach der großen globalen Marktkrise ein Jahresgutachten mit dem Titel überschreibt „Mehr Vertrauen in Marktprozesse“, dem ist endgültig nicht mehr zu trauen.“


Flassbeck zeigt anhand einer wiedergegebenen Tabelle aus den SVR Gutachten, dass die Fehlprognosen systematisch aus den zu hohen Annahmen über die Investionsqoten zustande kommen, die wiederum aus der neoliberalen Annahme stammen, dass schon niedrige Kapitalkosten an sich die Kapitalisten zu Investionen veranlassen – auch wenn die Nachfrage für die zusätzlichen Kapazitäten fehlen. Praktisch ist das Kapital da viel pragmatischer – ohne vorhandene oder vermutete Nachfragesteigerung keine Investionen, auch wenn man auf jede Menge freiem Geldkapital sitzt, wie in der BRD – steckt man dieses dann doch lieber in (spekulative) Finanztitel.
http://www.flassbeck-economics.de/sachverstaendigenrat-auch-aus-prognoseschaden-will-man-nicht-klug-werden/


Wolfgang Lieb von den Nachdenkseiten geht noch sehr viel schärfer mit dem Sachverständigenrat ins Gericht:

„Jahresgutachten des „Sachverständigenrats“: „Wirtschaftswissenschaft“ als Arbeitgeberpropaganda - ...

Da ist die Wirtschaft durch den Glauben an die „Märkte“ weltweit an die Wand gefahren, das hindert den „Sachverständigenrat“ nicht, als Titel für sein Jahresgutachten „Mehr Vertrauen in Marktprozesse“ zu wählen. Das Credo der Mehrheit dieser „Ökonomen“ scheint zu sein: „Umso schlimmer für die Wirklichkeit, wenn sie unserer Ideologie“ nicht folgt. Von Wolfgang Lieb.“ …
http://www.nachdenkseiten.de/?p=23931


Die nachfolgende ausführliche Kritik, mit Zitaten des SVR belegt, ist nicht nur ökonomisch sondern auch für die fundierte politische Debatte sehr nützlich.
Aber erst ein Blick auf die längerfristige Entwicklung in der EU, der Eurozone und der BRD zeigt, dass wir es nicht nur mit einer Art konjunktureller Stagnation nach der Krise in Europa und besonders in der BRD zu tun haben, sondern dass das ökonomische Entwicklungsmuster der BRD eine Zuspitzung der „normalen“ Tendenz der kapitalistischen Industrieproduktion zur Steigerung der Profite auf Kosten der Lohnanteile am Umsatz kennzeichnet.


Auf querschüsse.de vom 14. Okt 14 sind unter dem Titel

„Eurozone: Industrieproduktion August 2014“

Charts der Industrieproduktion in der Eurozone zu sehen, die bis 1960, 1990 und 2000 zurückgehen und die dramatische Veränderung seit 2008 zeigen.
http://www.querschuesse.de/eurozone-industrieproduktion-august-2014/


Speziell für die BRD sind dann am gleichen Ort am 16. Okt 14 unter der Überschrift

„Deutschland: hohe Unternehmensgewinne und niedrige Nettoinvestitionen“


hervorragende Charts zu sehen, wie diese Entwicklung schon seit 1990 ihren Lauf nimmt. Zur Begründung heißt es dort:
„Zum Kern einer redlichen Analyse gehört, die schiefe Einkommensverteilung in Deutschland, die Schwächung der Masseneinkommen und damit auch, warum die Unternehmen nicht stärker in Deutschland investieren. Der Export läuft längst auf Anschlag und potentiell droht eher ein latenter Rückgang, die Binnennachfrage bleibt schwach und die Produktionskapazitäten sind klar unterlastet“
http://www.querschuesse.de/deutschland-hohe-unternehmensgewinne-und-niedrige-nettoinvestitionen/


Die ersten Ergebnisse der BIP-Daten des Stat. Bundesamtes für das 3. Quartal 14 von heute, 14.11.14, sind noch zu wenig detailliert, um schon kommentiert zu werden. 

JM

Sonntag, 9. November 2014

Die USA erobern Europa - mit Hilfe der Ukraine - von Wolfgang Bittner

Ein kurzes Buch zum Nachlesen für die Eifrigen - vor allem aber für die Kritischen mit wenig Zeit

Es ist eine Art kritisches Tagebuch, das die Schilderung mit Belegquellen der wichtigsten Ereignisse mit der klaren Benennung der Verantwortlichen und ihrer Interessen und mit einer selten scharfen moralischen Kennzeichnung verbindet.
Und dies in einer Sprache, die klar und einfach sowie einer Gliederung, die schnelles und auch unterbrochenes Lesen für Leute mit wenig Zeit ermöglicht - also ideal für die Befestigung von aufklärender politischer Information.
Das längste Stück ist die Rede von Putin zur Aufnahme der Krim in die russische Förderation gegen Ende des Buches  - solche Politikerreden kann man selten lesen. Zur weiteren Desillusionierung über die USA wäre die kürzliche Rede von Obama vor der UNO Generalversammlung zu empfehlen, die allerdings nicht im Buch steht.
Für eine evt zweite Auflage würde man man sich eine weitreichende und eine aktuelle Zeitleiste wünschen, sowie die eine und andere Kartenskizze!

JM

Hier die ausführliche Rezension von Jenniver Munro in den NDS:

Rezension: „Die Eroberung Europas durch die USA“ –
Wolfgang Bittners faktenreiches Buch gibt Aufschluss
über die Ukraine-Krise
Wolfgang Lieb · Mittwoch den 5. November 2014
Nach mehr als zwei Jahrzehnten friedlicher Nachbarschaft und wirtschaftlicher
Kooperation durchzieht Europa wieder ein Eiserner Vorhang, verursacht durch die
Krise in der Ukraine, wo inzwischen Bürgerkrieg herrscht. Wie kam es dazu?
Wolfgang Bittner zeichnet minutiös die Entwicklung der letzten Monate nach und gibt
Aufschluss über die verhängnisvolle Einflussnahme der USA und der EU auf die
Destabilisierung des Landes. Er beschreibt, wie die Ukraine, „als Brückenland von
großer geostrategischer Bedeutung sowie als Wirtschaftsraum und Tor zu Russlands
Ressourcen“ über Jahre hinweg systematisch durch subversive Kräfte zu dem wurde,
was sie gegenwärtig ist: Kriegsschauplatz und Zentrum der Auseinandersetzungen
zwischen einer „westlichen Allianz“ und Russland. Von Jennifer Munro.
Der Autor steht mit seiner Kritik an Politik und Medien nicht allein. Er zitiert
namhafte Wissenschaftler wie Norman Birnbaum, John J. Maersheimer, Karel van
Wolferen oder Daniele Ganser, die der gleichen Meinung sind. Ebenso die auf
Ausgleich mit Russland bedachten Politiker Helmut Schmidt, Egon Bahr, Willy
Wimmer und Jack Matlock sowie die Journalisten Albrecht Müller, Gabriele Krone-
Schmalz, Jakob Augstein und Gabor Steingart.
Zum Beispiel bringt der niederländische Politikwissenschaftler Karel van Wolferen die
Situation in der Ukraine auf den Punkt, wenn er über den schmutzigen Krieg gegen
die russisch-sprechenden Ostukrainer schreibt [PDF - 122 KB], „die nicht regiert
werden möchten von einer Sammlung von Verbrechern, Abkömmlingen ukrainischer
Nazis und in den IWF und die EU verliebten Oligarchen“.
Die Entwicklung bis zur Konfrontation der „westlichen Allianz“ mit Russland im
ukrainischen Bürgerkrieg wird anhand zahlreicher Belege Schritt für Schritt bis Ende
September 2014 dokumentiert. Dabei wird nach und nach verdeutlicht, dass die
Aggression, für die Russland und insbesondere Wladimir Putin verantwortlich
gemacht wird, vom Westen ausgegangen ist und durch die desaströsen
Wirtschaftssanktionen weiter verschärft wird.
Bittner spricht von einem „Jahrhundertdesaster“. Tragisch sei vor allem die erneute
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Teilung Europas, die zur Orientierung Russlands nach China und zu einem verstärkten
Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen mit den übrigen BRICS-Staaten führt, nachdem
Wladimir Putin mehrmals vergeblich um eine vertrauensvolle Kooperation mit der
Europäischen Union geworben hatte. Die Konfrontation – so Bittner – sei nachweislich
von den USA inszeniert worden und könne nicht im Interesse Europas sein, das auf
die russischen Ressourcen angewiesen ist, einmal abgesehen von den über
Jahrhunderte gewachsenen kulturellen Verbindungen.
In mehreren Kapiteln wird das Ziel der US-amerikanischen Strategie analysiert, sich
die Ukraine als wirtschaftliche und militärische Ausgangsbasis im Kampf gegen
Russland einzuverleiben sowie als Führungsmacht die NATO und die EU (und vor
allem Deutschland) auf Sanktionskurs zu zwingen. Bittner vertritt die Ansicht,
Russland solle auf der politischen Bühne als globaler Akteur ausgeschaltet, Wladimir
Putin diskreditiert und die Bedeutung Russlands als Energie-, Rohstofflieferant und
Handelspartner Europas minimiert werden. Hinzu komme die von Barack Obama und
der NATO geforderte Erhöhung der Militärausgaben und eine Militarisierung der
Außenpolitik.
Demgegenüber verfüge die Bundesregierung über keine die deutschen Interessen
wahrende Außenpolitik. Außenminister Steinmeier erscheine unfähig, und Kanzlerin
Merkel unterwerfe sich offensichtlich den politischen Zielen der US-Regierung.
Einerseits unterstütze sie nachdrücklich die Sanktionspolitik, andererseits wolle sie
die Gespräche mit Wladimir Putin nicht abreißen lassen, wie sie immer wieder
beteuere – „ein seltsam widersprüchliches, bigottes Verhalten in dieser unsinnigen,
irrationalen Politik des vom Westen inszenierten Wirtschaftskrieges, der für alle
Seiten ruinös zu werden droht“.
In der Frage der Einflussnahme der USA auf die europäische Politik stimmt Bittner
weitgehend mit dem ehemaligen Staatssekretär im Verteidigungsministerium und
Vizepräsidenten der OSZE Willy Wimmer überein, der schreibt: „Washington schmeißt
Russland aus Europa hinaus und bekommt Westeuropa unter Komplett-Kontrolle. Da
mag es traditionell noch so gute Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und
Deutschland geben. Washington dreht diesen Hahn in Zukunft ab oder Moskau kriecht
zu Kreuze und liefert nicht nur das russische Erdgas und Erdöl amerikanischer
Kontrolle aus, wie es zu Zeiten von Yukos fast gelungen wäre […] Wir Westeuropäer
sollten uns nichts vormachen. Wir werden zum ‚Europäer-Gebiet‘ …“
Hochinteressant ist zudem ein Brief des ehemaligen Präsidenten des Volksbundes
deutscher Kriegsgräberfürsorge und Regierungspräsidenten von Braunschweig, Karl-
Wilhelm Lange, an Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der im Anhang
dokumentiert wird. Darin heißt es u.a.: „Unübersehbar ist jedoch, dass Ihre auf dem
Vorrang der Diplomatie beharrende Politik durch die Zuspitzung der Krise in die
Gefahr gerät, überrollt und ausgehebelt zu werden durch die Strategie der USA und
der Nato, Russland und Putin als Alleinschuldige der Krise zur Verantwortung zu
ziehen, beide zu Parias der europäischen und internationalen Politik zu machen, sie zu
isolieren und sie zugleich politisch und wirtschaftlich zu destabilisieren.“
Abschließend wünscht Wolfgang Bittner den USA „Politiker, die den Mut hätten, das
eigene Land als Interventionsfall zu erkennen, statt überall in der Welt Chaos und
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Unglück zu verbreiten“. Er hat ein außerordentlich wichtiges Buch mit vielen ins
Detail gehenden Hintergrundinformationen verfasst, sehr klar und überzeugend in
Diktion, Analyse und chronologischer Gliederung. Als unverzichtbare Lektüre auch für
Leserinnen und Leser aus Politik und Wirtschaft zu empfehlen.
Wolfgang Bittner: „Die Eroberung Europas durch die USA“, VAT Verlag André Thiele,
Mainz 2014, 148 Seiten, 12.90 Euro.
Hier ein Auszug aus Wolfgang Bittners neuem Buch [PDF - 74 KB].
Dieser Beitrag wurde publiziert am Mittwoch den 5. November 2014 um 09:56
in der Kategorie: Außen- und Sicherheitspolitik, Außenpolitik, Europapolitik,
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